Von Katja Zuniga-Togni

„Klopf-Klopf-Klopf!“

Wirklich zum unpassendsten Zeitpunkt polterte es an die Tür. Draussen war es dunkel und mehrere Chläuse trieben ihr Unwesen. Früher hatte ich mich vor den bärtigen Männern gefürchtet. Ich war zum Verzücken meiner Eltern unter den Tisch gekrochen und zitterte vor Angst. 

Jetzt zitterte ich höchstens noch, wenn mir kalt war.

Darf ich mich vorstellen? Ich heisse Helga, Helga Schwarters und glaube nicht mehr an den Samichlaus. Auch nicht mehr an den Weihnachtsmann – den hatte ich nämlich vor 37 Jahren geheiratet. Anton, meinen Traummann, ein Automobilhändler.

Unsere Ehe blieb kinderlos und das Wünschen hatte ich den andern überlassen.

Bequem fügte ich mich in den Fernsehsessel. Die Katze war auf meinen Schoss gehüpft und hatte sich schnurrend zusammengerollt. Anton war in der Küche beim Abwasch. Wie immer um diese Zeit. Dann gehörte der Fernseher ganz mir und ich schaute „Dahoam ist dahoam.“ 

Mein Mann hasste die Sendung– die Brunnerhof-Wirtin Theres ging ihm auf die Nerven, weil sie so sehr seiner Mutter glich, mit der er überhaupt nicht auskam. Er werkelte lieber in der Küche und setzte Teewasser auf, während ich fremdtratschte. Denn so bezeichnete er die Familiensaga – ein sinnloses Geschwätz und Gerede in einem ländlichen Dorf am Rande des wirklichen Lebens. In der Küche war er sein eigener Kapitän und es konnte gar nicht genug Wasser fliessen. Vorspülen, Mittelspülen, Nachspülen. Um 20.13 Uhr würde er pünktlich im Wohnzimmer stehen mit zwei Tassen Tee und Guetslis und das Tablett auf den Salontisch abstellen. Sein Sessel stand schon bereit. Um 20.15 Uhr begann der Tatort, und den wollte er auf keinen Fall verpassen.

 

„Klopf-Klopf-Klopf!“ ertönte es erneut.

Anton hatte die Küchentür wie üblich geschlossen. 

„Anton! Jemand ist an der Türe! Mach doch du auf!“ rief ich ärgerlich und die Katze auf dem Schoss hob irritiert den Kopf.

„Let it snow, let it snow, let it snow!“, trällerte Dean Martin. Mit Schellengeklingel zogen Rentiere einen Schlitten voller Geschenke über den Bildschirm, die alle online bestellt werden konnten.

 

„Klopf-Klopf-Klopf!“, polterte es diesmal lauter an die Türe.

Es war still im Raum.

Jetzt war die Katze ärgerlich, denn sie wurde unsanft vom Schoss entrollt und musste sich anstrengen, um auf den Füssen zu landen.

Ich schlüpfte in die Pantoffeln und schlurfte zur Tür.

Ich traf die längst fällige Entscheidung und öffnete die Tür.

 

„Ho! Ho! Ho! Wer ist denn doo?“, rief ich perplex aus. Denn draussen stand nicht etwa der Samichlaus, nein, draussen stand Erik Ode.

„Das ist aber jetzt eine Überraschung!!!“, freute ich mich. 

„Erik Ode. Der Vater aller Fernsehkommissare! Treten Sie doch ein!“
„Ich bin nicht allein!“, antwortete Erik, der genau so aussah wie im Fernseher, einfach farbig. Er schaute mich prüfend an. „Ich habe Verstärkung mitgebracht.“

Und schon stürmten sie alle in das Wohnzimmer, der Alte, der Bulle von Tölz, die ganze Crew von den Rosenheim-Cops und vom Grossstadtrevier, die Soko aus Hamburg und fünf Frauen, die sich um den Titel der Kriminalhauptkommissarin stritten. Der dicke Hunold verschwand in der Küche, sein Partner mit der tiefen Stimme und der Reptilienhaut hinter ihm her. Nur der Horst Tappert fehlte noch, da sein Assistent Harry keinen Parkplatz finden konnte. Und auch der Stefan Gubser aus der Schweiz fehlte.

