Von Manuel Fiammetta

„Ciao Günther, come stai? Schön, disch zu sehen!“

„Hallo Massimo. Mir geht es soweit ganz gut. Ich freue mich auch, dich zu sehen. Wie geht es dir?“

Die beiden Männer umarmten sich. Die Pizzeria „La Botta“ war ein ganz besonderer Ort für Günther, denn hier hatte er sein erstes Treffen mit seiner späteren Frau Susanna.

„Bene, Günther. Bene. Du siehste gut aus. Besser als beim letzten Mal. Ist denn schon wieder ein Jahr vergangen?“

Günther nickte. „Ja, Massimo. Die Zeit vergeht wahnsinnig schnell.“

„Mamma Mia. Komm, lasse uns setzen. Möchtest du ein Glas Rotwein?“

„Sehr gerne. Vielen Dank.“

 

Günther und Massimo, der vor fast dreißig Jahren die Pizzeria im Osten Frankfurts eröffnet hatte, nahmen an einem der schön gedeckten Tische Platz. Auf den weißen Stofftischdecken befanden sich kleine Vasen mit frischen Blumen. Die Stoffservierten standen wie halbierte Pyramiden zwischen dem Besteck.

„Wie war das Jahr? Liefen die Geschäfte gut?“, wollte Günther wissen, während er an seinem Rotwein nippte.

„Fantastico“, strahlte Massimo. „Wir atten ein sehr gutes Jahr. Eine Fußball-WM oder EM ist immer ein Gewinn für uns.“

„Auch wenn Italien gar nicht dabei war?“ Günther konnte sich den neckischen Kommentar nicht verkneifen.

Die Mine des stolzen Italieners verfinsterte sich ein wenig.

„Porca miseria. Müssen sie besser spielen. Nicht wie Flasche leer. Trotzedem, die Geschäfte waren super.“

Beide lachten und sprangen von einem Thema zum nächsten, bis sie zum eigentlichen Grund für Günthers Besuch kamen.

 

„Morgen in zwei Wochen ist es wieder so weit, Massimo: Dann ist der Jahrestag meines ersten Treffens mit Susanna. Unfassbare neunundzwanzig Jahre ist das dann schon her.“

„Wow, sehr schön. Isch finde es so romantisch, dass du diesen Tag immer noch feierst. Die meisten vergessen so etwas doch sehr schnell. Was sollen wir maken?“

„Eigentlich alles wie immer: gleicher Tisch wie damals, gleiches Essen wie damals, gleiche Musik wie damals, gleicher Inhaber wie damals.“

Günther und Massimo freuten sich und prosteten sich zu.

„Diesemal dann neunundzwanzig rote Rosen, oder?!“, fragte Massimo, wusste aber eigentlich schon die Antwort.

„Genau. Für jedes Jahr eine Rose.“

In diesem Moment kam Pietro an den Tisch. Pietro hatte erst vor wenigen Monaten bei Massimo als zusätzlicher Koch angefangen und wollte nun mit ihm das Tagesmenü besprechen.

„Pietro, komm, setze disch. Günther ist ein lieber Freund des Auses. Er und seine Frau aben sisch hier bei mir das erste Mal getroffen. Günther, erzähle ihm, wie ihr zusammen gekommen seid.“

Bevor er loslegte, nahm er noch einen Schluck aus seinem Rotweinglas.

„Nun, Susanna war siebzehn und ich neunzehn, als wir uns das allererste Mal begegneten. Es geschah auf der Geburtstagsfeier meines Freundes Maximilian. Susanna war erst seit ein paar Monaten in Frankfurt, hatte aber sehr schnell in Maximilians Schwester Marie eine Freundin gefunden. Sie war es dann auch, die Susanna zur Party einlud. Ich vermute mal, um sie mit ihrem Bruder zu verkuppeln.“

„Was aber nicht geklappt hat“, fügte Massimo hinzu.

„Genau. Das Vorhaben ging nach hinten los. Naja, wobei ich ja sagen muss, dass ich Susanna am Anfang unsympathisch fand. Sie kam aus einem Dorf und wirkte aus der Ferne eingebildet. Marie stellte uns dann einander vor und ich sah Susanna aus der Nähe. Ihre Augen hauten mich direkt um und ihre Haut an den Händen fühlte sich so unglaublich zart an. Man konnte nur erahnen, wie sie sich wohl am ganzen Körper anfühlen musste.“

„Amore lag in der Luft.“ Massimo schenkte Günther noch etwas von dem Wein ein, während Pietro weiter gespannt zuhörte.

