Von Raina Bodyk
Ich bin Jeanne des Anges. Nie werde ich Ostern 1615 vergessen. Da schickte mich mein ‚lieber‘ Vater, der mächtige Marquis von Cose, gegen meinen Willen zu meiner Tante, Priorin der Abtei von Saintes! Ausgerechnet in ein Kloster! Ich war doch erst zehn. Ich sollte eine ‚standesgemäße Erziehung‘ bekommen. Ich glaube, die Tante mochte mich nicht. Zu mir war sie viel strenger als zu andern. Ich sei schwierig, habe eine abartige Fantasie, sei launenhaft und ja, ziemlich seltsam. Das stimmt nicht!
Als ich mit fünfzehn wieder nach Hause kam, wurde weiter dauernd an mir rumerzogen, ewig gab es Klagen über mich und sogenannte weise Ratschläge. ‚Tu dies, tu das!‘ Es war überaus ermüdend.
Eines Tages schockierte ich meine Eltern mit meiner Absicht, ins Kloster zu gehen. Natürlich nicht zurück in die Abtei.
‚Ach, wieder eine deiner unberechenbaren Flausen?‘
Ich hatte gehört, dass eine Schar junger Damen aus den besten Familien zu den Ursulinerinnen in Loudun zog. Da wollte ich dabei sein. Das klang spannend. Die damalige kluge und tatkräftige Oberin hatte einen sehr guten Ruf und so wurde sie nach einigen Jahren abberufen und sollte ihre Fähigkeiten einem anderen Konvent zugutekommen lassen.
Das war meine Chance, mein Ziel! Ich wollte Priorin werden. Unbedingt! Ein bisschen Schmeichelei und Süßholz raspeln …
Die Oberin verließ den Ort nicht gern. Jeanne machte ihr Sorgen. Diese war zwar besonders eifrig, erledigte ohne Murren jeden Auftrag präzise. Aber sie agierte sehr befremdlich für ein junges Mädchen. Sie zeigte besonderen Eifer, die ekligsten und abstoßendsten Wunden und Geschwüre zu behandeln. Der Leiterin kam der Verdacht, dass sie es liebte, Schmerzen und Leid sehen. Andererseits war Jeanne hilfsbereit, höflich, respektvoll und sehr fromm. Sie beschloss, wenn auch mit leisen Zweifeln, sie als neue Superiorin vorzuschlagen.
Ich war selig! Priorin mit 25! Aber natürlich lehnte ich erst mal bescheiden ab. Ich sei dessen nicht würdig. Andere seien viel eher geeignet. Die Oberin ließ sich täuschen und erinnerte mich, es sei meine Pflicht zu gehorchen und ihrem Willen nachzukommen. Mit Vergnügen!
Durch mich würde die Bedeutung des Klosters steigen, die Einnahmen wachsen. Den Eltern der reichen Bürgerstöchter würde es eine Ehre sein, diese hier zu vornehmen Damen erziehen zu lassen.
Im Konvent begann allerdings schon bald nach Jeannes Ernennung ein leises, nicht enden wollendes Murren: „Lieber Himmel, wie hat uns Priorin Jeanne getäuscht! Erst so unglaublich edel und gut, so heilig, und nun diese Intrigen, Launen und Streitigkeiten!“
„Nie hätte ich gedacht, dass sie so hochmütig sein könnte. Und wie sie sich verstellen kann!“
***
Zwei Jahre zuvor war Urbain Grandier Priester in der Kirche Sainte Croix unweit des Konvents geworden. Jung, eine imponierende Gestalt, souverän, gebildet, stets gut gekleidet. In Summa: ein begehrenswerter, schöner Mann. Egal, ob Witwe, Ehefrau oder junges Ding, sie alle erlagen ihm.
Leider muss man sagen, er wusste sehrt genau um seine Anziehung. Er war stolz bis zur Arroganz, nutzte hartherzig jeden Vorteil. Er hatte ein veritables Talent, sich wichtige Persönlichkeiten zu Feinden zu machen, zog sie ins Lächerliche und spottete dazu.
Jeanne, obwohl Nonne, war andererseits Frau genug, um eine verzehrende Leidenschaft für diesen Mann zu entwickeln. Das Objekt ihrer Begierde.
