Von Florian Ehrhardt

„Guten Morgen! Meyer hat endlich überwiesen!“

Von diesem Schrei werde ich geweckt. Wo bin ich? Ich öffne langsam meine müden Augen, im ersten Moment nachdem ich aus dem Reich der Träume gerissen wurde ist mir mein eigenes Schlafzimmer noch unbekannt. Dann ist auch mein Hirn endgültig mit Schlafen fertig und ich erkenne alles klar und deutlich.

„Schreien Sie doch nicht so! Haben sie nicht gemerkt, dass ich noch schlafe? Arschloch!“

Jetzt steckt der Butler seinen Kopf durch die Tür. „Wie haben Sie mich gerade genannt?“ Auf seiner Stirn sind zahlreiche Fältchen zu erkennen. Sein ganzes Gesicht ist ein großes, dummes Fragezeichen. Wie konnte ich ihn eigentlich jemals einstellen? Meinen Kontostand kann ich auch selber checken. Den Kaffee scheint er auch wieder versaut zu haben. Er ist immer wieder schwärzer als sein Gesicht.

 

„Arschloch habe ich dich genannt! Du sollst mich nicht vor acht Uhr wecken! Jetzt geh mir endlich aus den Augen und mach mir wenigstens ein Frühstück. Das gleiche wie immer! Und Beeilung, du Scheiß-Nigger!“

Er beginnt sich umzudrehen und ist auf dem Weg in die Küche. Das N-Wort lässt ihn einfrieren. Langsam, ganz langsam dreht er sich zu mir um. Ein wütendes Funkeln ist in seinen Augen zu sehen.

„Nein!“

Ich ziehe in gespielter Verwunderung die rechte Augenbraue hoch.

„Ich brauche zwei Minuten um einen neuen Butler zu finden. Das solltest du dir merken, Bürschlein!“

Er macht zwei Schritte auf mich zu. „Sie werden sich für dieses Wort entschuldigen. Ansonsten kündige ich!“ Er spricht langsam und mit fester Stimme, er erinnert mich an einen Panther. „Und außerdem ist es jetzt-“ – Er wirft einen Blick auf seine billige Uhr – „- 8:32. Sie haben ihren Wecker nicht gehört.“

 

Schamesröte steigt mir ins Gesicht. Ich verschlafe meinen Wecker nie. Wie ist das passiert? Er blickt mich weiter wütend an und merkt, wie ich schwach werde.

„War ein harter Abend gestern, oder was?“ Ein neckisches Lächeln umspielt seinen Mund.

„Ich habe nicht mehr getrunken, seit Eva gestorben ist!“ Ich will weiterpoltern, doch sein Blick versteinert sofort wieder.

„Und ich habe gesehen, wie Sie gestern Abend von diesem Essen heimgekommen sind! Harter Abend war nicht auf den Alkohol bezogen sondern auf Ihre anstrengenden Geschäftspartner!

Wieder werde ich verlegen. Er ist mir einfach immer wieder um einen Schritt voraus, so scheint es zumindest. Vielleicht ist er doch nicht so dumm, wie ich dachte.

„Also? Bekomme ich jetzt eine Entschuldigung? Ansonsten bin ich in 5 Minuten hier weg!“ Ich kann meine Wut nicht länger aufrechterhalten, bringe nur noch ein unglaubwürdiges Knurren zustande. Ich muss mich wie ein alter, geprügelter Hund anhören.

„Na gut. Entschuldigung, dass ich das N-Wort gesagt habe. Ich habe äußerst schlecht geschlafen. Helfen Sie mir nun aus dem Bett und beim Anziehen?“

Er beginnt wieder zu lächeln und hebt mich an den Schultern hoch, damit ich aufrecht im Bett sitze. Gott, ich hasse es, so abhängig zu sein!

 

„Hat Meyer eigentlich am Stück überwiesen? Oder will er es wieder abstottern?“

Lorenz grinst weiter. „Wie gesagt, gute Nachrichten, er hat es diesmal am Stück überwiesen. Das heißt, Glückwunsch, Sie sind wieder um eine Million Euro reicher!“

Ich verziehe keine Miene. „Peanuts!“, murmele ich in meinen Bart hinein.

