Von Clara Sinn

Es war keine sechs,

 

da schmiss es sie mit einem Satz aus ihrem leidlichen Bett.

Sie zerrte den Laptop an sich, war angenervt von der Jogginghose.

Sie war eingelaufen, ihr Nacht-T-Shirt rutschte dauernd raus, sie wollte sich den Frust unbedingt von der Seele schreiben.

 

Draußen dieses unbeschreibliche Licht.

Ihr Blick verzehrte Leuchthimmel, strahlende Hauswände, lichtspiegelnde Luft. Die Sonne in ihrer Reflektion kümmerte sich wenig um ihr Ungemach.

 

Immer noch saß sie da, hungrig, mit drückendem Kopf. Sie war jung, gesund, sie hatte keinen.

 

War sich bewusst, dass sie einen tiefen, tiefen, aufs Höchste erbaulichen Atemzug tat. Sie mochte das. Dies Im-Moment-Leben, mitgehen. Mit dem, was grad da war. Ihr freier ungebärdiger Atem, dies Kratzen weiterhin. Auf der Brust, obwohl sie den Reißverschluss des Strick-Bettjäckchens längst aufgezogen und sich das Jucken mit der flachen Hand ausführlich abgerieben hatte. Ihr unvollendetes Schlucken plötzlich. Das ihr unerklärlich blieb.

Sie wandte den Kopf der linken Seite zu. Die alte Fichte über der halben Gardine antwortete.

Sie mochte keine Bäume, aber liebte es, wenn die vielen Eichhörnchen diesen schuppigen Stamm emporrannten, heruntersprangen, raufhüpften, runterhuschten.

 

Da riss sie das unerwartete Blatt im Aktenordner vor ihr aus dem wohligen Sinnieren.

 

Sie verblieb bei sich.

War nicht der Typ, der es toleriert hätte, sich derart fremdbestimmen zu lassen von einem amtlichen Schreiben. Den warmen Strom ihrer Eichhörnchen zu unterbrechen.

 

Musste lächeln.

Sie dachte an Tauchen, Hinabtauchenkönnen, Leben als Ozeanwesen vollends unter Wasser. Was sie sich ermöglicht hatte, wenn auch erst seit zwei Jahren.

 

Er hatte sie rausgeschmissen.

Sie hatte geöffnet und den fremden Mann noch gefragt, „Was ist das?“ „Lesen Sie selber.“ Ein brauner DIN-A-5-Umschlag. Damit war er auch schon abgezogen in seiner spießigen schwarzen Lederjacke Richtung Opelkombi am Straßenrand.   

Es hatte sich als, sie wusste gar nicht mehr, wie man das nannte, rausgestellt, diese als zugestellt geltenden Briefe, wenn man die einmal in die Hand genommen hatte und einen verpflichteten, bis zu einem festgesetzten Datum die gemeinsame Wohnung zu verlassen.

 

Warum auch nicht.

 

Er gehörte halt zu jenen, die es vorzogen, sich lieber einer Fremdautorität zu bedienen, als selbst zu agieren. In diesem Fall eines eigens recherchierten Rechtsanwalts und, und das wusste sie wieder nicht, wie man es bezeichnete, Vollstreckungsbüros? Zustellkanzlei? Jedenfalls jenen Einrichtungen, die damit beauftragt waren, Zwangsschreiben sicher belegt überbracht zu haben.

 

Das Licht draußen hatte eine betörende Helligkeit angenommen. Glanz allüberall. Nicht nur der polierte Wetterhahn und die Fensterscheiben gegenüber, auch Autos, Straßen, Dächer, Schornsteine.

 

Sie begab sich zum Spiegel. Fragte sich, ob sie den Aktenordner, der sie im Bild von hinten garnierte, besser zuklappen wollte.   

 

Warum auch nicht,

 

es mal probieren.

 

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