Von Beate Fischer

Carola hatte es geschafft. Das erste Jahr war überstanden und langsam schrieb sie schwarze Zahlen. Ihr Konzept war aufgegangen: Yoga-Studio und Physiotherapie ergänzten sich perfekt. Doch sie hatte noch viele Ideen, für die ihr das nötige Kleingeld fehlte.

Stolz blickte sie sich in ihrem Studio um. Der zartgrüne Boden harmonierte mit den lavendelfarbenen Wänden und den sonnengelben Tüchern, die die Lampen verhüllten. Hier musste man sich einfach wohlfühlen. Wenn sie daran dachte, wie viel Schweiß und Tränen sie in diesem Keller bei der Renovierung vergossen hatte, schmerzte ihr Nacken wieder wie damals. Sanft ließ sie ihren Kopf von einer Seite zur anderen pendeln und atmete tief durch das rechte Nasenloch ein und durch das linke aus.

Da vernahm sie wieder dieses Schaben und Kratzen. Hoffentlich keine Ratten, dachte sie und schüttelte ihre Schultern aus. Sie konnte dieses Geräusch nicht lokalisieren, es kam von unten und von den Seiten. Manchmal bebte sogar der Boden, nur ganz leicht, wie ein zärtliches Vibrieren der Erde, dennoch ging es ihr durch Mark und Bein. Und dann dieses Fiepen und Wispern, dieses Grummeln und Räuspern. Täglich wurde es lauter. Etwas kam näher.

„Quatsch“, schalt sie sich und fröstelte. „Du warst schon immer eine abergläubische Närrin. Wahrscheinlich sind das nur Kanalarbeiten oder irgendwelches Ungeziefer.“ Sie würde sich bei der Gemeinde erkundigen, ob im Umkreis ihres Hauses Reparaturen an der Kanalisation im Gange wären. Und falls das nicht der Fall war, würde ein Kammerjäger dem Spuk gewiss ein Ende bereiten.

Doch jetzt musste sie an morgen denken, an ihr Jubiläumsfest. Mit Workshops, mit Vorträgen, mit leckeren ayurvedischen Gerichten. „Nahrung für Körper, Seele und Geist“, hatte sie ihren Flyer überschrieben.

Die Presse hatte sich angemeldet und auch die lokale Prominenz aus Politik und Wirtschaft würde sich einen Besuch nicht nehmen lassen. Schließlich hatte sie aus dem Schandfleck der kleinen Stadt ein Schmuckstück gezaubert. Die negative Energie, die die Villa bis zu ihrem Einzug umgeben hatte, war wie weggeblasen. Zumindest hatte sie das gedacht. Sie musste sich eingestehen, dass dieses Zischen und Murmeln im Untergrund ihr hin und wieder eine Gänsehaut bescherte.

Die Türklingel riss sie aus ihren Gedanken. Bestimmt war das Conni mit der restlichen Deko. Erleichtert stieg sie die Treppe nach oben.

***

„Gratulation, meine liebe Frau Brenner. Was Sie aus diesem Anwesen gemacht haben, ist grandios.“
Der Bürgermeister beugte sich vertraulich zu ihr hinunter. „Ich hätte nicht gedacht, dass die Vorfälle hier jemals in Vergessenheit geraten würden. Aber Sie haben dieses Gebäude gewissermaßen neu erfunden.“
„Aber ganz aufgeklärt wurden diese Geschichten nie“, mischte sich Karl Kranz, seines Zeichens Lokalredakteur und Kenner der Stadtgeschichte, ein.
„Die verschwundenen Frauen, die Drogenfunde, zuletzt der Bankraub mit der fehlenden Beute. Ist es Ihnen nicht manchmal mulmig hier drin, Frau Brenner?“
„Oh nein,“ Carola setzte ihr künstlichstes Lächeln auf. „Das ist doch alles schon Jahre her…“
„Naja, die Verhaftung war vor gut drei Jahren“, grätschte Kranz dazwischen. „Da ist noch lange nichts verjährt, ein Täter ist nach wie vor flüchtig und einer zieht vom Knast aus immer noch die Fäden in der Halbwelt.“
„Ich fühle mich hier jedenfalls ausgezeichnet“, versuchte Carola sich selbst und Kranz zu überzeugen. „Bisher hat noch kein Verbrecher an meiner Haustür geläutet und ‚Geld oder Leben‘ gerufen.“

Der Scherz blieb ihr fast im Halse stecken, als plötzlich der Raum schwankte.
„Hoppla“, Karl Kranz schnappte ihren Arm. „Bleiben Sie aufrecht, Frau Brenner“.
Carola schaute sich um. Die Gäste unterhielten sich, als sei nichts geschehen. Hatte niemand diese Erschütterung gespürt?

