Von Renate Oberrisser

So hold mein Liebchen du mir bist.

Rot dein Mund mich küsst.

Wenn ich doch auf ewig wüsst‘,

dass du mir gehörst und treu mir bist.

 

Aus Gold eine Kette ich schmiede.

Lass sanft sie gleiten über schneeweiße Haut.

Du lässt mich erschaudern, vor Lust, meine Braut.

Die Vernunft mir sagt, deine Nähe ich besser miede.

 

Ich kann es nicht mehr ertragen,

zu sehen, wie du mit einem Anderen sprichst.

Mein Herz, jedes Mal auf’s Neue du mir brichst.

Diesen Frevel werd ich ewig beklagen.

 

So hold mein Liebchen du mir bist.

Rot der Tod dich grüßt.

Für meine Seelenqual du büßt,

wenn mein Auge auf ewig sich schließt.

 

Sprachlos wandern Steffis Augen über das Blatt Papier in ihrer Hand. Einmal, zweimal, dreimal liest sie die Worte. Unverständnis macht sich in ihr breit. Sie sucht das Kuvert, dem sie den Zettel entnommen hat. Dreht es hin und her. Nichts. Nur der Name steht darauf. Für STEFANIE!!! 

 

Wer mag für solche Zeilen verantwortlich sein? Wenn es sich nicht  um einen derart rätselhaften Inhalt gehandelt hätte, wäre die Sprachmelodie dieses Gedichtes für Steffi wie Büttenpapier unter Schulheften. So hingegen ist sie hin und her gerissen, zwischen dem Bedürfnis zur Polizei zu gehen und diesen makaberen Scherz anzuzeigen, oder hysterisch lachend die doppeldeutige Essenz dieser Botschaft zu verdauen. 

 

„Trinken Sie einen Schluck Wasser, das entspannt die Nerven“, versucht der Polizist sie mit stoischer Gelassenheit zu beruhigen. „Und dann erzählen Sie ganz von Anfang an.“

„Immer wenn ich Frühdienst habe und das Geschäft aufsperre, schau ich in den Briefkasten. Wir haben Kunden, die werfen gerne ihre Wunschliste ein und holen die Bücher ein paar Tage später ab. Es kommt vor, dass sich jemand schriftlich bedankt. Im Sommer war schon mal ein Geldschein dabei, mit der Einladung, uns ein Eis zu vergönnen. In den eineinhalb Jahren die ich hier arbeite, war nie etwas anonymes mit derartigem Inhalt dabei“, berichtet Steffi. 

„Ist Ihnen etwas aufgefallen in letzter Zeit. Ein Kunde, eher männlich. Hat sich das Verhalten von jemandem verändert? Lassen Sie jedoch auch Frauen nicht außer Acht. Denken Sie nach“, ermutigt der Beamte sie weiter zu erzählen.

„Ich arbeite zu unterschiedlichen Zeiten und es gibt Kunden, die sich daran stören, von jemand anderem beraten zu werden. Das haben meine Kolleginnen und ich grundsätzlich im Griff und mir würde niemand einfallen, der derartige Briefe verfasst“, schüttelt Steffi nachdenklich den Kopf.

 

„Einen besonderen Kunden habe ich schon. Der Herr Gebhard. Ein älterer, alleinstehender Mann. Der ist extrem verschossen in mich. Wenn er mich nicht antrifft im Laden, dann geht es ihm gar nicht gut, dann vermisst er mich. – ‚Wissen Sie, Fräulein Steffi‘, hat er gesagt, ‚Sie sind eine ganz Besondere. Wenn ich Sie sehe, dann wird mir ganz warm ums Herz und dann geht es mir für den Rest der Woche gut.‘ – Nein, ich kann es mir bei ihm gar nicht vorstellen, dass er mich derartig brüskiert“, überlegt Steffi weiter.

Aufmerksam zuhörend hakt der Beamte hier und da noch nach und macht sich Notizen. Ohne nennenswerte Anhaltspunkte gefunden zu haben, verlässt Steffi den Polizeiposten, mit dem Versprechen des Polizisten, sich intern nach ähnlichen Fällen in der Umgebung umzuhören und die Kollegen zu bitten, Augen und Ohren offen zu halten. Mehr könne er leider im Moment nicht tun. 

 

Auf dem Weg zurück in den kleinen Buchladen, schaut sich Steffi ständig um. Ein ungutes Gefühl, beobachtet zu werden, beschleicht sie.

