Von Robert Pfeffer

(für Inspironia)

 

Auf einem Sofa, irgendwo zwischen Kiel und Konstanz, sitzen Ronny und Heidrun. Sie kennen sich noch nicht lange, sind aber schon daran gewöhnt, dass einer der beiden das Wasser in den Augen hat, wenn sie zusammen sind. Nicht immer sind es Freudentränen. Ein Sog hat die zwei in dieses Haus gespült, ein Sog, dem sie nicht mehr widerstehen konnten. Jetzt, wo sie gemeinsam am Fuß ihrer Krisenpyramide hocken, beschließend sie, den hartgebackenen Schlamm ihrer Vergangenheit aufzuweichen. Gerade erst haben sie den Ernst der Lage so richtig erkannt und wissen nun, dass ein Sturm der Heiterkeit zwar ihre kritische Situation nicht lösen wird, als Gegenlüftchen aber durchaus helfen kann.

 

Machen Sie doch einen Schritt zu auf die beiden. Kommen Sie, liebe Lesende … treten Sie näher. Denken Sie an irgendein x-beliebiges Sofa zwischen Kiel und Konstanz. Haben Sie eines?

 

Gut …

 

***

 

„Dreh dich einfach, so schnell du kannst, im Kreis!“ Ronny wies mit dem Zeigefinger eine Richtung.

„Und was soll das bringen?“ Heidrun zuckte mit den Schultern. „Da wird mir höchstens schwindelig und mit ein bisschen Pech kommt mir alles hoch.“

„Super Idee, dann spuckst du sie gleich mit raus, die dunklen Gedanken.“

„Ich will aber nicht kotzen. Es muss andere Wege geben, wieder fröhlicher zu werden.“

Ronny überlegte. Heidrun sah es. Da war diese kleine Falte auf seiner Stirn, die sekündlich mehr zum Graben wurde, je heftiger er nachdachte.

„Was spukt denn jetzt grad durch dein Hirn?“

„Na …“, er hielt inne.

„Zier dich nicht so.“

„Na, man könnte doch eine Geschäftsidee draus machen.“

„Ich finde, die ganze Gesundheitsindustrie verdient schon ausreichend an uns“, ätzte Heidrun.

„Eben“, entgegnete Ronny, „Zeit genug, dass wir selbst was mitnehmen.“

„Wie soll denn bitte der gemeine Depressionist an seinen eigenen Gewitterwolken im Gehirn was verdienen?“

Ronny nahm Papier und Stift zur Hand.

„Wenn du dich schnell im Kreis drehst, drückt es die dunklen Gedanken an den Kopfrand. Eine Grübel-Zentrifuge quasi.“

Heidrun fasste sich an die Stirn.

„Nimmst du die Mirtazapin noch? Ich hab dir immer schon gesagt, das Zeug macht matschig in der Birne.“

„Nein, bin lange von weg“, antwortete Ronny. „Es müsste was auf den Markt als Alternative zu dem Chemiekram. Die Grübel-Zentrifuge sammelt den Gedankenquark an der Seite und leitet ihn über eine Sorgenrutsche ab.“

„Die Idee gefällt mir, dann könnte ich mir den Dunkelsaft ne Weile angucken, bevor ich ihn in den Ausguss kippe.“

„Oder“, er hob den Zeigefinger, „du frierst es ein. Für schlechte Zeiten.“

Sie winkte ab. „Du hast sie nicht mehr alle.“

„Aber klar“, er stand vom Sofa auf und redete mit wilden Gesten auf sie ein. „Ich hab sie erst recht alle! Wir brauchen Produkte für das ganze leidende Volk da draußen. Einen revolutionären Therapieansatz.“

Heidrun lehnte sich zurück und sank im Sessel nach unten. „Was schwebt dir denn so vor? Eine Düsternis-Leuchte? ‚Schwenken Sie sich mutig durch Ihre Orientierungslosigkeit, liebe Kunden‘. So was in der Art?“

Ronny kniete sich vor den Tisch und schrieb etwas auf. „Düsternis-Leuchte, wie geil. Aber erst muss der Anwender wissen, ob er überhaupt Bedarf für eines unserer Produkte hat.“

„Jaaaaa“, rief Heidrun und sprang hoch. „Nehmen Sie ordentlich Anlauf und springen Sie über die Psycho-Messlatte. Wenn Sie reißen, dann sind Sie bei uns richtig!“

Sie sank zurück in den Sessel.

„Perfekter Einstieg“, sagte er. „Um den Leuten was Gewohntes zu bieten, empfehlen wir im ersten Schritt die mindestens dreiwöchige Einnahme von Bitterkeits-Drops. Tabletten ziehen immer.“

„Ach, Mann, was versuchst du da gerade? Eine Ausflucht aus deinen eigenen Problemen?“

„Vielleicht, ist aber auch egal, oder? Solange es wenigstens fröhlich macht?“

„Tut es das?“, wollte Heidrun wissen.

„Bei mir wirkt es.“ Ronny lächelte. „Geteiltes Leid ist bekanntlich nur halbes.“

Das gefiel ihr. Sie setzte sich aufrecht hin und sah auf Ronnys Liste.

