Von Raina Bodyk

Eine Schar lebhafter, junger Damen aus den besten Familien Frankreichs zog 1618 ins Ursulinerinnenkloster in Loudun, um ein frommes Leben zu führen. Die Priorin war die fünfzehnjährige Jeanne des Anges, Tochter des Marquis von Cose, ein bildschönes, junges Mädchen von besonderem Zauber.

Nachdem der betagte Beichtvater der Nonnen gestorben war, ging ein gedämpftes Flüstern durch das Haus.

„Habt ihr heute Nacht auch so seltsame Geräusche und das Gepolter gehört?“

„Ja, der Geist von Vater Moussant findet bestimmt keine Ruhe und irrt durch die Dunkelheit.“

Einige junge Schwestern, einschließlich ihrer Priorin, fanden dieses Gerücht so vergnüglich, dass sie die Furchtsamen noch mehr ängstigen wollten. In ihren langen, weißen Nachtgewändern, die Haare unter den Nachtmützen versteckt, standen sie nachts heimlich auf, ließen Fenster und Türen klappern, verrückten geräuschvoll Tische und Stühle, ließen Gegenstände lärmend die Treppen hinunterrollen. Übermütig schlichen sie nachts mit heimlich entwendeten Schlüsseln in die verschlossenen Schlafkammern und richteten ein heilloses Durcheinander an und genossen ausgelassen das Geschrei der Geistergläubigen, die nun gewiss waren, dass der Geist Wände durchdringen konnte.

Einerseits kindlich genug, bei diesen Streichen mitzuwirken, war Jeanne andererseits schon Frau genug, um eine verzehrende Leidenschaft für einen Mann zu entwickeln. Ausgerechnet Urbain Grandier, seit 1620 Priester in der Kirche Sainte Croix unweit des Konvents, wurde das Objekt ihrer Begierde. 28 Jahre alt, beeindruckend, souverän, gebildet, stets gut gekleidet. Ein schöner Mann.

Leider muss man sagen, er wusste dies auch sehr genau. Seine Predigten fesselten und lockten viele Fromme in seine Kirche. Daneben war er aber auch stolz bis zur Arroganz, nutzte hartherzig jeden Vorteil. Er hatte ein veritables Talent, sich wichtige Persönlichkeiten zu Feinden zu machen, zog sie ins Lächerliche und verspottete sie.
Das weibliche Geschlecht fühlte sich unwiderstehlich zu ihm hingezogen. Nie wehrte sich eine Frau, egal, ob Witwe, Ehefrau oder junges Ding gegen ihn. Sie alle waren ihm zu Willen.

Jeanne fasste den Plan, ihn als Beichtvater für das Kloster zu empfehlen. Doch für sie unverständlicherweise lehnte er das Angebot ab.

In der Folge wurde Jeanne von erotischen Träumen und hochgradigen, hysterischen Anfällen gequält. Sie bettelte den Himmel um Vergebung an und bat ihre Mitschwestern:

„Bitte helft mir, Buße zu tun gegen das Böse in mir.“ Gemeinsam mit ihnen geißelte sie sich, bis der Rücken blutig war.“

Aber statt Heilung kam das Unheil auch über die anderen Nonnen. Sie begannen ebenfalls zu jammern und zu klagen, sich am Boden zu wälzen. Die verliebten Schwärmereien der Oberin erweckte auch in ihnen uneingestandene Begierden. Verstört litten sie ebenfalls fortan unter Halluzinationen, Krämpfen und wurden von Delirien und unzüchtigen Träumen heimgesucht.

Dem inzwischen neu ernannten Beichtvater Kanonikus Mignon, einem klugen, aber auch sehr konservativen Mann, gelang es, den Mädchen Vertrauen einzuflößen. Er sprach mit ihnen und musste zu seinem Entsetzen feststellen, dass die Mädchen vom Teufel besessen zu sein schienen. Nachts konnte man die Bemitleidenswerten durch den düsteren Garten und die staubigen Flure irren sehen und hören, wie sie leidenschaftliche Seufzer und brünstige Schreie ausstießen.