„Lass dich von ein paar Worten eines Verrückten nicht irre machen“, murmelt sie vor sich hin und schreit im nächsten Moment erschrocken auf, als eine Hand von hinten ihre Schulter berührt.

„Aber Fräulein Steffi, ich wollte Sie nicht erschrecken“, vernimmt sie Herrn Gebhards verdatterte Stimme. „Ich freue mich, Sie heute doch zu sehen, nachdem Ihre schnippische Kollegin gemeint hat: Typisch Steffi, die hat wieder was Außergewöhnliches, die musste nochmal weg.“

„Oh, Herr Gebhard, es tut mir leid. Das habe ich nicht gewollt. Ich bin nur so erschrocken. Wenn Sie wüssten, was heute los war“, entschuldigt sich Steffi vielmals. 

„Schon gut, Kindchen, Sie sehen aus als hätten Sie ein Gespenst gesehen. Wenn ich Ihnen irgendwie helfen kann, wenn Sie jemanden zum Reden brauchen. Jetzt gehen Sie mal zurück in Ihren Buchladen und erholen sich von dem Schrecken.“ 

 

Mit einem Kloß im Hals über ihr ungebührliches Verhalten und den mitfühlenden Worte des alten Herren, verzieht sich Steffi rasch in das rückwärtig gelegene Büro im kleinen Buchladen. 

„Na, auch wieder da!“, wird sie von Constanze begrüßt, die dort ganz wichtig Zettel sortiert. „Habt ihr deinen morbiden Verehrer identifizieren können?“

„Nein. Leider nicht. Mir schwirrt der Kopf vom vielen Nachdenken“, erwidert Steffi. „Ist dir vielleicht in letzter Zeit jemand eigenartig vorgekommen?“

„Eigenartig? Es musste ja irgendwann so weit kommen. Bei den unzähligen Verehrern, die du  sammelst wie andere Briefmarken,  wundert es mich nicht, dass da ein Verrückter dabei ist“, wirft ihr Constanze an den Kopf.

„Darauf hab ich es noch nie angelegt, das weißt du ganz genau, liebe Constanze. Ein freundliches Wort zu jedem Kunden, sich den Namen und literarische Vorlieben merken, ist nicht zu viel verlangt. Davon leben wir doch“, kann sich Steffi nicht zurückhalten. 

„Da bist du eben Spezialistin drin!“, sempert Constanze. „Schau dir den Hiasl genauer an, der die Lieferung bringt. Der lacht dich oft besonders eigenartig an, verrenkt sich fast den Hals dabei. Und wenn du nicht da bist, da macht er vielleicht eine Leichenbittermine. Oder der Herr Gebhard. Der sabbert ständig bei deinem Anblick. Vielleicht ist es auch deinem Thomas zu viel geworden. Der hat sich bei mir darüber beschwert, dass ihr nirgendwo ungestört hingehen könnt, weil dich überall so viele Männer kennen und grüßen. “

Auf welche Ideen Constanze kommt, wundert sich Steffi.

 

„Ich geh vor in den Laden, die Tür ist gerade aufgegangen.“ Steffi ist über die Unterbrechung dankbar, denn ein längeres Beratungsgespräch könnte sie auf andere Gedanken bringen. Es ist eine Laufkundschaft, welche sich nur umschauen möchte. So beschließt sie, bei einem Rundgang durch den Laden Ordnung zu machen. Dass es stets wie nach einem Bombenanschlag ausschaut, wenn Constanze längere Zeit alleine im Geschäft ist, daran wird sie sich nie gewöhnen. So vergeht der Tag schleppend, jedoch ohne weitere Zwischenfälle.

 

“Blut ist dicker als Wasser“, mahnt Thomas am Abend zum wiederholten Male. „Gegen Verwandtschaft vom Chef wirst du immer den Kürzeren ziehen. Pass auf, dass sie dir nicht sonst wie ans Bein pinkelt. Die eifert nämlich ganz schön! Das ist das einzige Eigenartige, was mir einfällt.“ Er nimmt Steffi ganz fest in die Arme, gibt ihr einen Kuss und verzieht sich mit einem gefüllten Teller ins Wohnzimmer.