Ich liebe dich! Urbain! Du sollst bei mir sein.
He, unser Beichtvater, ist doch gerade gestorben. Da könnte doch … Genau! Ich werde Grandier als Beichtvater für das Kloster empfehlen.
Doch er lehnte das Angebot ab.
Wie konntest du nur ablehnen, mir das antun? Jede Nacht träume ich von dir, wie du mich streichelst, zärtliche Worte in mein Ohr hauchst. Was tust du mir an?
Oh Gott, im Himmel, hilf mir. Ich halte diese Quälerei nicht aus. Bitte vergib mir.
Die Schwestern waren voll Mitleid mit ihrem Schmerz und ihren hochgradig hysterischen Anfällen.
„Ihr Lieben, bitte helft mir, Buße zu tun gegen das Böse in mir.“
Auf ihren Wunsch hin geißelten sie Jeanne, bis sie blutig war. Diese blieb dabei ganz ruhig, die Schmerzen schienen ihr gut zu tun
Aber statt Heilung kam das Unheil nun auch über die anderen Nonnen. Die verdorbenen Schwärmereien der Oberin erweckte auch in ihnen uneingestandene Begierden. Berauscht begannen sie ebenfalls zu seufzen und zu stöhnen, sich am Boden zu wälzen. Verstört litten sie ebenfalls fortan unter Halluzinationen, Krämpfen und wurden von unzüchtigen Träumen heimgesucht. Den Zuckungen folgten Orgasmen, die sie für mystische Begegnungen mit Gott hielten.
Dem inzwischen neu ernannten Beichtvater, Kanonikus Mignon, einem klugen, sehr konservativen Mann, gelang es, den Mädchen Vertrauen einzuflößen. Er musste zu seinem Entsetzen feststellen, dass die Mädchen tatsächlich vom Teufel besessen zu sein schienen. Nachts konnte man die Bemitleidenswerten durch den düsteren Garten und die staubigen Flure irren sehen und sie leidenschaftliche Seufzer und brünstige Schreie ausstoßen hören.
Das ganze Dorf sprach bald von den erschreckenden Ereignissen. Aus der ganzen Umgebung reisten Kanoniker an, um bei den Teufelsaustreibungen zu helfen. Sie mussten zu ihrem Entsetzen erkennen, dass inzwischen sieben Dämonen allein von Jeanne Besitz ergriffen hatten.
Gemeinsam umstanden sie das Bett der Rasenden. Mignon führte das Verhör in lateinischer Sprache, wie es der Exorzismus vorschrieb. Aber Satan wollte sich offensichtlich nicht in dieser Sprache äußern und blieb stumm.
Mir geht es so schlecht, der ganze Körper zittert. Ich komme nicht zur Ruhe. Immer flimmern diese lasterhaften Bilder durch meinen Kopf. Grandier steht vor meinem Bett, spricht so liebevoll, bedeckt meinen ganzen Leib mit seinen Küssen, berührt mich an unkeuschen Stellen. Er will mich ganz, aber ich bin eine Braut Christ und darf das nicht. Ich schäme mich so. Ich werde noch strenger fasten und beten.
Mignon fragte bei seinen Beschwörungen immer wieder begierig: „Wer ist daran schuld, dass das Böse Euch beherrscht?“
Eines Nachts flüsterte Jeanne ihm endlich mit niedergeschlagenen Augen zu:
„Urbain Grandier. Er… er erscheint mir nachts am Bett und will mich zur Sünde verführen. Aber ich widerstehe!“ Weitere Besessene nannten in der Folge ebenfalls diesen Namen.
Mignon war entzückt. Er verabscheute den Mann abgrundtief. Bisher ohnmächtig gegen ihn, konnte er nun seinem unerbittlichen Hass freien Lauf lassen. Ehrgeiz, Eifersucht, Rachsucht trieben ihn an. Als Meister jeglicher Verleumdung kam ihm die Verirrung Jeannes gerade recht. Er bestärkte sie wieder und wieder in dem Glauben, dass Satan persönlich Besitz von ihr genommen hatte.
Auf dem schnellsten Wege benachrichtigte er den Staatsanwalt und die größten Gegner des Priesters und schmiedete insgeheim sein Komplott.