Kanonikus Barre, ein fanatischer Prieser aus dem Nachbarort, hörte von diesem Treiben und ließ es sich nicht nehmen, in einer feierlichen Prozession an der Spitze seiner Gemeindemitglieder nach Loudun zu pilgern, um seinem Kollegen zu Hilfe zu eilen.

Die Geistlichen mussten zu ihrem Entsetzen erkennen, dass inzwischen sieben Teufel von Jeanne Besitz ergriffen hatten.

Mignon fragte bei seinen Exorzismen immer wieder begierig: „Wer ist daran schuld, dass das Böse Euch beherrscht?“

Eines Nachts flüsterte Jeanne ihm endlich mit niedergeschlagenen Augen zu:
„Urbain Grandier. Er… er erscheint mir nachts am Bett und will mich zur Sünde verführen. Aber ich widerstehe!“ Weitere Besessene nannten in der Folge ebenfalls diesen Namen.

Mignon war entzückt. Er verabscheute Grandier abgrundtief, der in allem, was er tat, besser war und ihm von Anfang an den Rang abgelaufen hatte. Bisher ohnmächtig gegen ihn, konnte er nun seinem unerbittlichen Hass freien Lauf lassen. Ehrgeiz, Eifersucht, Rachsucht trieben ihn an. Als begnadeter Meister jeglicher Verleumdung kam ihm die Verirrung Jeannes gerade recht. Er bestärkte sie wieder und wieder in dem Glauben, dass Satan persönlich Besitz von ihr genommen hatte.

Auf dem schnellsten Wege benachrichtigte er den Staatsanwalt und die größten Gegner Grandiers und schmiedete insgeheim sein Komplott.

Das ganze Dorf sprach bald von den erschreckenden Ereignissen. Aus der ganzen Umgebung reisten Kanoniker an, um bei den Teufelsaustreibungen zu helfen.

Gemeinsam umstanden sie das Bett der Rasenden. Mignon führte das Verhör in lateinischer Sprache, wie es der Exorzismus vorschrieb.

Zwei zuständige, amtliche Beobachter waren anwesend und spotteten später höhnisch:

„Satans Sprachkenntnisse sind nicht besonders beeindruckend.“

„Diese peinlichen Fehler! Das war eindeutig Schulmädchenlatein!“

Für die Geistlichen aber war klar, dass der Teufel so einfach nicht sprechen wollte.

*

Nachdem Grandier das lächerliche Theater, wie er es nannte, zu lange nicht ernst genommen hatte, bat er den Bischof von Poitiers um Hilfe. Nach langem Verweigern war dieser bereit, nach Loudun zu kommen und sich der Sache anzunehmen. Grandier durfte endlich selbst den Besessenen gegenübertreten und sie befragen. Der Bischof erhoffte sich dabei Beweise gegen den aufmüpfigen und in seinen Augen eindeutig schuldigen Priester.

Es gelang Grandier nicht, auch nur eine einzige Frage an die Nonnen zu richten. Sie erhoben, sobald er den Mund aufmachte, ein höllisches Gebrüll und Gekeife, warfen sich ihm voll Wut entgegen und verfluchten ihn für das, was er ihnen angetan hatte.

Sein Gesicht verriet weder Angst noch Abscheu. Stattdessen beschwor er die Exorzisten ganz ruhig: „Werte Herren, befehlt den Dämonen im Namen des Herrn, mich zu erwürgen. Wenn sie es nicht schaffen, ohne dass die Nonnen mich berühren, ist das ein Beweis, dass sie keine Gewalt über mich haben.“

Die Kirchenmänner widersetzten sich mit Vehemenz diesem Vorschlag.

„Ja, glaubt Ihr denn, wir lassen zu, dass Luzifer in seiner List Euch leben lässt und damit das Ansehen unserer heiligen Kirche beschmutzt?“

*

Der ‚Teufel‘ entlarvte sich weiter. So erklärte er bei einem Exorzismus, er werde am nächsten Tag alle, die nicht an seine Macht glaubten, an das Deckengewölbe der Kirche schleudern. Ein Abbé, der sich belustigt als Opfer anbot, musste anschließend nach Italien fliehen, um nicht bestraft zu werden. Der Dämon selbst erschien erst gar nicht zu dem Schauspiel.
Als nächstes begann er, skeptische Bewohner mit wüsten Verunglimpfungen zu beleidigen.

