Von Karl Glanz

Mein erstes Date ist schon lange her. Zuerst konnte ich mich gar nicht mehr daran erinnern, als ich die Überschruft las, erst nach einigen Stunden konnte ich mich wieder daran erinnern.

Wie rasch doch die Zeit vergeht!

Erst ist man noch ein Jugendlicher und im nächsten Augenblick bin ich ein alter Mann!

Zurück zum Date.

Ich kann mich nicht mehr an ihren Namen erinnern, so lange ist das schon vorbei, nur der Familienname blieb mir in Erinnerung: F. Wir waren in der selben Schule, Hauptschule. Wir sahen uns täglich, sprachen aber kaum miteinander. Als Jugendlicher interessiert mehr das Moped als die Mädchen. Das ich es nicht vergesse, wir waren eine der ersten Klassen, es war ein Schulversuch,  dass Mädchen und Burschen zusammen unterrichtet wurden. Das hatte einen Nachteil, weil die Lehrer nur an Mädchen gewöhnt waren und nicht an uns glorreiche Halunken, dass musste zu Problemen führen.

An F. kann ich mich kaum erinnern. Wie hat sie denn ausgesehen? Ich denke, sie hatte braunes Haar, war mittel groß …, für mich war sie hübsch. In der Masse der Mädchen ist sie weiter nicht aufgefallen. Nur ich habe sie immer betrachtet, verstohlen, heimlich, denn ich war schüchtern.

Wir Burschen hatten Geometrisches Zeichnen, nur war die Zahl der Burschen zu nieder und so mussten sich einige Mädchen freiwillig melden, damit die Zahl stimmte. F. war nicht dabei, sie ging lieber kochen.

Eine wilde Horde waren wir schon! Das Zeichnen fand am Nachmittag stand, dass war uns natürlich zuwider. Vor allem dann, wenn die Sonne schien und wir lieber baden gegangen wären. Manchmal sind auch Mädchen mitgekommen zum baden. F. war, so glaube ich mich zu erinnern, auch dabei. Wir Burschen mussten uns vor den Mädchen natürlich ins richtige Licht setzen. Balzgehabe pur! Das geht nicht mit den Jahren weg, das bleibt, es verändert sich nur. Auf jeden Fall hatte F. eine schöne Gestalt. Auch wenn ich mich auf die Farbe ihrer Augen nicht erinnern kann, sie müssen schön gewesen sein, irgendwie anziehend für mich.

Wir waren danals so um die 14 Jahre.

Als die Schule zu Ende war, mussten wir unsere eigenen Wege gehen. Die Lehrer meinten noch, dass jetzt der Ernst des Lebens beginnen würde. Wir suchten uns eine Lehrstelle. Ich bekam eine als Maschinenschlosser. Was F. für einen Beruf erlernen wollte, weiß ich nicht mehr, dürfte nichts aufregendes gewesen sein, vielleicht Sekretärin. Friseurin war es sicher nicht.

Unsere Wege trennten sich. Wir verloren uns alle aus den Augen. Die Wege waren zu unterschiedlich, als dass wir sie hätten gemeinsam gehen können. Für eine kurze Zeit hatten wir noch einige Kontakte, meist Freunde, aber auch diese Kontakte brachen auseinander.

Wenn ich meine Großmutter besuchen ging, ging ich meist einkaufen. Ich war 16, 17 Jahre, stand noch in der Lehre. Im Supermarkt arbeitete die Mutter von F. Sie saß an der Kassa und begrüßte mich immer freundlich. Meist fing sie ein Gespräch an. Es war früher Nachmittag und der Supermarkt war fast leer. „Karli, schön dich zu sehen“, so fing meist das Gespräch an. „Wie geht’s dir den?“ – „Danke es geht mir gut“, antwortete ich. „Gehst du heute nicht baden, bei einem solchen Wetter?“, fragte sie und sah mich an. „Ich besuche meine Großmutter, die ist blind und da muss ich für sie einkaufen gehen.“ – „Du bist ein braver Kerl“, sagte sie und vielleicht ist mir auch das Blut in den Kopf gestiegen. Kann sein, war sicher so.

Eines Tages faßte ich mir ein Herz und fragte die Mutter von F. wie es denn ihrer Tochter gehen würde. „Danke, Karli, es geht ihr ganz gut. Sie arbeitet in der Stadt bei X.“ – „Hätten Sie was dagegen, wenn ich sie einmal treffen würde?“ Sie sah mich begeistert an. „Überhaupt nicht! Ich sage es ihr und mache einen Termin aus. Ist das ok für dich?“ – „Danke, Frau F.“ Ich war sicher so rot im Gesicht, wie die Bremslichter eines Sattelschleppers. Heiß war mir ganz sicher. Mit der vollen Einkaufstasche ging ich zu meiner Großmutter zurück. Ich habe ihr von meinem Abenteuer erzählt und sie ist wirklich ernst geblieben, dafür bin ich ihr bis heute dankbar.

Als ich einige Tage später wieder in den Supermarkt gekommen bin, wieder um für meine Großmutter einzukaufen, da wartete Frau F. schon an der Kassa auf mich. Ich legte mit zitternden und feuchten Händen alles auf den Tisch. Ruhig nahm Frau F. die Sachen und tippte in die Rechenmaschine. Ich traute mich nicht zu fragen, was nun F. gesagt hat. „Meine Tochter kommt jeden Tag um 5 Uhr mit der Straßenbahn nach Hause. Sie steigt an der Biegung aus, dort kannst du sie abholen“, erklärte sie mir mit einem leichten Lächeln, Schmunzeln vielleicht. Unter mir bewegte sich die Erde! „Danke, Frau F. ich werde heute auf ihre Tochter warten“, stammelte ich. Ich konnte nicht rasch genug den Supermarkt verlassen.