„Düsternis-Leuchte, Grübel-Zentrifuge, die Bitterkeitsdrops … der Anfang ist gemacht. Was wir unbedingt noch brauchen, ist etwas, das einen bei Besserung rasch wieder runterzieht. Wäre doch nicht auszudenken, wenn die Kunden uns zu schnell von der Leine gehen. Außerdem soll es  ja Leute geben, die an ihrem Drama festhalten wollen. Wie wär‘ es mit einem Gedanken-Eintrüber?“

Ronny lachte lauthals und notierte.

Heidrun kam in Fahrt. „Sobald Positives auftaucht, hilft ein Zermürbungs-Transformator. Und sofern Sie eine kritische Menge an weiterführenden Erkenntnissen erreicht haben, nutzen Sie den Therapieerfolgs-Zerstäuber. Als Pumpspray, oder?“

„Hör auf, ich kann mit den Tränen in den Augen nicht schreiben“, flehte er nach einer Pause.

„Das Ganze muss für Frauen natürlich optisch etwas bringen. Ich denke, wir sollten schwarze Regenbogentusche anbieten.“

„Genau, in Kombination mit Lippenstift, der nach Radicchio schmeckt.“

„Sehr gut, die ideale Ergänzung zu den Bitterkeitsdrops.“

Ronny holte tief Luft und hielt dann doch inne. „Es müsste noch was geben, wo man sich mal dran anschließen kann. Ein Passivitäts-Motor. Wie gefällt dir der?“

„Ja, und für ein bisschen Extrakohle sorgen wir für verschiedene Stecker, damit wir unterschiedliche verticken können. Was man unbedingt braucht, das ist der Hoffnungslosigkeits-Adapter, mit dem passt wieder alles.“

„Du Fuchs“, lobte Ronny. „Ich denke auch an ein Burnout-Pulver, das bei zwischenzeitlichem Akut-Bedarf eingesetzt wird. Vorschläge für Geschmacksrichtungen?“

„Vanille-Asche und Erdbeer-Dynamit.“

„Das kam aber jetzt sehr spontan …“

„Ich bin nur auf deinen Zug aufgesprungen. Ich bin Opfer!“

„Is klar. Fehlt uns denn noch was?“

Heidrun überlegte. „Wer was nachlesen will, der kann sich ein PDF runterladen. Vielleicht mit einer Selbstgesprächsordnung.“

„Wunderbare Ergänzung. In Sachen Orientierungslosigkeit braucht es zur Düsternis-Leuchte ein zusätzliches Hilfsmittel. Der Selbstkritiker-Kompass.“

„Aber doch nicht mit Norden, Osten, Süden und Westen?“

„Nein, natürlich nicht. In den vier Richtungen stelle ich mir Wörter vor. ‚Echt?‘, ‚Wirklich?‘, ‚Sicher?‘ und ‚Ach komm!‘. Das sollte Vertrauen in die eigenen Zweifel geben, oder?“

„Selbstverständlich. Ich nehme an, der Kompass ist ein analoges Teil, richtig? Wir brauchen auch was fürs Wischfon. Eine App. Was Digitales halt.“

Er schlug sich an die Stirn. „Dass ich da nicht drauf gekommen bin. Klar. Ein Emotions-Timer. Einfach die Hand aufs Gerät und Wunschgefühl durch Auflegen übertragen.“

 

Erschöpft sanken beide in die Sitzmöbel. Heidrun schmunzelte, doch etwas Bitteres lag darin.

„Ronny, mal ehrlich. Bis das alles Marktreife hat, sind wir bereits Humus.“ Sie nahm ihm die Liste ab, faltete sie und setzte an, sie zu zerreißen.

„Nein, halt“, schrie er und holte sich das Papier zurück, klappte es auf. „Das mag völliger Quatsch sein, aber du musst zugeben, dass wir schon lange nicht mehr so gelacht haben.“

„Das stimmt. Wollen wir den Zettel erst mal nur so aufheben?“

„Vielleicht hängt er mal unter Glas später, wer weiß? Ich find es jedenfalls super, dass wir über die Scheiße auch lachen können, in der wir sitzen. Du kannst ne Weile im Selbstmitleid ersaufen, doch irgendwann heißt es, aufstehen und lächeln. Das ist eh die schönste Art, dem Schicksal die Zähne zu zeigen.“

„Hast recht, mein Lieber. Und aus dem Gröbsten sind wir immerhin raus.“

„Ein Grund mehr, mit einem lachenden Auge dagegen zu halten. Oder soll ich etwa in die Trübseligkeit zurückfallen?“

Heidrun schmunzelte wieder. Diesmal ohne jede Bitterkeit. Sie legte ihm die Hand auf die Schulter.

„Auf keinen Fall! Bleib einfach, wie du bist: ein geheilter Depressionist!“

 

***

 

Irgendwo zwischen Kiel und Konstanz. Ein Sofa. Es wartet auf die Nächsten …

 

(Version 2)