Sie entwand sich Kranz‘ Griff und entschuldigte sich.
„In zehn Minuten startet der erste Workshop. Ich hoffe, Sie erweisen mir die Ehre, daran teilzunehmen.“

Der Bürgermeister stimmte erfreut zu und nahm einen Schluck Yogi-Tee, während Kranz den Rückzug antrat.
„Ich muss noch ein paar Fotos machen, außerdem hat mir eine ihrer netten Therapeutinnen vorhin eine Privatstunde versprochen.“

***

„Zur Abschluss-Entspannung legen Sie sich bitte wieder auf die Matte, die Arme bequem neben dem Körper, Handflächen nach unten, Knie und Füße fallen locker auseinander.“
Carola hörte, wie die Teilnehmerinnen des Workshops und der Bürgermeister als einziger Mann in der Runde erleichtert aufatmeten. „Der Baum“ hatte allen viel Standfestigkeit abverlangt.

„Wir wandern mit unserer Aufmerksamkeit durch unseren Körper“, leitete sie die Übung nun an, als ein dumpfer Schlag die Wand hinter ihr in Schwingung versetzte. Noch einer. Und noch einer. Farbe rieselte herab. Die Vorhänge blähten sich. Dann stürzte die Welt ein. Steine schlugen Krater in den Bodenbelag, Frauen kreischten, Staub wirbelte auf, ein ekelerregender Geruch nach Kloake erfüllte die Luft.

Carola blieb wie angewurzelt stehen und starrte auf die beiden eingestaubten Gestalten in Blaumann und mit Bauhelm, die sich langsam aus dem Inferno schälten.

„Ich hab dir doch gesagt, dass du die Karte falsch herum gehalten hast“, schnauzte der eine.
„Die war richtig herum. Aber du bist mindestens zehn Meter zu weit gegangen, du Schwachkopf“, schimpfte der andere zurück.
„Hier“, ein Finger stach auf die Karte ein, die der erste in der Hand hielt, „hier führt der Kanal entlang. Das da“, er zeigte hinter sich, „ist gar nicht eingezeichnet. Das muss ein privater Gang sein.“
„Aber da war auch eine Tür“.
„Ja, aber die war zugemauert. Kapierst du? Hinter der Tür war eine Wand.“
„Du wolltest mit Gewalt da durch.“
„Ja, aber nur, weil du so stur bist und nicht nachgegeben  hast.“
„Ich stur? Du spinnst wohl. Ich hab gleich gesagt, dass wir vom Weg abgekommen sind.“
„Quatsch, ich zuerst.“.
„Nee ich.“
Die beiden ballten die Fäuste und wollten gerade aufeinander losgehen, als ein Räuspern sie aufhorchen ließ.

Der Bürgermeister hatte sich vor Carola postiert und musterte die Männer, während sich Kranz, vom Lärm angelockt, an ihr vorbeiquetschte, seinen Fotoapparat in Anschlag brachte und wie wild drauflos knipste.

„Was haben Sie hier zu suchen?“, donnerte der Bürgermeister im nächsten Augenblick los.

„Oh, Herr Bürgermeister“, der erste Bauarbeiter wischte sich ein paar Krümel aus den Augen. „Ich hab Sie gar nicht erkannt.“
„Tut uns leid“, fiel der andere ein. „Wir bringen das natürlich wieder in Ordnung. Die alten Karten sind manchmal verwirrend. Unser Gebiet ist eigentlich im Süden der Stadt. Außerdem, schauen Sie mal hier“, er tippte auf das Durcheinander aus Linien und Kästchen, „da kann auf dem Plan etwas nicht stimmen…“.

