Von Daniela Seitz

„Verschwinde Patrick und hör auf, immer hier bei uns rumzuhängen“, schreie ich.

„Aber was…“, setzt Patrick an.

„So eine blöde Idee. Cataleya ist kein Dornröschen und jetzt raus mit dir!“, unterbreche ich ihn.

Während ich Patrick zur Tür dränge, kommt meine Mutter Laura vom Einkaufen nach Hause und steht in der Tür, durch die ich Patrick gerade hindurch schubsen wollte.

„Was ist denn hier los?“, fragt sie.

„Nichts! Überhaupt nichts. Patrick wollte gerade gehen“, brülle ich, verlasse den Raum und renne ins Bad. Mir laufen mittlerweile Tränen übers Gesicht, die mir die Schminke verschmieren.

Nicht lang und meine Mutter kommt mir hinterher und mustert mich von oben bis unten. Ich beachte sie nicht und versuche mein Gesicht wieder in Ordnung zu bringen.

„Du siehst sehr hübsch aus, Mia“, beginnt sie.

„So fühle ich mich aber nicht“, antworte ich bissig.

„Warum nicht?“

„Weil ich die Kilos nach der Schwangerschaft einfach nicht loswerde. Im Übrigen ist es Patrick wichtiger, blöde Wortspielereien aus dem Wort Schneewittchen zu machen, weil er zu dem Y aus dem Namen Cataleya einfach keine Eigenschaft findet, die er, wie die 13 Feen aus Dornröschen, Cataleya als gute Gabe wünschen kann.“

„Ähhm, was…?“

„Und weil Schneewittchen 14 Buchstaben hat und es in Dornröschen aber nur 13 Feen sind, setzt er aus einem der beiden C`s in Schneewittchen den Namen Cataleya statt einer Gabe ein. Damit es auch ja mit den 13 Wünschen der 13 Feen aus Dornröschen übereinstimmt. So ergibt sich dann ein S wie schön, C wie Cataleya, H wie heiter, N wie neugierig, E wie ehrlich, E wie einfallsreich, W wie wehrhaft…“

„Mir scheint, es kann dir nicht nur um die Wortspielerei gehen“, unterbricht meine Mutter meinen Redeschwall.

„Doch genau darum geht es. Cataleya ist unser Schneewittchen, weil sie in einer Schneekatastrophe geboren wurde und wie Schneewittchen schwarze Haare hat. Warum will er nun ein Dornröschen aus ihr machen?“, echauffiere ich mich.

„Ich glaube eher, du bist sauer, weil er nicht wahrgenommen hat, wie toll du heute aussiehst. Und du fühlst dich zurückgesetzt, weil Cataleya dir seine Aufmerksamkeit raubt. Immerhin verbringt er viel Zeit hier. Aber es geht immer um Cataleya, wenn er da ist, nicht wahr?“

„Nein! Ich will ja, dass er sich um sie kümmert …“, halte ich dagegen.

„Aber du möchtest von ihm nicht nur als Cataleyas Mutter wahrgenommen werden! Warum hättest du dich heute sonst so aufgedonnert? Und warum solltest du Tränen nur wegen einer Wortspielerei vergießen?“

„Vor Cataleya war er ganz anders…“

„Das mag Schneewittchens Stiefmutter auch gedacht haben, als der Spiegel anfing Schneewittchens Schönheit höher zu loben, als ihre eigene Schönheit. Wenn du Cataleyas Vater aus dem Haus jagst, weil er ihr mehr Aufmerksamkeit schenkt als dir, bist du nicht besser als die böse Stiefmutter!“

„Aber ich jage ihn doch gar nicht fort…“

„Nun, eben wolltest du ihn zur Tür rausschubsen, oder nicht?“

„Na ja, ich…“

„Es ist normal, dass dir die Aufmerksamkeit fehlt. Als du vor 17 Jahren geboren wurdest, da hatte ich nur noch Augen für dich. Dein Vater fühlte sich genauso von mir zurückgesetzt, wie du dich jetzt von Patrick vernachlässigt fühlst. Da hilft nur eines.“

„Was denn?“

„Rede mit Patrick! Und lass nicht zu,  dass du wie Schneewittchens böse Stiefmutter wirst.“

Schneewittchens böse Stiefmutter! Pah! Und das mir. Ich bin Cataleyas Mutter. Nicht irgendeine Frau, die sich um irgendein Kind kümmern soll, dass sie nicht geboren hat. Ich liebe Cataleya! Mehr als ich Patrick liebe.

Meine Mutter sieht mich schweigend an. Ihr Blick hat etwas Aufforderndes.