„Komm, setzt dich her zu mir und iss etwas mit. Das wird dir gut tun.“ Lachend wedelt er dazu mit einem Glas Bier vor ihrer Nase herum. „Hm… Wüst a an Hopfenblütenblattlbeitltee *.“

„Du unmöglicher Kerl, wie kannst du das Ganze nur so auf die leichte Schulter nehmen“, schmunzelt Steffi über die Faxen ihres Freundes. Widerwillig isst sie ein paar Bissen. Die Elegie des frühen Morgens liegt ihr noch schwer im Magen. Der Pfiff* Bier trägt wenig zu einer erholsamen Nachtruhe bei und wie ein großes Fragezeichen geistern ein paar Worte durch ihren unruhigen Schlaf: Wann hat mich eigentlich zum letzten Mal wer Stefanie genannt?

 

Nervös um sich blickend, schließt Steffi am Morgen den kleinen Buchladen auf. Zaghaft überlegt sie jeden Tag, den Briefkasten nicht zu öffnen. Die ganze letzte Woche war ohne Zwischenfälle vergangen. Und trotzdem lässt sie dieses diffuse Angstgefühl nicht los.

„Augen zu und durch, Steffi! Wir lassen uns nie unterkriegen.“ Wie ein Mantra murmelt sie den Schlachtruf ihres Vaters vor sich hin und öffnet die Briefkastentür. Darin befindet sich nur ein Kuvert auf dem steht: Für STEFANIE!!!

Zitternd wählt sie die Nummer vom Polizeiposten und wartet auf das Eintreffen der Beamten.

„Ich habe das Kuvert nicht angefasst. Es ist noch genauso wie es eingeworfen wurde“, sprudeln die Worte  verstört aus ihr heraus.

Verständnisvoll greift der Polizist behandschuht nach dem Kuvert, öffnet es und zieht eine Karte mit einem höhnischen Totenkopf-Smiley heraus. Es steht kein einziges Wort darauf. Aufseufzend sinkt Steffi in die Knie. Es wird immer skurriler. Macht sich jemand über ihre Angst lustig? Der Beamte wartet mit ihr auf das Eintreffen ihrer Kollegin. 

„Mensch, Steffi“, ruft wenige Minuten später Constanze. „Ich lass dich in nächster Zeit nie wieder das Geschäft alleine aufsperren. Herr Inspektor, da muss doch etwas unternommen werden. Sehen Sie, wie schlecht die liebe Steffi schon aussieht. Die fällt uns ja noch ganz vom Fleisch. Bringt keinen Bissen mehr runter, vor lauter Angst.“ 

„Aber, aber. Der Inhalt dieses Briefes ist anders.“ Steffis Einwand geht in Constanzes besorgtem Redefluss unter.

 

Schnell spricht sich das Auffinden eines weiteren ominösen Briefes unter der Stammkundschaft herum. Steffi steht im Mittelpunkt des Interesses und alle Kunden sprechen ihr gut zu, die Nerven nicht zu verlieren.  Der besorgte Ansturm scheint kein Ende nehmen zu wollen. Constanze mäkelt ständig herum, dass ihr der Trubel um so eine Lächerlichkeit langsam zu blöde wird. 

 

„Ich habe soeben gesehen, wie der Hiasl das in den Briefkasten geworfen hat“, sagt Constanze zwei Tage später und überreicht Steffi ein Kuvert auf dem ‚Für STEFANIE!!!‘ steht. Steffi öffnet es und zieht einen Geldschein und das Bild einer Flasche, von der ein Totenkopf lacht, heraus.

Entsetzt verlässt sie den Laden und läuft wütend hinter dem Lieferanten her, der über die Straße zu seinem Fahrzeug geht.

„Was fällt dir eigentlich ein ….“, ruft sie ihm nach. Es ertönt ein schrilles Hupen. Bremsen quietschen. Steffi schlägt der Länge nach auf der Straße hin. 

„Das hab ich nicht gewollt“, wimmert Constanze. 

 

Aus einem Fenster eines gegenüberliegenden Hauses beobachtet ein unscheinbarer Mann verstohlen die Vorgänge rund um den kleinen Buchladen und murmelt: „Was ist den da los? Und wo zum Kuckuck ist STEFANIE?“

  • sempern: nörgeln, motzen (österreichisch umgangssprachlich)
  • Hopfenblütenblattlbeitltee: Song von den Dornrosen (Geschwisterband mit Schmäh), man beachte den Bierglas-Beat!
  • Pfiff Bier = altwiener Achtelmaß einer Flüssigkeit, z.B. Bier

 

Version 2