„Raus hier“, der Bürgermeister war außer sich. „Das wird Folgen für Sie haben. Sie werden persönlich für den Schaden gradestehen. Lassen Sie sich hier nie wieder sehen.“

Die beiden flohen durch das Loch in der Mauer und entfernten sich schnell, während der Bürgermeister hektisch anfing, im Durchbruch Steine und Mörtel aufeinander zu türmen.

Carola erwachte wie aus einem Dornröschenschlaf und sah sich verwirrt um. Hinter ihr drängte sich eine neugierige Menschenmenge herein.

„Was ist denn passiert?“
„Puh, was für ein Gestank.“
„Ist jemand verletzt?“
„Ich ruf die Polizei.“

„Keine Polizei, ich regle das“, der Bürgermeister baute sich vor den Gästen auf und scheuchte sie nach oben. „Zwei unfähige Arbeiter der Stadtwerke haben sich verlaufen und die Mauer durchbrochen. Machen Sie sich keine Sorgen, es ist niemandem etwas passiert.“

Währenddessen hatte Karl Kranz die Gelegenheit ergriffen und war durch das Loch gestiegen. Carola hörte, wie er durchs Wasser platschte. Hin und wieder stieß er ein „Ah“ oder ein „Oh“ aus. Nach einem haarsträubenden Quietschen keuchte und würgte er.

„Oh Gott, die Frauen.“

Hinter Carola knallte die Tür, der Schlüssel knarzte im Schloss. Der Bürgermeister spurtete an ihr vorbei und machte sich hastig ein Bild von der Lage.

„Kranz“, brüllte er. „Raus da. Das ist viel zu gefährlich.“
„Für wen?“, schrie Kranz zurück. „Ich habe immer vermutet, dass Sie mit diesen Verbrechern unter einer Decke stecken. Sie wissen, was hier liegt, hab ich Recht?“
Kranz‘ Stimme klang hohl, als steckte sein Kopf in einer großen Tonne.
„Aber Sie wissen vielleicht doch nicht alles.“
Mit triumphierendem Blick erschien er in der Maueröffnung und schwenkte einen Goldbarren.

„Dieses Schwein. Er hat mir gesagt, dass sein Schwager mit dem Geld abgehauen ist.“
Der Bürgermeister galoppierte auf Kranz los.
„Her damit. Das ist meins.“
Am Kinn getroffen taumelte Kranz zurück. Der Bürgermeister stürzte hinter ihm her.

Eine Zeitlang drangen Schreie zu Carola durch. Es polterte und knirschte, es klatschte und rumpelte. Dann war es still. Vorsichtig bahnte sie sich einen Weg durch den Schutt. Ihr Handy erleuchtete die Dunkelheit. Der Bürgermeister und Kranz lagen blutüberströmt in einer Nische. Beide waren seltsam verdreht. Tot, dachte Carola, nachdem sie an ihren Hälsen ohne Erfolg nach dem Puls getastet hatte. Weiter hinten glänzte etwas. Zum Glück war die Studio-Tür noch verschlossen.

***

„Es war so schrecklich“, Carolas Stimme zitterte, als sie der Polizei den Vorfall schilderte. „Nachdem die Arbeiter weg waren, stürmten drei maskierte Männer den Raum. Sie schleppten den Bürgermeister und den Redakteur in den Gang und schlugen sie zusammen. Dann hörte ich, wie sie von Gold sprachen. Von der Beute eines Banküberfalls. Sie trugen etwas Schweres weg, stöhnten und ächzten. Ich weiß auch nicht, warum sie mich verschont haben – wahrscheinlich haben sie mich nicht bemerkt, weil ich ganz still in der Ecke gestanden bin und mich unsichtbar gemacht habe.“
Carola blinzelte sich ein paar Tränen in die Augen.

***

Als sich der Aufruhr nach ein paar Tagen gelegt hatte und die verschwundenen Frauen geborgen waren, kniete Carola vor ihrer riesigen Truhe mit den Yoga-Matten. Eine nach der anderen hob sie heraus. Tief unten blitzte es golden auf. Ein Anbau mit Pool würde sich gut machen.

 

 

Version 2