Von Manuela Murauer

Achtsam legt sie einen kleinen Teelöffel voll mit Räuchermischung auf die heiße Kohle ihres Räucherpfännchens. Sogleich erfüllt Rauch und Duft nach Weihrauch, Myrrhe, Salbei und Rosmarin den Raum ihrer modernen Penthousewohnung.

„Was machst du da?“, fragt Ralf, der von der Zeitung hochblickt.

„Die Perchta und ihr Gefolge milde stimmen.“ Sie hält das Räuchergefäß in der rechten Hand und mit der Linken verteilt sie den Rauch langsam in jede Ecke des Wohnzimmers.

„Wen? Ich verstehe nur Bahnhof. Und überhaupt – das riecht schon sehr intensiv!“ Ralf lehnt sich im Sessel zurück, hüstelt ein wenig und beobachtet Martina.

„Hast du noch nie was von der Wilden Jagd gehört? Die geht in den Raunächten um. In der Nacht vor den Heiligen Drei Königen ist die letzte Raunacht und man sollte heute besonders auf die Träume achten, die einem begegnen!“

Ralf betrachtet sie liebevoll und schmunzelt.

„Jetzt kenne ich dich doch schon ein paar Jahre, aber manchmal wirst du mir ein wenig unheimlich. Komm´, setz´ dich und erzähle mir mehr, mein Schatz.“

Martina schlendert langsam von Raum zu Raum und räuchert weiter, dabei spricht sie in leisen Worten ihre Gedanken, die Ralf akustisch nicht versteht.

Anschließend stellt sie das Räucherpfännchen in der Küche auf die Spüle, dann setzt sie sich Ralf gegenüber an den Esstisch.

„Kannst du dich noch erinnern, als ich letztes Jahr diesen argen Hexenschuss über Nacht bekommen habe? Das war auch in der letzten Raunacht.“

„Ja, natürlich. Da hattest du ja diesen Alptraum.“

„Genau. Und darum will ich heuer diesen längst vergessenen Brauch mit dem Räuchern wieder zelebrieren. Meine Oma hat mir vor langer Zeit davon erzählt und es mir gezeigt. In der letzten Raunacht träumt man ganz besonders intensiv und wenn man nicht aufpasst, kann einem die Wilde Jagd begegnen.“ Ralf schmunzelt immer noch, streichelt ihre Hand und zwinkert ihr zu.

„Da gibt es nichts zu lachen, Ralf! Das wird hier bei uns in der Gegend tatsächlich noch ernst genommen!“

„Wilde Jagd, Perchta….. sei mir nicht böse, aber das ist schon sehr weit hergeholt.“

Martina streicht sich eine Haarsträhne aus der Stirn und schüttelt sachte den Kopf.

„Manchmal haben einem diese Träume was zu sagen, man muss nur genau hinhören. Im letzten Jahr hat mir dieser Alptraum nämlich die Augen geöffnet. Dass ich die falsche Entscheidung getroffen habe, als ich das Haus von Oma verkaufte.“

„Was, die alte Bude?“

„Sie hat es mir in gutem Glauben vererbt. Es war doch alles so liebevoll und wohnlich bei ihr und ich war als Kind so gerne dort am Land. Wieso haben wir es nicht restauriert?“

„Jetzt mal langsam! Ich kann dir schon nicht mehr folgen. Erzähl mir von dieser Wilden Jagd und der Perchta und was war da in dem Traum?“

 

Martina holt zwei Tassen Kaffee aus der Küche, reicht eine ihrem Mann, hüllt sich in eine Kuscheldecke und beginnt zwischen den letzten Rauchschwaden zu erzählen:

 

***

 

Die Fensterläden klappern, ein Schneesturm tobt und es wirkt, als könne das kleine, in die Jahre gekommene Bauernhaus dem Getöse nur schwer standhalten.

