Von Eva Fischer 

Er stand nicht unbedingt auf meiner Wunschliste, denn Männer, die machtgeil sind, finde ich nicht so sexy wie sie sich selbst. Eher hätte ich mir eine Begegnung mit seiner ersten Frau, Joséphine de Beauharnais, vorstellen können. Gerne hätte ich gewusst, wie man jüngere Männer verführt, und wie man es anstellt, dass man sich nicht langweilt, während sich der Ehemann in irgendeiner Schlacht tummelt.

 

Aber die Gestalt, die leicht gekrümmt hinter einem Schreibtisch auf einem Stuhl saß, war eindeutig Napoleon der Erste, der Echte, nicht der Versager, der Dritte. Nun ist es nicht schwer, einen Napoleon wiederzuerkennen, auch wenn er auf den Tag genau 196 Jahre tot ist. In den Geschichtsbüchern wird ihm noch immer ein Kapitel gewidmet. Obwohl es zu seiner Zeit kein Internet gab, ist sein Bild allbekannt. Dafür hat er selbst gesorgt, denn er hat sich so malen lassen, wie er gern gesehen werden wollte, als Held des Volkes, zugegeben vor allem des französischen Volkes, aber wir Deutschen haben auch ein paar Reförmchen abgestaubt, denn er hat die absolutistischen Fürsten mit den in der Revolution errungenen Menschenrechten konfrontiert (Männerrechte, für Frauen galten sie eher nicht).

 

Mit 1.68 m war er auch gar nicht so klein, wie ihm immer nachgesagt wurde. Ich meine, ich bin auch 1.68 m, aber ich bin Deutsche und die Franzosen sind im Schnitt eben kleiner geraten. Man denke nur an Alain Delon und Romy Schneider, die keine hochhackigen Schuhe  tragen konnte, wenn sie neben Alain spazierte.

 

Bekanntermaßen kleidete sich Napoleon bevorzugt in Weiß (nicht unbedingt praktisch in einer blutigen Schlacht, finde ich) und ritt sogar auf einem Pferd in der gleichen Farbe. Die rechte Hand hatte er stets unter seiner Brust in einer Weste stecken, vermutlich ein notwendiges Erkennungszeichen für einen Menschen mit großem Ego – wie später Angela Merkel mit ihrer Raute oder Joseph Beuys mit seinem Hut.

 

Ludwig XIV trug noch eine Perücke auf dem Kopf. Napoleon dagegen formte mit seinem echten Haar eine Schmalzlocke, die später Elvis Presley zu einer Tolle ausbaute, aber ansonsten gleichen sich die Posen der beiden französischen Herrscher. Der Thron war vakant geworden, nachdem man den alten König auf die Guillotine geschickt hatte. So konnte sich Napoleon wieder eine Krone auf den Kopf setzen, die kaiserliche, versteht sich, nicht die königliche wie seine Vorgänger.

Ich bin nicht unbedingt ein Fan von ihm. Als ich im Pariser Invalidendom vor seinem Sarkophag stand, da hoffte ich, der Herr wäre bis auf die Knochen verfault und für mich endgültig abgehakt. Mir reichte schon, was ich mir im Geschichtsunterricht über ihn anhören musste.

 

Zugegeben, die kleine Insel St. Helena war nicht der Ort, um ihn aus dem Gedächtnis zu streichen. Der Souvenirladen in Longwood House bot sein Konterfei in unterschiedlichen Kitschvarianten an. Etwas unscharf, aber forever young starrte mich der französischen Kaiser tausendfach an.

 

Ich traf ihn leibhaftig in seinem letzten Domizil, wie gesagt vor seinem Schreibtisch sitzend, und nicht in der Badewanne wie Hans Conrad Zander, der Zeitzeichen-Autor, in seinem Buch über historische Persönlichkeiten schreibt. Der Kaiser wirkte nicht amused, als er mich bemerkte. Nun hat sich die Mode inzwischen auch etwas verändert und er erachtete sicher eine Frau in Jeans (in Hosen!)  als einen unverzeihlichen Fauxpas. Mein T-Shirt ließ allerdings aufgrund der südatlantischen Wärme ähnliche Einblicke in die weiblichen Reize zu wie Joséphines legendäre Kleider.