 

Die fünf Kommissarinnen waren auf dem Weg zur Küche in eine Diskussion verstrickt. „Meine Frauen, im Norden behält man bekanntlich den kühlsten Kopf. Wie wäre es, wenn Sie mir die Leitung übertragen?“, befahl Charlotte Lindholm, aber davon wollte die Maria Furtwängler gar nichts wissen. „Nur weil Sie naturblond sind heisst das noch lange nicht, dass Ihnen alle zu Füssen liegen!“, giftete sie zurück. „Sachte, sachte!“, beschwichtigte die Eva Mattes. „Lasst uns doch gemeinsam den Weg der Unauffälligkeit gehen! Und was ist schon unauffälliger als meine gewöhnlichen braunen Haare! Ich schlage….“, Sie konnte ihren Satz nicht zu Ende sprechen, da fiel ihr die noch blondere Carlotte Sänger ins Wort: „Blond ist in der Überzahl!“ 

„Das sehe ich nicht so!“, entgegnete die Andrea Schawazki. „Rot ist hier ebenso gut vertreten!“ Und sie nickte der Bella Block zu.  „Übernehmen Sie!“

Zum Glück konnte die leuchtend rote Bella die zickigen Kommissarinnen beschwichtigen. „Wir sind hier nicht im Fernsehen!“, verkündete sie theatralisch. „Gehen wir an die Arbeit!“

 

Nur sie und Erik Ode blieben bei mir im Wohnzimmer stehen, als es erneut klo-klopf-klopfte. Diesmal sah ich zuerst die Augensäcke, als ich die Tür öffnete, und ich wusste sogleich, da hängt der Derrick dran.

„Harry, sag den Herren von der Spurensicherung, sie sollen in der Küche anfangen!“, befahl der Tappert mit gelangweilter Stimme.

Das fand ich  jetzt aber gar nicht mehr lustig, denn gleich sieben weitere Leute verschafften sich Zutritt in die Wohnung, die letzteren beiden trugen einen Metallsarg.

„Anton! Anton! Da sind ganz viele Leute hier!!! So gib doch endlich Antwort!“, rief ich aufgelöst.

Erik Ode legte mir die Hand auf die Schulter und geleitete mich zum Sessel, wo ich eben noch in freudiger Erwartung des Tatorts mit meiner Katze gesessen hatte.

Bella nahm auf dem andern Sessel Platz.

„Von Frau zu Frau.“, wandte sie sich an mich. „Wann haben Sie Ihren Mann zum letzten Mal gesehen?“ 

„Das ist noch nicht lange her. Das Vorstadtrevier war gerade zu Ende. Das schaut der Anton so gern. Und jetzt kann man sogar zeitversetzt schauen. Aber den Tatort, den schauen wir in Echtzeit. Da sind wir immer sehr gespannt drauf.“

Ich hatte sofort Vertrauen in die Rothaarige gefasst.

„Wissen Sie, der Anton, der wäre ja so gerne Polizist geworden.“, fuhr ich fort. „Aber in der ehemaligen DDR, wo wir aufgewachsen sind, da nahm man nicht jeden. Und er hatte doch schon als Kind Probleme mit seinen Augen…“

Bella Block legte ihre ganze psychologische Kraft in ihren Blick und unterbrach mich sanft: „Wie gut Sie erzählen können! Ich könnte stundenlang zuhören. Aber Sie wissen schon….“, und dabei zwinkerte sie ihr verschwörerisch zu, „die Pflicht drängt zur Eile.“

Ich ergab sich mit einem solidarischen Seufzen.

„Wann ich meinen Mann zuletzt gesehen habe? Ja, das war so kurz nach halb acht. Da ging er wie üblich in die Küche zum Abwasch und um Tee aufzusetzen.“

 

„Klo-Klop-Klopf!“, hämmerte es erneut an die Tür. 

Die Nordkommissarin rief aus der Küche eisig: „Ich mach schon auf!“

„Hartfeld. Notarzt!“, stellte sich der Eintretende zackig vor. „Der Gerichtsmediziner ist informiert. Er wartet im Labor und wird die Obduktion heute noch vornehmen. Zur Küche?“, hob er fragend die Augenbrauen und war auch schon weggestürmt.

 

„Mein Gott! Warum wollen alle so eilig in die Küche?“ schlug ich die Hände über dem Kopf zusammen. „Es wird doch wohl nicht etwas mit meinem Mann passiert sein?!“ Anton! So gib doch endlich Antwort!“

Verwirrt stand ich auf und starrte den Erik Ode an, der wie ein ruhiger Fels in der Brandung schwarz-weiss dastand. Bella hinderte mich daran, in die Küche zu schlurfen und drängte mich sanft zurück in ihren Sessel.