Er sieht mich erschrocken an. „Das sind doch keine Peanuts! Jeder normale Mensch muss dafür jahrelang arbeiten!“

Ich werde so langsam wieder wütend. „Quatsch! Ich bin auch kein normaler Mensch! Ich leite ein Imperium! Eine Million ist NICHTS für mich! Ich bin ein Macher! Ein großer Unternehmer! Ich habe es mir hart erarbeitet, das als wenig ansehen zu können, was für das gemeine Volk Vieles ist!“ Jetzt habe ich mich so richtig in Rage geredet.

Lorenz steht mit heruntergefallener Kinnlade da, während er mir das frische Hemd anzieht. „Das ist viel.“ Er spricht ganz ruhig und mit Bedacht. Wieder vermeine ich Gefährlichkeit in seiner Stimme zu hören. Ich rede im gleichen Ton weiter.

„Es ist nichts, und es ist auch nichts wert! Ich könnte es abheben und verbrennen ohne mit der Wimper zu zucken!“

 

Jetzt platzt wohl auch Lorenz der Kragen. „Meine Güte! Dann spenden Sie es doch! Da ist wenigstens jemandem geholfen der das Geld wirklich brauchen könnte!“ Er brüllt mir ins Gesicht und seine Hände zittern, als er den letzten Knopf des Hemdes schließt.

„Spenden? Die Chefs der Hilfsorganisationen sind nicht viel weniger korrupt als die Politiker, die ich besteche!“ Lorenz wendet sich von mir ab und geht langsam, für meinen Geschmack sogar zu langsam, zum Kleiderschrank, um meine Hose zu holen. Auf halber Strecke bleibt er stehen.

„Schenken Sie es mir! Wenn es für Sie wirklich keinen Wert hat, können Sie es doch mir geben, bevor Sie es verbrennen.“

Ich zucke leicht zusammen. „So wertlos ist es nun auch wieder nicht! Geld verschenken, soweit kommt’s noch!“

Er blickt mich triumphierend an. Fast schon frohlockend wackelt meine Hose in seinen Händen hin und her. „Ha, wusste ich’s doch! Sie hängen also doch daran! Sehen Sie, ich hatte Recht!“

 

Ich versuche vom Thema abzulenken. „Zieh mir lieber meine Hose an!“

„Erst wenn Sie zugeben, dass ich Recht hatte!“ Diese verdammte Abhängigkeit von einem Mann, der nicht mal halb so intelligent ist wie ich, macht mich mal wieder fertig.

„Na gut. Wertlos ist es sicher nicht. Aber macht es mich glücklich? Bringt es mir Eva zurück? Bringt es mich aus diesem verdammten Rollstuhl raus? Kein bisschen!“

Er blickt mich erschrocken an. Ich rede selten über Eva. Ich sehe, wie es hinter seiner Stirn arbeitet, wie er verzweifelt nach einer Antwort sucht. Dann hat er sich gesammelt.

„Da haben Sie Recht. Aber mich würden eine Million Euro nunmal glücklich machen. Für mich ist das verdammt viel Geld. Mir wird das hier langsam echt zu blöd! Ich bereite erstmal das Frühstück vor und mit etwas Kaffee im Magen werden sie vielleicht auch Ihre Aggressionen los, hm?“

 

Ich starre angestrengt ins Leere. Was für ein Mensch bin ich? Wie viele mussten wegen meiner Waffen sterben? Bin ich schlecht? Bin ich böse? Habe ich diesen Rollstuhl verdient? Ich halte kurz inne. Lorenz scheint in Zeitlupe auf die Tür zuzulaufen.

„Halt!“

Lorenz hält inne. „Kein Frühstück also?“ Wieder dieses schelmische Grinsen.

„Nein, das Frühstück sollst du später machen. Aber hol mir erst meinen Laptop! Und zwar schnell! Ich muss eine Überweisung tätigen!