„Ist ja gut. Ich ruf ihn nacher an und…“

„Er ist noch da. Cataleya hat wegen deines Geschreis geweint. Ich hielt es für besser, wenn Patrick sich um sie kümmert, während ich nach dir schaue. Ich schaue jetzt nach ihr und ihr zwei redet miteinander.“

Cataleya weint? Und ich bin nicht bei ihr? Ich schaue in die Spiegel. Während des Gespräches hatte ich mein Make-up erneuert. Cataleyas Weinen hatte ich überhaupt nicht wahrgenommen. Stattdessen stehe ich vor dem Spiegel und mache mir Sorgen über mein Aussehen. Das ist keine Mutter, die mir da aus dem Spiegel entgegenblickt. Sondern Schneewittchens Stiefmutter!

„Ich kümmere mich um Cataleya“, sage ich und will an meiner Mutter vorbei zu meiner Tochter.

„Nein, Mia. Du bleibst hier. So aufgelöst wie du jetzt bist, verängstigst du sie nur wieder. Ich schicke dir Patrick runter.“

Sie hat ja Recht. Ich bin immer noch weit entfernt davon, ruhig zu sein.

„Aber wie soll ich das Patrick erklären?“

„Sag ihm die Wahrheit. Dass du Angst hast.“

Meine Mutter lässt mich los und geht nach oben zu Patrick und Cataleya. Habe ich Angst? Patrick hat mich während der ganzen Schwangerschaft ignoriert, weil er die Verantwortung anfangs nicht übernehmen wollte. Wäre die Schneekatastrophe nicht gewesen, würde er mich und Cataleya wahrscheinlich immer noch ignorieren. Ja! Ich habe sogar große Angst. Denn er hat mich verletzt.

Und seine nun übergroße Aufmerksamkeit für Cataleya macht das nicht wieder gut. Anfangs hat er nur auf Cataleya aufgepasst, wenn ich einen Babysitter brauchte und hat dafür sein Fußballtraining sausen lassen. Mittlerweile ist er täglich da, wechselt Windeln und hat sich geradezu unentbehrlich für Cataleya gemacht. Mir hingegen zeigt seine tägliche Anwesenheit, was ich verloren habe.

„Deine Mutter sagt, du willst mit mir reden“, fragt Patrick und lugt zögerlich durch die Badezimmertür.

„Ach, komm schon rein“, sage ich entnervt.

„Okay, worum…“

„Patrick, du ignorierst mich immer noch!“, unterbreche ich ihn. Kurz und schmerzvoll. Anders geht es nicht. Sonst verliere ich den Faden.

„Aber ich…“

„Du bist täglich da, aber es geht dir immer nur um Cataleya. Was macht Cataleya? Wie geht es Cataleya? Für mich interessierst du dich gar nicht mehr.“

„Aber ich frage doch, auch wie es dir geht…“, setzt Patrick zur Verteidigung an.

„Ach, du meinst, als du gefragt hast, ob meine Nippel immer noch wund sind und wehtun? Ich bin doch keine Milchkuh, die einzig dazu da ist, deine Tochter zu stillen! Fällt dir denn heute gar nichts an mir auf?“

Patrick verstummt und wir schweigen uns an. Er scheint mit irgendetwas zu ringen. Dann trifft er eine Entscheidung. Ich mache mich auf kurz und schmerzvoll gefasst. Warum sollte er es anders machen als ich?

„Seit du mir heute die Tür in diesem Minirock aufgemacht hast, denke ich nur daran, wie ich dich an die Wand drücke, dich aufs Bett werfe und dich so oft nehme, dass du um Gnade flehst!“

Shit! Voller Frontalangriff! Mir ist irgendwie der Wind aus den Segeln genommen. Es ist genau die Reaktion, die der Minirock hervorrufen sollte und in der Vergangenheit auch immer zur Folge hatte. Trotzdem mache ich intuitiv einen Schritt zurück, als Patrick einen Schritt auf mich zu macht. Er hatte sein Begehren weder durch Mimik oder Gestik verraten, als ich die Tür öffnete. Daher überrascht er mich nun.

„Aber ich wollte wieder gut machen, dass ich dir in der Schwangerschaft nicht beigestanden habe. Ich wollte dir beweisen, dass ich ein guter Vater sein kann. Außerdem hast du gesagt, dass ich dich benutzt habe. Ich wollte vermeiden, dich wieder zu benutzten. Also wollte ich mir beweisen, dass ich dir widerstehen kann. Das war wohl ein Fehler. Tut mir echt leid!“

Seine Worte sind Balsam für meine Seele. Er will bleiben! Und das nicht nur wegen Cataleya. Er will mich! Ich überwinde den Abstand, der uns trennt und küsse ihn. Er erwidert den Kuss innig und hält mich fest, als wolle er mich nie wieder gehen lassen. Ich spüre sein Begehren und bin bereit mich jetzt und hier hinzugeben.

„Deine Mutter hat mir gesagt, dass sie dich mit Schneewittchens Stiefmutter verglichen hat.“

Muss er das jetzt erwähnen. Er macht doch nur die Stimmung kaputt.

„Glaub mir Mia. Für mich bist du die Schönste im ganzen Land!“

 

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