„Was ich noch wissen will von ihrer Zeit in der DDR.“, begann sie therapeutisch, als sie vom mächtigen Anwalt Hunold unterbrochen wurde, der zu ihnen trat.

„Der Todeszeitpunkt liegt etwa zwischen 1 und 3 Uhr nachmittags. Die Leichenstarre hat bereits eingesetzt. Das ist ein Fall für Zwei!“ 

Wie auf ein Stichwort hin schwang sich Klaus Theo Gärtner, das Reptil mit der tiefen Stimme, zum Fenster hinaus und nahm Spur auf. 

 

 „Stefan, ich versteh dich so schlecht…!“, presste die Nordkommissarin ein Handy ans Ohr. „Nein. Am Empfang kann’s nicht liegen… wir sind direkt unter einer Antenne….“

Entnervt reichte sie das Handy an Erik Ode weiter.

„Vielleicht verstehen Sie, was er meint. Ich habe immer solche Mühe, wenn Schweizer in der Leitung sind.“

Erik Ode hatte eben sein Notizbuch weggesteckt und schaute das Handy in seiner Hand ratlos an.

„Was soll ich mit diesem Kästlein? Hat es in diesem Haus keinen Telefonapparat?“, fragte er.

Da kam aus der Küche kauend der Bulle von Tölz.

„Geben Sie mal her!“, sagte er zu Erik, nachdem er seinen Bissen heruntergeschluckt hatte. „Ich ruf meine Mutter an. Die hat bestimmt was gesehen, was von Bedeutung ist.“

 

Jetzt war es an Erik Ode, verdattert dazustehen, denn der Bulle von Tölz drückte ein paar Knöpfe am Kästlein und schon war er mit seiner Mutter verbunden.

„Ja – bei den Schwarters…..So, der Emil, den meinst du?… Ja, wenn,…

Ja, Mutter, ich werd mal mit dem Emil sprechen….Ja, am Sonntag…nein, heute hab ich keine Zeit zum Essen…  ja, mit Speck und Kraut, wie immer.

Bhüat di, Mutter!“ 

Er wandte sich an den schwarz-weissen Erik.

„Der Schwarter hatte sich mit dem Emil Podolsky von der City-Garage verkracht. 

Das Motiv haben wir.“

 

„Mein Gott! Jetzt deckt schon mal die Leiche zu!!!“ kreischte inzwischen die gelockte Furtwänglerin in der Küche. „Ich kann kein Blut sehen, dass solltet ihr doch wissen, wenn ihr meinen Tatort gesehen habt.“

„Wo ist sein Daumen geblieben?“, fragte die Mattes.

„Den hat wohl niemand gesehen!“, meinte die Carlotte, und sie bezog sich dabei nicht auf das Körperteil.

„Kein Zickenkrieg!!!“ unterband die Andrea Sawazki die aufflammenden Gehässigkeiten. „Wir müssen den Mörder finden. Nehmt Euch ein Beispiel an den Jungs. Die haben schon eine Sondereinheit gebildet. SokoGrossstadtCops.“

 

Im Wohnzimmer war ich kraftlos in meinen Sessel gesunken.

„Mein Gott! Mein Gott!“, stammelte ich. 

Alles drehte sich, es flimmerte vor meinen Augen.

„Frau Schwarters!“, redete mir der Erik zu. „Frau Schwarters!“

Ich reagierte nicht und mein verschleierter Blick war starr auf den Bildschirm gerichtet.

„Frau Schwarters! Helga! Helga!“

„Jetzt ist der Erik schon zum vertraulichen Du übergegangen.“, dachte ich stumpf. „Das ist das Ende!“

„Helga! Helga!“

Jemand rüttelte an mir.

Ich sah durch einen Nebel, wie die SokoGrossstadtCops im Bildschirm verschwand. Die Kommissarinnen zierten sich – jede wollte als Letzte verschwinden und es dauerte eine Weile, bis auch sie verflimmerten.

Jetzt wurde ich geschüttelt.

„Helga! Helga, so wach doch endlich auf. Du bist eingenickt! Es ist bereits 20 Uhr 14 Minuten.“

EinTablett mit dem dampfenden Tee und den Guetslis stand auf den Salontisch.

„Unser Tatort beginnt gleich!“ sagte Anton.