Die Stunden schleppten sich dahin. Wenn man auf etwas wartet, etwas dass einen Angst, aber auch gleichzeitig Freude bereitet, dann zieht sich die Zeit dahin wie ein Gummiband, das gedehnt wird. Ich war sicher ziemlich nervös. Vor allem wusste ich nicht, was ich überhaupt sagen sollte. Wie sollte ich sie begrüßen? Wir hatten uns einige Jahre nicht mehr gesehen, wäre ihre Mutter nicht im Supermarkt gewesen, vielleicht hätte ich sie überhaupt vergessen! Aber so wurde ich jedes mal an sie erinnert, wenn ich einkaufen ging.

Endlich war es so weit. Ich ging zur Biegung der Straßenbahn, die dort von der Hauptstraße abbiegt. Gebau an dieser Biegung ist ein Supermarkt, der auch heute noch existiert, nur etwas anders aussieht, so wie wir alle. Die Veränderung kann nicht rückgängig gemacht werden. Ich stellte mich also dorthin und wartete. Mein Herz pochte bis zum Hals, due Hände waren feucht und wirre Gedanken schossen durch meinen Kopf. Wenn ich sie aus der Straßenbahn aussteigen sehe, dann … , was soll ich dann nur tun? Hinlaufen und ihr die Hand reichen, ihr beim Aussteigen helfen? Oder warten bis sie ausgestiegen ist, zu ihr gehen, ihr die Hand zum Gruß reichen, sie mit einem Lächeln begrüßen? Es war mir gar nicht unangenehm, dass zwischen der Straßenbahnhaltestelle und mir noch eine Straße war, die stark befahren wurde. Hoffentlich, so dachte ich, kommt ein Auto und nimmt mir die Entscheidung ab. Und wenn gerade kein Auto um die Ecke bog? Auch gut, dann laufe ich eben hin und reiche ihr die Hand zum Aussteigen.

Wie sollte ich sie begrüßen? „Hallo“ oder „Guten Tag“, vielleicht mit „Schön dich zu sehen“ … Ich wusste es nicht. Das war ein Problem! Der erste Satz, das erste Wort! Es entscheidet alles! Was ist der richtige Weg? Was führt zum Ziel? Hätte ich doch nur gefragt! Aber wem? Auslachen wollte ich mich auch nicht lassen, dann lieber selbst entscheiden. Und wenn es schief geht, was dann? Davon geht die Welt nicht unter, aber der Abgrund ist nah!

Eine Straßenbahn kam, sie stieg nicht aus. Ich habe sie auch nicht gesehen. Angestrengt sah ich in die Straßenbahn, sie war nicht gekommen! Gut, es war noch nich 5 Uhr. Vielleicht ist die in der nächsten! Autos sausten mit quietschenden Reifen um die Kurve. Ich beachtete sie kaum. Ein Passant fluchte laut, er erhob die Faust gegen den Autofahrer.

Ich wartete.

Die nächste Straßenbahn. Fahrgäste stiegen aus, es war die Hauptverkehrszeit, alles kam Heim von der Arbeit. Sie war nicht drinnen.

Es wurde 5 Uhr. Meine Nervosität steigerte sich. Jetzt muss sie kommen. Entweder in der nächsten oder übernächsten Straßenbahn!

Die nächste Straßenbahn kam. Sie stieg nicht aus. Ich wurde noch nehr nervös, als ich es sowieso schon war. Unruhig ging ich auf und ab. Wartend, auch hoffend.

Die nächste Straßenbahn. Wieder nichts! Aber jetzt muss sie kommen! In der nächsten Straßenbahn ist sie!

Sie war natürlich nicht drinnen! Langsam verlor ich den Glauben, dass sie kommen würde. Langsam interessierten mich die Autos mehr, die an mir vorbeifuhren mehr, als F. Es wurde dunkel und ich wartete. Ich konnte nicht glauben, dass sie nicht kommen würde.

Sie kam nicht!

Ich gab es auf, ich ging nach Hause, niedergeschlagen und depremiert.

An einem der folgenden Tage ging ich wieder einkaufen. Frau F. saß an der Kassa. Ich begrüßte sie. „F. ist nicht gekommen“, sagte ich zu ihr. „Das tut mir schrecklich leid, Karli, sie hat an diesem Tag Überstunden gemacht. Das kann passieren. Versuchs heute wieder. Da kommt sie bestimmt!“

Und ich Idiot bin wieder hingegangen, dort gestanden, gewartet wie ein Mauerblümchen auf etwas Regen. Wieder kam eine Straßenbahn nach der anderen, nur F. war nicht drinnen.

Ich bin versetzt worden! Das tut weh!

 

Jahre später. Ich ging in das Gebäude, da hatte ich erwas zu tun, da war eine Information. Ich wusste nicht an wem ich mich zu wenden hatte, ich musste fragen, da war sie, da stand sie vor mir. F.! Sie war schön wie sie gewesen war. Sie begrüßte mich freundlich und ich schüttelte ihr die Hand. Wir unterhielten uns. Erzählten von den alten Zeiten. Kurz nur, dann musste ich gehen. „Wir sehen uns nach deinem Termin wieder“, sagte sie. Als der Termin vorbei war, war auch sie verschwunden. Ich fragte noch ihre Kollegin, die erklärte mir, dass F. gegangen war.