„Oh ja, zumindest bei mir hat es in dem Moment kräftig gekribbelt. Die Feier ging weiter, aber Susanna und ich hielten stets einige Meter Sicherheitsabstand zueinander. Ich traute mich auch nicht, sie anzusprechen. Zu sehr faszinierte sie mich.“

„Du warste nervös? So kenne ich disch ja gar nicht.“

„Bei Susanna war ich mächtig nervös. Nach der Feier ging jeder seinen Weg und wir sahen uns einige Wochen nicht, bis ich sie und Marie in der Innenstadt wieder traf. Sie waren zum Shoppen dort, jedoch hatte Marie noch einen Arzttermin. Ich nahm allen Mut zusammen und bot Susanna an, bis Marie wiederkäme, mit ihr weiter durch die Geschäfte zu schlendern. So müsse sie nicht in einem stickigen, langweiligen Wartezimmer ihre Zeit vergeuden.

Marie war von der Idee begeistert. Susanna wusste noch nicht so recht, was sie davon halten sollte, stimmte dann aber doch zu. So gingen wir von Laden zu Laden, unterhielten uns und hatten mit jeder Minute, die verging, immer mehr Spaß.

Als Marie von ihrem Termin zurückkam, waren wir erstaunt, wie schnell die Zeit vergangen war. So beschlossen wir, uns noch einmal zu treffen. Nur wir beide und mit viel Zeit. Das war dann wenige Tage später. Hier bei dir.“

„Schön. So schön. Isch bin stolz, dass ihr euch bei mir verabredet habt. So konnte isch alles miterleben.“

„Weder Susanna noch ich waren vorher hier gewesen, aber wir fanden, dass es hier wunderschön war. So familiär, so freundlich. Die ganze Atmosphäre hat einfach gepasst. Dazu schmeckte das Essen fantastisch. Als dann noch Adriano Celentanos „Susanna“ aus den Lautsprechern erklang, war alles perfekt. Wir unterhielten uns den ganzen Abend. Über alles. Manchmal über Lustiges, manchmal über Trauriges. Manchmal über unsere Arbeit, manchmal über Privates. Schließlich kamen wir uns immer näher und am Ende hielten wir uns die Hände. Vor der Pizzeria küssten wir uns das erste Mal. Es fühlte sich so schön und unwirklich zugleich an.“

Günther grinste über beide Ohren und auch Massimo konnte seine Freude nicht verbergen.

„Ich kann noch heute den Duft der Rosen, die auf dem Tisch standen, und den Qualm des Streichholzes, mit dem du die Kerze angezündet hast, riechen. Susanna sah unbeschreiblich toll aus. Ihre Augen strahlten, ihre braunen Haare verdeckten auf einer Seite unschuldig ihr Ohr und einen Teil ihrer zarten Wange.“

„Molto bene, Günther. Wir maken alles wieder so, wie es damals war.“

„Ja, bitte. Genau so, wie es einst war.“

Zum Abschied umarmten sie sich erneut. Pietro gab Günther die Hand.

„Schön Sie kennengelernt zu haben. Das war wirklich eine sehr rührende Geschichte. Ich werde mein Bestes geben, um Ihnen den Abend so schön wie möglich zu gestalten.“

„Vielen Dank“, antwortete Günther und ging.

 

Der Jahrestag rückte immer näher und Günther spürte mit jeder Stunde, die verging, wieder die gleiche Nervosität, die er damals vor dem Treffen hatte.

So wie vor neunundzwanzig Jahren, lief er auch heute alleine zur Pizzeria. Er öffnete die Tür und sah den geschmückten Tisch. Tränen liefen über seine Wangen. Aus den Lautsprechern sang Adriano Celentano über „Susanna“ und der Duft der roten Rosen umschmeichelte seine Nase.

„Buona sera, Günther. Komm, setz disch.“

Günther nahm an dem Tisch Platz, während Massimo mit einem Streichholz die Kerze anzündete.

Es war alles so wie damals.

Nur eines nicht.

Susanna war nicht da.

Auf dem Tisch stand nur ein Bild von ihr. So, wie seit acht Jahren.

Günther hoffte auch diesmal, dass sie vom Himmel aus zusah und sich genauso gern an diesen Moment erinnerte wie er. Vielleicht konnte sie ja auch die Rosen und den Qualm des Streichholzes riechen.

 

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