Von Daniela Seitz

„Okay wir sind 17 Leute hier im Team. Wenn jeder einmal donnerstags den Spätdienst von 16:00 Uhr bis 18:00 Uhr übernimmt, müssten alle nur einmal alle vier Monate einen Donnerstag so lange bleiben“, stellt Paul eine Organisationsänderung in der Teambesprechung zur Diskussion.

„Wie stellst du dir das vor! Ich bin ja nicht Teilzeitkraft, weil ich zu Hause keinerlei Verpflichtungen hätte. Soll mein Mann etwa jedes Mal Urlaub nehmen, um unsere fünf Kinder zu betreuen, damit ich euch kinderlosen Vollzeitkräften den Spätdienst abnehmen kann?“, giftet Amelie emotional zurück, bereit jeden einen Kopf kürzer zu machen, der diese Forderung erneut an sie herantragen könnte.

„Nun, Saskia ist alleinerziehend und bekommt das trotzdem freiwillig auf die Reihe. Außerdem macht deine Jüngste bereits Abitur“, verteidigt Paul seinen Vorschlag.

„Nun ich weiß ja nicht was in Saskias Arbeitsvertrag steht. Aber in meinem steht nichts davon“, blockt Amelie erneut ab.

„Ich denke wir drehen uns hier im Kreis. Jede Teilzeitkraft die das organisieren kann, trägt sich bitte ebenfalls in die Spätdienstliste auf freiwilliger Basis ein und dabei belassen wir das für heute“, beendet Michael, der Teamleiter, die Diskussion.

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Saskia macht Feierabend, um Ihre Zwillinge bei der Tagesmutter abzuholen und trifft am firmeneignen Parkplatz auf Paul, der in seiner Mittagspause Besorgungen erledigen möchte.

„Tut mir leid, dass ich dich heute in die Diskussion mit hineingezogen habe…“, beginnt Paul.

„Das macht nichts Paul. Ist der Liste ja zu entnehmen, dass ich beim Spätdienst helfe und kein Staatsgeheimnis. Aber nimm es mir nicht übel, ich bin zu spät dran und muss jetzt los“, wiegelt Saskia ein sich anbahnendes Gespräch ab, während sie gleichzeitig bereits versucht den Motor zu starten.

Dieser gibt jedoch nur mitleiderregende Geräusche von sich und erstirbt dann.

„Ach verdammt…bitte nicht jetzt“, jammert Saskia.

„Brauchst du Starthilfe? Wenn nur die Batterie leer ist, ich habe Starthilfekabel dabei…“

„Ach keine Ahnung. Aber das Batteriesymbol leuchtet nicht…“

„Zeig mal!“, fordert Paul, muss aber selbst feststellen, dass das Problem schwerwiegender sein muss und wohl nur mithilfe des Pannendienstes behoben werden kann.

„Ich habe aber keine Zeit auf den Pannendienst zu warten! Wegen der Donnerstagsregelung und anderen Verspätungen habe ich schon Ärger mit der Tagesmutter. Ich muss meine zwei Mäuse jetzt abholen. Scheiße, verdammt…“, bricht Saskia in Tränen aus.

„Okay. Eins nach dem anderen. Ich habe Mittagspause. Dann fahre ich dich und deine zwei eben nach Hause, oder wohin du sonst willst, und dann überlegst du, was du wegen dem Auto veranlasst. Hier behindert es ja niemanden und der Parkplatz ist ja rund um die Uhr zugänglich.“

„Paul, das kann ich nicht annehmen. Das ist nicht dein Problem.“

„Kannst du denn jemand anderen anrufen?“

Saskia blickt zum Boden. Sie schämt sich. Paul und sie wissen beide genau, dass Ihre Situation mit pflegebedürftigen Eltern und diversen sozialen Streitigkeiten keine andere Hilfe als Paul hergibt, der sich privat mit Saskia angefreundet hat und deshalb eigentlich so gut wie alles über ihr Leben weis.

„Saskia, das ist ein Freundschaftsdienst! Jetzt komm schon!“

Sie versucht ein weiteres Mal den Motor zu starten. Doch das Auto verweigert unverändert den Dienst. Widerstrebend steigt sie bei Paul ein und lotst ihn den Weg durch die Stadt zu ihrer Tagesmutter. Die Atmosphäre ist verkrampft und nur von ihren Anweisungen unterbrochen.  Als Paul an einer Kreuzung vor der roten Ampel hält, fasst Saskia sich ein Herz.

„Danke Paul! Das ist mir echt peinlich!“

„Okay, ich will nur, dass du weißt, dass du mich auch als Babysitter engagieren könntest. Ich würde deine zwei auch alleine abholen. Ist jetzt halt gerade schlecht, weil ich wieder zur Arbeit muss, aber ansonsten hätte ich jederzeit Zeit für euch!“

„Lilli und James würden nicht mit dir gehen. Du kennst das Passwort nicht und bist damit de facto ein Fremder. Außerdem glaube ich kaum, dass du weißt, worauf du dich mit zwei vier-Jährigen einlässt.“

„Ich bin doch kein Fremder, so oft wie ich schon bei euch zu Hause war. Und du kannst mir das Passwort ja jetzt sagen“, protestiert Paul.

