Von Eva Fischer

„Lass es sein, Kathrinchen! Sei vernünftig! So machst du dir keine Freunde.“

Das sagte mein Vater immer.

Aber wer hört schon auf seine Eltern? Ist nicht Unvernunft der Weg zum Erwachsensein, zum eigenen Glück? Seit wann haben sich Helden von ihrer Vernunft leiten lassen? Wer abwägt, welche Gefahr er eingeht, gelangt nie ans Ziel. Ich könnte jetzt zahlreiche Beispiele nennen, aber ich erzähle einfach mal meine Geschichte.

Weihnachten stand vor der Tür (wie jedes Jahr völlig überraschend und doch seit Januar im Kalender nachzulesen). 

Was schenke ich meinem Liebsten, meinem Kuschelbären, meinem Oli???

Ich beschloss, ihn zu überraschen.

Seit sieben Jahren waren wir verheiratet und seit sieben Jahren versuchte ich, ihn zu überraschen. Dies ist mir stets gelungen. Allein ich vermisste das freudige Gesicht des Beschenkten. Na ja, so schnell gebe ich nicht auf. Diesmal würde ich ins Schwarze treffen. Davon war ich fest überzeugt.

Ich ging ins Reisebüro und mietete für uns beide eine Hütte mitten in einem verschneiten Wald in Norwegen, wo die Tage im Winter sehr kurz sind. Wie romantisch! Das würde unser Sexleben wieder etwas aufpeppen. Mit fast vierzig war es nun auch Zeit für ein Baby. Ich würde die Antibabypille absetzen.

„Cool“, sagte Oli erfreut. „Skiurlaub! Das haben wir schon lange nicht mehr gemacht. Aber warum fahren wir nicht in die Berge nach Österreich? Ist Norwegen überhaupt schneesicher?“

„Ich denke schon, Kuschelbär“, sagte ich und drückte ihn an meine Brüste, quasi als Vorgeschmack auf das, was ihn erwarten würde. Das Abenteuer konnte beginnen.

*

Alles wirkte ziemlich grau. Da konnte der Schnee auch nicht viel daran ändern. Wenig später war es ganz dunkel. Oli klappte sein Handy auf. „Krass! Wir haben gerade erst mal drei Uhr nachmittags.“

Ich leuchtete ihm mit der Handytaschenlampe den Weg zu unserem neuen Zuhause. „Guck mal, ist das nicht süß eingerichtet! Überall aus Holz geschnitzte Trolle! Sicherlich werden wir auch ein echtes Rentier in unserem Garten sehen.“

Beim Flackern der Öllampe packten wir unsere Koffer aus. Oli war einverstanden, dass wir sofort ins Bett gingen. Wir machten es uns gemütlich mit einem Schlückchen Glögg. Der Wodka verbreitete Feuer in unseren Körpern. Leider schlief Oli viel zu früh ein. Ich glaube, es war gegen acht.

Am nächsten Morgen hatte es die Sonne nicht eilig mit dem Aufgehen. Um halb zehn befanden wir uns auf der Loipe. Es war ein Wintertraum, wie man ihn nicht schöner auf Postkarten finden konnte. Verschneite, hohe Tannen, blauer Himmel, absolute Stille. Keine Menschen weit und breit. Gegen 15 Uhr trieb uns die Dunkelheit zurück in unsere Hütte und wir arbeiteten an dem „Babyprojekt“, wie ich es nannte, und von dem Oli nichts ahnte. Besser so, dachte ich. Das entspannte ihn.

Jeder Tag verlief gleich, was mir nichts ausmachte. Oli hingegen litt ganz offensichtlich unter der radikalen Zweisamkeit. Nach fünf Tagen befand sich seine Laune auf dem Tiefpunkt. Lagerkoller nennt man das. Nur psychisch starke Leute sind dagegen gefeit. Oli gehörte nicht dazu. Er fieberte unserer Rückkehr entgegen. Auf dem Heimweg erklärte er mir, diesmal sei ich zu weit gegangen mit meiner Überraschungsmanie. Er habe nun definitiv die Nase voll von mir und brauche erstmal eine Auszeit.

Er zog aus unserer gemeinsamen Wohnung aus. Leider kam er nicht mehr zurück, weil er so eine langweilige Tussi kennenlernte, die ihm versprach, ihn nie überraschen zu wollen. Dazu gehört Phantasie, Mut und eine Prise Unvernunft. Das ging der Langweilerin wohl ab.

*

Ich ahnte es gleich. Mein Babyprojekt war ein Erfolg. Der Gynäkologe bestätigte mir, dass ich im September Zwillinge zur Welt bringen würde. Ich war keineswegs die einzige, die ohne Mann zur Schwangerschaftsgymnastik ging. Doch wofür hat man Freund*innen! Oli hatte jedenfalls keine Lust, zu mir zurückzukehren. Wir erinnern uns. Er liebt keine Überraschungen, vermutlich auch keine Kinder. 

Meine Mutter war mir ebenfalls keine große Hilfe.

„Katja, wie kannst du nur Kinder ohne Vater in die Welt setzen! Das ist wirklich unvernünftig. Wer wird euch jetzt ernähren?“

„Schon mal was von einem Babyjahr gehört, Mutter! Ich habe einen guten Job und es gibt Kitas.“

*

Björn und Britta wurden geboren. Es sind friedliche, zufriedene Babys, die einen Vater nicht zu vermissen scheinen. Es wäre schon sehr schade gewesen, wenn ich es nicht gewagt hätte, Oli mit einem Winterurlaub in Norwegen zu überraschen! Ok, an durchgehenden Schlaf bei Nacht ist vorläufig nicht zu denken. Aber es ist einfach toll, ihnen zuzuschauen beim Wachsen und Gedeihen, beim seligen Lächeln, sogar beim wütenden Schreien.

Ab und zu ruft mein bester Freund Tom an. Er besucht uns fast jedes Wochenende, denn er ist ganz vernarrt in die beiden Zwerge.

„Ich kann auch von zu Hause aus im Homeoffice arbeiten. Was hältst du davon, Katja, wenn ich bei euch einziehe und ich dir unter die Arme greife?“

Ich hielt sehr viel davon und auch meine beiden Mäuse strahlen, sobald sie Tom sehen.

 

Wieder einmal ist Weihnachten.

Björn und Britta bestaunen die bunten Kugeln am Weihnachtsbaum. Jeder von beiden hat ein großes, plüschiges Stoffrentier bekommen. Rudolph the red nosed reindeer. Wer kennt ihn nicht? Björn heult, als er das „Ungeheuer“ sieht. Britta fasst es gleich bei den Ohren. Da weiß man schon mal, wer später der Mutigere von beiden sein wird. 

Tom überreicht mir einen Umschlag.

„Überraschung!“ ruft er.

„Ein Monat Kreuzfahrt in der Karibik“, staune ich. „Bist du verrückt? Und was machen wir mit den Kleinen?“

„Die nehmen wir natürlich mit. Auf dem Schiff gibt es bestimmt eine Kinderbetreuung. Du solltest dich mal ausruhen und Urlaub machen.“

Ich sagte schon, dass Tom der beste Freund ist, den man sich wünschen kann. 

Das finden meine Eltern auch und sie wären froh, wenn ich ihn heiratete. 

„Geht nicht“, sage ich. „Tom ist schwul und das ist gut so.“