Die Verschwörer mussten dieTeufelsleugner unbedingt stoppen.

So ließ Loubardement, seines Zeichens Präsident des Gerichtshofes in Agen, am 2. Juli 1634 einen Beschluss anschlagen: „Jedem Bürger wird verboten, von den besessenen Nonnen und den Beschwörern Schlechtes zu reden bei 10.000 Livres Geldbuße oder Leibesstrafe.“ Dass er mit der Priorin und seine Frau mit zwei anderen Louduner Nonnen verwandt waren, spielte bei dieser amtlichen Verfügung natürlich keine Rolle.

*

Zum Erstaunen der einen und Entsetzen der anderen begannen die Schwestern nach vier Jahren plötzlich die Lügen und Anschuldigungen zutiefst zu bereuen und die Wahrheit zu sagen. Vielleicht hatte der Anblick des Geschmähten eine innere Wandlung vollzogen.

Die Klerikalen tobten und wollten sie zwingen zu widerrufen, aber sie blieben standhaft gegenüber allen Drohungen

„Kanonikus Mignon und die anderen Beschwörer haben uns befohlen, diese scheußlichen Unwahrheiten zu sagen und uns erklärt, wie wir uns zu betragen hatten“, erklärten sie.

Die Kirchenmänner mahnten eindringlich: „Schwestern, es ist Luzifer persönlich, der euch zu diesem Widerstand aufruft. Bleibt stark!“

Sie blieben stark, aber anders, als er dachte: „Wir wissen, dass wir dafür werden büßen müssen, das Geheimnis verraten zu haben. Egal, wie Ihr uns bestraft, Gott wird sich unser erbarmen.“

„Der Teufel spricht aus ihnen!“ Man schaffte sie eiligst in ihre Kammern.

Auch Jeanne plagte inzwischen die Angst vor der ewigen Verdammnis. Sie fiel vor einem der Exorzisten auf die Knie und schrie: „Grandier ist unschuldig. Ich will für mein Unrecht büßen.“

Die verschworenen Beschwörer versicherten dagegen immer wieder:

„Brüder und Schwestern, nehmt euch gut in Acht. Das ist nur ein neuer, infamer Trick des Höllenfürsten, um eure Seelen zu verderben.

Um weitere peinliche Geständnisse zu vermeiden, beschloss man, die Untersuchung zu schließen

*

Grandier hatte keinerlei Chance, unbeschadet aus der Misere herauszukommen. Er war zwischen die Mühlräder von weltlicher und kirchlicher Macht geraten und würde zermahlen werden.

Er wurde verurteilt, gefoltert und am 18. August 1634 auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Bis zu seinem Tode beschwor er seine Unschuld. Seine letzten Worte waren: „Ich kenne den Teufel nicht. Gott, auf dich vertraue ich, erbarme dich meiner, Gott.“

*

Nach den Jahren der Besessenheit lebte Jeanne weiter in ihrer fantastischen Welt mit Visionen und Wundern. Sie heilte Kranke. Auf ihrer linken Hand zeigte sich ein Stigma, Zeichen ihrer Heiligkeit. Viele Menschen pilgerten zu ihr, nur um sie berühren zu können, ihren Segen zu erhalten und von Siechtum befreit zu werden.

1637 reiste sie triumphierend nach Paris, wo die Königin gerade Ludwig XIV. geboren hatte. Die hohe Dame ließ sich von Jeanne mit deren in heiligem Öl getränkten Hemd berühren.

 

 

9732 Z  – V1

 

Fußnote: Es handelt sich um tatsächliche, belegte Geschehnisse. Die Quellen uterscheiden sich in Details, so bei den Jahresangaben um 1-2 Jahre. In der Rezeption wird Jeanne meist als Kranke gesehen, teilweise aber auch als berechnende und rachsüchtige Frau