„Es ist mehr ein Lied, das du kennen und singen musst“, lacht Saskia.

„Und welches?“, fragt Paul und reagiert auf die grün gewordene Ampel.

„At the Beginning von Donna Lewis…PASS AUF…DAS AUTO…AHHHHHHHHHHHH….“schreit Saskia, die den Wagen von rechts auf sich wie in Zeitlupe auf sich zurasen sieht und nur noch zwei hochgerissene Arme vor ihren Augen wahrnimmt, bevor sie diese in Erwartung des Aufpralles schließt.

Der Moment bis zur Kollision zieht sich und sie ist innerlich bei Lilli und James. Der erste Blickkontakt, das erste Lächeln, kleine Erfolge wie sich alleine umzudrehen, vorwärts krabbeln, rückwärts krabbeln, das Laufen meistern…als der Aufprall ihren Körper hart trifft und der Schmerz sie unmittelbar erfasst und sie auf der Stelle zerreißt.

                                               **Zwei Monate später**

 

Saskia hat zwei harte Monate im Krankenhaus hinter sich, wird nun aber ohne Folgeschäden nach Hause entlassen. Paul hatte nur leichte Verletzungen und einen Totalschaden am Auto. Er hat sowohl den Notruf gerufen, die Fahrerflucht bei der Polizei angezeigt, sich um beide Autos gekümmert und darüber hinaus auch Lilli und James versorgt. Nun fährt sie nicht direkt nach Hause, sondern zu Paul, weil er die Zwillinge gerade bei sich hat. Sie klingelt und es dauert etwas bis Paul ihr öffnet. Er hat noch Hemd, Krawatte und Hose für die Arbeit an. Seine Krawatte ziert aber ein großer Tomaten Fleck, sein Gesicht ist mehlverschmiert und er kaut an einem Keks herum.

„Komm rein, wir backen gerade“

„Wie siehst du denn aus?“, lacht Saskia.

Paul runzelt die Stirn.

„James wollte seine Spagetti nicht essen und hat sie lieber nach mir geworfen und dabei ist die Soße auf der Krawatte gelandet. Aber du hast Recht. Zwei Vier-jährige gleichzeitig sind wie ein Wirbelsturm. Lilli hat dann eine Mehlschlacht angefangen, weil ich das mit dem Backen und dem Mittagessen irgendwie gleichzeitig erledigen wollte. Das mache ich so auch nie wieder.“

„Na du hättest es doch Marvin überlassen sollen sich um seine Kinder zu kümmern!“

„Habe ich ja! Aber er kannte das Passwort nicht und nach nicht mal einem Wochenende nahm er das Angebot, dass ich ursprünglich dir angeboten hatte, sehr großzügig in Anspruch, weil er überfordert war. Also irgendwie verstehe ich mittlerweile wie ihr euch so zerstreiten konntet. Er bekommt irgendwie gar nichts auf die Kette.“

„Und dir gelingt das besser?“, fragt Saskia.

„Nicht wirklich. Aber das Passwort öffnet einige Türen bei Lilli und James. Ich habe versucht, Marvin zu überreden ihnen das Lied vorzusingen, aber von Singen hält er wohl gar nichts. Na ja und Amelie hat mir auch sehr geholfen!“

„Amelie?“

„Na mit fünf Kindern konnte ich sie fragen und sie hatte für eigentlich alles immer eine Lösung. Im Übrigen weis ich jetzt auch, warum sie sich beim Spätdienst immer so quer stellt. Niemand belohnt Ihre Lebensleistung fünf Kinder groß gezogen zu haben. Stattdessen wird nur immer noch mehr gefordert und sie fühlt sich durch die Forderungen entwertet. So als würde sie nur Leistung erbringen, wenn Sie arbeitet, nicht aber, wenn sie Kinder groß zieht. Das belastet sie sehr!“

„Warum hast du mich nicht gefragt?“

„Wäre einfacher gewesen, aber ich wollte das du dich aufs gesund werden konzentrierst, also habe ich dich bezüglich der Schwierigkeiten angelogen und auf Amelie zurückgegriffen. Im Übrigen sind die Kinder ja offiziell bei Marvin und ich ja nur der Babysitter. Ist also nicht so, als hätte Marvin gar nichts gemacht!“

Saskia lächelt. Dann küsst sie Paul auf die Wange. Als beide im Gesicht von einer großen Ladung Mehl getroffen werden und ein kleiner Junge lauthals kichert.

„James, lass das Mehl liegen!“, rufen beide wie aus einem Mund.

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