Von Ingo Pietsch

Das Letzte was Ethan spürte, war eine Pistolenkugel, die ihn in die Stirn traf und wie sein Kopf nach hinten geworfen wurde.

 

Fünf Minuten zuvor.

Ethan hatte seinen Motorradhelm neben sich auf den Tisch gelegt und seine Lederjacke zur Hälfte aufgezogen.

Auf dem Weg zur Kneipe am Rande der Stadt hatte er sich immer wieder Gedanken darüber gemacht, warum er seine Ideale verraten und verkauft hatte.

Sicher, seine Forschung war in eine Richtung gegangen, die sie nicht hätte nehmen sollen.

Aber jetzt gab es keinen Weg mehr zurück. Was vergangen war, war vorbei.

Ihm gegenüber in einer dunklen Ecke saß sein Kontaktmann. Er trug einen hellen, durchgeschwitzten Leinenanzug.

Die schwülwarme Luft machte jedem, der nicht von hier stammte, Schwierigkeiten.

Die Einheimischen kamen mit der Hitze besser zurecht.

„Und haben Sie, was ich will?“, fragte der Mann geduldig.

Ethan hatte bisher nicht ein Wort verloren. Er hatte noch ein Ass im Ärmel, das er ausspielen wollte, wenn es um die Bezahlung ging.

Er pokerte hoch, das wusste er. Aber wenn er schon von der Bildfläche verschwinden wollte, musste es sich auch lohnen.

Ethan nickte: „Ja, das habe ich. Und die Bezahlung?“

Der Mann bückte sich, ohne Ethan aus den Augen zu lassen, hob einen Aktenkoffer hoch und legte ihn auf den Tisch.

Ethan war klar, dass wenn sein Gegenüber hatte, was er wollte, er wahrscheinlich kurzen Prozess mit ihm machen würde. Aber ganz so dumm war auch wieder nicht.

Er griff nach dem Koffer, doch der Mann zog ihn zurück.

„Ich möchte wenigstens sehen, wofür ich meine Karriere beende.“

Der Mann blickte ihn einen kurzen Moment an, öffnete den Koffer und drehte ihm die offene Seite zu. „Zufrieden?“

Ethan nahm wahllos ein Bündel Scheine heraus und prüfte sie. „Ja“, sagt er knapp.

„Gut, dann hätte ich jetzt gerne die Ware.“

„Selbstverständlich.“ Er griff in die Brusttasche seines Flanellhemdes. Aber da war nichts. Er tastete immer hektischer, doch der Gegenstand, den er suchte, blieb verschollen.

„Wo ist nur die verdammte Banane?“, nervös starrte er auf die halb abgerissene Tasche. „Dieser blöde Affe! Ich muss noch mal ins Labor zurück. Dort habe ich die Banane verloren.“ Ethan wollte aufspringen, doch der Mann zog ihn auf seinen Stuhl zurück.

„Sie bleiben schön hier. Sie glauben doch nicht im Ernst, dass ich Sie wegen einer Banane einfach so gehen lassen werde?“

Schweiß brannte Ethan in den Augen, aber diesmal war es Angstschweiß. „Sie verstehen nicht. Mir ist ein Missgeschick passiert. Da war dieser Affe … .“

Weiter kam er nicht, weil der Mann schon seine Waffe gehoben hatte …

 

Nochmals dreißig Minuten früher.

Ethan war gerade aus seinem Labor gekommen und ging zu seinem Schreibtisch im Großraumbüro.

Es war früher Nachmittag – Feierabend.

Alle erledigten noch letzte Dinge und dann ging es ins Wochenende.

Ethans Tischnachbarin tippte noch ein paar Sätze in ihren Laptop und sah zu ihm auf: „Dein Kittel ist kaputt.“

Ethan zog den Kittel aus: „Diese blöden Affen haben aber auch scharfe Krallen.“ Der ganze Stoff war von nach oben bis unten an mehreren Stellen aufgeschlitzt.

Er wühlte in einer Tasche herum und fischte einen Bananenkugelschreiber heraus.

Die Scheinfirma, für die sie arbeiteten, hatte ihren Sitz hier im Kongo, nicht weit entfernt von der Hauptstadt Kinshasa.

Da die Wissenschaftler teilweise Experimente durchführten, die in anderen Ländern verboten waren, hatten sie diesen abgelegen Standort gewählt, weil hier niemand Fragen stellte.

Offiziell produzierten sie Kugelschreiber aus gepressten Bananenblättern in Bananenform. 100% Bio und recyclebar. Die Nachfrage war inzwischen so hoch, dass die Produktion sogar Gewinn abwarf.

„Und, was machst du am Wochenende?“, wollte die Kollegin wissen.

Ethan winkte ab: „Ich werde wie immer im Hotel bleiben. Vielleicht gehe ich auch ins Kino.“

„Ich fahre zu meiner Familie nach Hause. Ich habe meine Kinder und meinen Mann seit zwei Monaten nicht mehr gesehen.“

„Oh, das freut mich für dich“, meinte Ethan ehrlich. Er selbst hatte keine Familie mehr. Seine Eltern waren schon lange tot. Andere Verwandte hatte er nicht.