 

Ich liege schlafend auf dem alten Sofa in der Stube meiner Großmutter, die Holzscheite im Ofen sind fast niedergebrannt und schicken nur mehr wenig Wärme und Licht in den dunklen Raum. Zu meinen Füßen liegt dicht zusammengerollt ihre getigerte Katze. In der Küche, gleich daneben, pfeift der Wind durch den Kamin herein und das rot karierte Geschirrtuch, das am Griff des Backofens hängt, zittert sachte. Am Herd steht noch das Abendessen von Oma, der gusseisernen Pfanne mit Dampfnudeln und Soße entströmt ein zarter Duft nach Karamell und Vanille. Irgendwo tropft ein Wasserhahn und in dem kleinen Stall, der unmittelbar an das Haus grenzt, liegen zwei Kühe wiederkäuend im Stroh.

Der Wind legt zu und ein lautes, ächzendes Geräusch lässt mich aus dem Schlaf hochschrecken.

„Hallo? Wer ist da?“ Meine brünetten, langen Haare sind zerzaust und das weiße, bodenlange Nachthemd zerknittert. Ich schlüpfe in abgetragene Pantoffeln von Oma und ziehe einen tannengrünen Leinenschal fest um die Schultern. Mit vor Kälte zittrigen Fingern suche ich nach dem Lichtschalter der Stehlampe. Die alte Leuchte kann den Raum nur spärlich erhellen. Die Pendeluhr an der Wand tickt im Rhythmus und ich sehe die Zeiger kurz vor Mitternacht stehen.

Draußen tobt der Sturm weiter und rüttelt an den Dachschindeln. Langsam schlurfe ich zum Fenster und drücke meine Nase an die Scheibe. Durch das dichte Schneetreiben kann ich die naheliegenden Straßenlaternen kaum ausmachen. Plötzlich nehme ich Umrisse wahr!

„Was ist das?“, denke ich mir und kneife die Augen zusammen. Große, schwarze Hunde rennen in einem Affentempo durch den Garten, ihre Zungen hängen seitlich aus den Mäulern und leuchten dunkelrot ins Schneegestöber. Den Hunden folgen in einigem Abstand weitere Gestalten.

„Um Himmels willen!“, flüstere ich und nehme eine Hand vor den Mund. Alte Frauen, Kinder, Katzen, Ziegen, Schweine und unfassbar ekelhafte Menschengestalten mit rasselnden Ketten ziehen durch die Nacht. Scheinbar mühelos halten sie dem Sturm stand und mit lautem Geschrei kommen sie näher. Mitten in dem Getümmel erblicke ich Oma. Sie hat ein Lächeln im Gesicht und marschiert hinter einer hässlichen Greisin mit wirren Haaren, glühenden, roten Augen und einer krummen Nase her. Die Alte hinkt und hat einen großen Buckel, an ihrer Seite läuft mit eingezogenem Schwanz ein kläffender, missgebildeter Köter. Die nächste Windbö rattert wieder an den Fensterläden und die Gestalten nähern sich mit Gerassel, Schreien, Johlen, Jammern und Ächzen der Haustür. Mir stockt der Atem, entsetzt starre ich auf die Türklinke. Ein paar Mal rüttelt es kräftig, dann gibt die alte Holztür nach und mit Getöse betreten Menschen und Tiere das Haus. Ich bin wie erstarrt, mein Herz rast und die Knie zittern. Die Hunde zerren an meinem Nachthemd, stinkender Speichel tropft aus ihren Mäulern auf den Boden und die alte, grauenhafte Frau kommt näher.

„Oma! Was ist hier los? So hilf mir doch!“, schreie ich heiser. Meine Großmutter legt lächelnd eine Hand auf den Buckel der Alten.

„Sei milde mit meiner Enkelin, Perchta!“, flüstert sie dem Weib ins Ohr. Die Alte schaut zuerst noch grimmig drein, aber dann entblößt ein boshaftes Grinsen lange, gelbe Zähne. Angewidert drehe ich mich um und schlage die Hände vors Gesicht.

„Wehe dem Weib, welches die Ahninnen nicht ehrt!“, krächzt Perchta.

„Schließe Frieden und verabschiede dich von dem faulen Geruch nach Hass, Neid, Missgunst. Ansonsten wird dich die Wilde Jagd noch öfter heimsuchen!“ Die Greisin schüttelt langsam den Kopf, geht einige Schritte zurück, bückt sich und mit Anlauf springt sie mir in den Rücken.

 

„Neeeeeeeeeeeeeeiiiiiiin!“, rufe ich, aber da war es schon zu spät.

 

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