***
Nachdem Grandier das lächerliche Theater, wie er es nannte, viel zu lange nicht ernst genommen hatte, bat er die Beschwörer um Hilfe. Nach langem Bitten waren diese endlich bereit, ihn die Besessenen befragen zu lassen.
Doch es gelang ihm nicht, auch nur eine einzige Frage an die Nonnen zu richten. Sie erhoben, sobald er den Mund aufmachte, ein höllisches Gekeife, warfen sich ihm voll Wut entgegen und verfluchten ihn für das, was er ihnen angetan hatte.
Sein Gesicht verriet weder Angst noch Abscheu. Stattdessen beschwor er die Exorzisten ganz ruhig: „Werte Herren, befehlt den Dämonen im Namen des Herrn, mich zu erwürgen. Wenn sie es nicht schaffen, ohne dass die Nonnen mich berühren, ist das ein Beweis, dass sie keine Gewalt über mich haben.“
Die Kirchenmänner widersetzten sich vehement diesem Vorschlag.
„Ja, glaubt Ihr denn, wir lassen zu, dass Luzifer in seiner List Euch leben lässt und damit beweisen will, dass unsere heilige Kirche keine Macht über ihn hat?“
Die Zweifel in der Gemeinde wuchsen. Der ‚Teufel‘ entlarvte sich weiter selbst. So erklärte er, er werde am nächsten Tag alle, die nicht an seine Macht glaubten, an das Deckengewölbe der Kirche schleudern. Ein Abbé, der sich belustigt als Opfer anbot, musste anschließend fliehen, um nicht bestraft zu werden.
Der Dämon selbst erschien erst gar nicht zu dem Schauspiel. Er begann nun, skeptische Bewohner mit wüsten Verunglimpfungen zu beleidigen.
***
Zum Erstaunen der einen und Entsetzen der anderen begannen einige der Schwestern nach vier Jahren plötzlich die Lügen und Anschuldigungen zutiefst zu bereuen und die Wahrheit zu sagen. Möglicherweise hatte der Anblick Grandiers eine innere Wandlung vollzogen.
Die Klerikalen tobten: „Mignon, Ihr müsst weiterhin die Oberin und die anderen Schwestern glauben lassen, dass sie vom Bösen besessen sind. Der Priester muss bezwungen werden!“
Ein Widerruf musste zwingend her. Doch die Nonnen weigerten sich standhaft trotz aller Drohungen und sagten aus:
„Das alles wollten wir nicht. Kanonikus Mignon und die anderen Beschwörer haben uns befohlen, diese scheußlichen Unwahrheiten zu sagen und uns erklärt, wie wir uns zu betragen haben“, erklärten sie.
Die Kirchenmänner mahnten eindringlich: „Schwestern, es ist Luzifer persönlich, der euch zu diesem Widerstand aufruft. Bleibt stark!“
Sie blieben stark, aber anders, als jene dachten: „Wir wissen, dass wir dafür werden büßen müssen, aber egal, wie Ihr uns bestraft, Gott wird sich unser erbarmen.“
„Der Teufel spricht aus ihnen! Schafft sie in ihre Kammern!“
Jeanne plagte inzwischen ebenfalls die Angst vor der ewigen Verdammnis. Sie fiel vor einem der Exorzisten auf die Knie und schrie: „Grandier ist unschuldig. Ich will für mein Unrecht büßen.“
Doch die Exorzisten versicherten immer wieder:
„Schwestern, nehmt euch gut in Acht. Das ist nur ein neuer, infamer Trick des Höllenfürsten, um eure Seelen zu verderben.
Um weitere peinliche Geständnisse zu vermeiden, beschloss man, die Untersuchung zu schließen
*
Grandier hatte keinerlei Chance, unbeschadet aus der Misere herauszukommen. Er war zwischen die Mühlräder von weltlicher und kirchlicher Macht geraten und würde zermahlen werden.
Er wurde verurteilt, gefoltert und am 18. August 1634 auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Bis zu seinem Tod beschwor er seine Unschuld. Seine letzten Worte: „Ich kenne den Teufel nicht. Gott, auf dich vertraue ich, erbarme dich meiner, Gott.“
Version 2