Eine Frau auch nicht – er war mit seiner Arbeit verheiratet.

Ethan zog sich seine Lederjacke an und steckte den Kugelschreiber in sein Flanellhemd.

Er merkte nicht, wie der Schreiber herunterfiel und leise auf dem Teppich aufschlug. Dann zog er den Reißverschluss zu und schnappte sich seinen Motorradhelm.

„Na denn, schönes Wochenende.“

„Ja, bis Montag.“ Erwiderte die Kollegin.

 

Den ganzen Vormittag über im Labor.

Der Affe hatte sich mit Händen Füßen gegen die Spritze gewährt, wusste er doch, was mit seinen Artgenossen geschehen war.

Als Ethan ihn zurück in seine Box sperrte, rastete er vollends aus und zerfetzte ihm den Laborkittel.

Ethan spürte den Schmerz bis auf die Brust, stellte aber fest, dass er nicht verletzt worden war.

Er füllte einen Teil der Blutprobe in ein kleines Röhrchen um, welches er in den präparierten Bananenkugelschreiber schob und dann versiegelte.

Ethan musste vorsichtig sein. Der Virus, den er entwickelt hatte, war durch die Luft, über Blut und andere Körperflüssigkeiten übertragbar.

Das Teufelszeug war durch Zufall entstanden und er schämte sich, es nicht vernichtet zu haben.

Er wusste nicht, was die Firma damit anstellen würde, aber seine Forschungsarbeit war damit beendet. Ethan hatte fürchterliche Angst mittellos auf die Straße gesetzt zu werden. Schließlich hatte er eine Lösung gefunden.

Er löschte die Daten seiner gesamten Arbeit vom Server und lud noch einen Computervirus auf den Rechner, der auch sämtliche Backups zerstören würde. Das würde erst Montag entdeckt werden und dann war er über alle Berge.

Die Formel existierte nur noch in Form der Blutprobe und in seinem Gedächtnis.

Wie das Gegengift. Er hatte es sich selbst verabreicht. Damit wollte er noch einmal fünf Millionen Dollar heraushauen.

Soviel war es seinen Auftraggebern wert.

Voller Elan war er damals an die Arbeit gegangen. Hatte die Welt verändern und verbessern wollen.

Ein Mittel, das Zellen erneuern und Leben retten könnte.

Stattdessen war es ins genaue Gegenteil umgeschlagen: Ein Virus, der sich bei Kontakt mit lebenden Zellen in eine Säure verwandelte und langsam alles zersetzte.

Ethan starrte die Formel vor sich auf der Glastafel an: EB-O²L-A(cid).

So ein kurzer Name für einen langen, schmerzhaften Tod.

Er wischte die Tafel sauber, steckte den Kugelschreiber ein und verließ das Hochsicherheitslabor durch eine Schleuse.

 

Epilog

Lamina arbeitete gerne und sehr gewissenhaft als Reinigungskraft in den Büros.

Sie hatte keine Ahnung, was im hinteren der Anlage wirklich geschah.

Es war ihr auch egal. Sie wurde sehr gut bezahlt und auch ihren Verwandten auf den Bananenplantagen und der Produktion ging es gut.

Die Firma hielt alle Bestimmungen ein und niemand stellte Fragen.

Sie war mit dem Staubsaugen fast fertig, da entdeckte sie auf dem Boden, neben einem der Schreibtische einen Bananenkugelschreiber, die es hier in schier unermesslicher Zahl gab.

Sie steckte ihn sich in ihre Schürze und verließ dann nach Schichtende das Büro.

Lamina wurde einmal draußen auf dem Gelände durchsucht – so waren die Sicherheitsbestimmungen und fuhr dann mit dem Bus in ihr Dorf zurück.

Zuhause legte sie in der Küche ihre Handtasche auf die Fensterbank, öffnete das Fenster und begann für ihre Familie zu kochen.

Durch den Geruch angelockt, hockte mit einem Mal ein Äffchen auf dem Fensterbrett.

Lamina sang vor sich hin und schrak auf, als sie den Affen entdeckte, was hier an der Grenze zum Dschungel nichts Außergewöhnliches war.

Er wühlte inzwischen in ihrer Tasche herum und hatte den Bananenkugelschreiber in der Hand.

Der sah täuschend echt aus und der Affe beschnupperte ihn.

„Los, verschwinde“, rief Lamina und wedelte mit ihrem Kochlöffel.

Das Äffchen tat erst so, als wäre es gar nicht gemeint gewesen und biss dann in die Banane.

Es knackte und knirschte und der Kugelschreiber verschwand ganz im Maul des Tieres. Blut lief ihm aus den Mundwinkeln und es schüttelte den Kopf.

„Raus mit dir!“, Lamina stürmte zum Fenster und schlug es zu. Sie konzentrierte sich wieder aufs Essen.

Den Kugelschreiber hatte sie schon wieder vergessen. Es war ja nur einer von vielen …