 

Das ist ein Schauspieler, mutmaßte ich sofort, auch wenn er nicht dem berühmten Napoleondarsteller Christian Clavier ähnelte. Sein Gesicht wirkte schon etwas zerfurcht. Zumindest sah er älter aus als heute ein 51 Jähriger (George Clooney wirkt mit seinen 56 Jahren deutlich jünger), aber schließlich hatte Napoleon zu Lebzeiten viel Ärger gehabt (allerdings auch verbreitet) und sein Ende war nicht so ruhmreich, wie er sich das vermutlich vorgestellt hatte. So etwas schlägt auf den Magen, wenn einen die Erzfeinde, die Engländer, auf einer Insel festsetzen. Korsika hätte ihm sicher besser gefallen. Für ihre Küche sind die Briten auch nicht gerade berühmt, denn Jamie Oliver war noch nicht geboren.

 

Was macht er hier? Und wie kommt er hierher? Ist er echt oder ist es eine Show anlässlich seines 196. Todestages? Richtig rund und feierträchtig war das Datum, der 5. Mai 2017, auch wieder nicht.

Würde er mein Schulfranzösisch verstehen und würde er überhaupt mit mir sprechen, um alle meine Fragen zu beantworten?

 

Ich räusperte mich, während ich fieberhaft nachdachte, wie ich ihn ansprechen sollte. Salut Napi, war wohl nicht passend. Monsieur l’Empereur oder Sa Majesté in Anlehnung an die Queen? Schließlich befand ich mich auf englischem Territorium. Er schaute tatsächlich auf, schien mich aber dennoch nicht wahrzunehmen, so als sei ich Luft, was man eher bei ihm hätte vermuten können.

Das Wort „ réponse“ verstand ich unter seinem Gemurmel. Sieh an, auch ein Kaiser hatte Fragen, wartete noch nach dem Tod auf Antworten. Vielleicht, wie oft und mit wem hat mich Joséphine, diese Bitch, betrogen? Oder, war es schlau, Marie-Louise, diese österreichische kaiserliche Landpomeranze, aus Gründen der Staatsraison zu heiraten?

 

„Qui m’a tué?“, stieß er stattdessen hervor und packte mich an den Schultern.

„Ich war es nicht“, beteuerte ich ihm. „Das waren die Engländer.“

« Qu’est-ce qui m’a tué ? »

„Ach, was hat Sie umgebracht ? Nun, da streiten sich die Gelehrten. Die einen sagen, Sie hatten Magenkrebs, die anderen glauben, in Ihren Tapeten waren arsenhaltige Farben. Aber im Ernst, Majestät, spielt das nach all den Jahren noch eine Rolle?“

Vielleicht war mein Schulfranzösisch nur mittelprächtig. Meine Antworten schienen ihn jedenfalls nicht zu befriedigen. Stattdessen musterte er aufmerksam mein Dekolleté.

„Chauffez-moi, mademoiselle. J’ai froid.“

 

Tatsächlich fühlte sich der Mann, dem ich dank gleicher Körpergröße auf Augenhöhe begegnen konnte, ziemlich frostig an. Er legte die Arme um mich (oder ich um ihn) und ich spürte, wie meine Körpertemperatur stieg (und seine auch). Wann hat man schon mal die Möglichkeit, eine so wichtige historische Persönlichkeit zu wärmen? Vielleicht hätte er Waterloo nicht verloren, wenn er vor der Schlacht den heißen Körper einer Frau gespürt hätte?

Solche und andere Gedanken schwirrten mir durch den Kopf. Am wenigsten beschäftigte mich die Frage, ob dieser Mann allen Naturgesetzen zum Trotz Napoleon war oder nur ein Hochstapler, der meine Gutmütigkeit ausnutzte.

Irgendwann sanken wir auf den lehmigen Boden. Dann verließen mich leider meine konkreten Erinnerungen. Es blieb nur das Bedauern, dass es um manche Männer wirklich schade ist, wenn sie so früh sterben –  aus welchem Grund auch immer.

 

Die Tür wurde geöffnet und der Museumswärter fragte mich, ob ich ein Problem hätte, weil ich auf dem Boden läge.

„Ich habe Napoleon getroffen“, hauchte ich noch ganz benommen.

Er blinzelte mich ungläubig an. Darauf war ich gefasst und wollte zum Beweis auf  Napoleon zeigen, aber meine Arme waren leer.

„Er war hier. Ganz sicher. Heute. An seinem Todestag,“ stammelte ich.

Der Museumswärter seufzte.

„Miss, Sie sind jetzt schon die fünfte, die Napoleon getroffen haben will.“

 

3. Fassung