Von Laura Meyer

Mit offenen Fenstern und lauter Musik rauschen wir über die Landstraße. Unsere Haare wehen wild um unsere Köpfe und wir ziehen die Nasen kraus, als wir trotz Sonnenbrillen vom zwischen den Bäumen immer wieder hervorscheinenden Licht geblendet werden.
Es fühlt sich an wie früher.
Ich schaue mich im Auto um und fühle eine Wärme in mir, die mir nun bewusst macht, wie sehr ich sie vermisst habe.
Die Gesichter der mir liebsten Menschen endlich wieder vor mir zu haben, ihre strahlenden Augen und ihr Lächeln zu sehen, wirft mich zwei Jahre zurück.
An die Zeit, die Sommer, kurz vor dem Abitur, als wir keine Sorgen hatten und jede Nacht, jede freie Stunde genutzt haben, um einfach Spaß zu haben.
Wo Momente wie dieser hier Alltag waren.
Ein Wochenende am See, damals eine Spontanentscheidung.
Heute ein Treffen, das mit allen Terminkalendern abgeglichen werden und nun voll und ganz ausgekostet werden muss, bevor jede wieder ihrer Wege geht.
Es fühlt sich an wie früher.
Aber kostbarer.
Weil die gemeinsame Zeit gleich wieder vorbei sein wird.

Ich sinke wieder in meinen Sitz und schaue aus dem Fenster auf die vorbeiziehenden Bäume.
Ein Wochenende wieder wie siebzehn fühlen.

Unsere Blicke treffen sich im Außenspiegel und Ronja und ich lächeln uns an. Die Wärme verbreitet sich in meinem ganzen Körper.

 

Das Parken auf unserem alten, geheimen, vermutlich nicht ganz legalen Parkplatz und das Ausladen und Aufbauen auf unserem Lieblingsplatz geht ganz von selbst. Die Macht der Gewohnheit.
Das Lagerfeuer ist genauso schnell entfacht und wir setzen uns auf den Steg, wo wir die Beine im See baumeln lassen.
So sitzen und reden wir eine ganze Weile.
„Was macht der Job?“

„Wie lebt es sich in der Stadt?“

„Wann ziehst du in die neue Wohnung?“

„Wo geht’s für dich als nächstes hin?“

Fragen, die klingen, als würde man sie einem entfernten Bekannten stellen, nicht seinen besten Freundinnen. Es ist an vorsichtiges Herantasten, dass mir zu lange dauert.

„Wie geht es euch?“, frage ich deshalb ernst. „Ich meine jetzt, in diesem Moment. Wie fühlt ihr euch?“

Ich werde aus vier Gesichtern angestrahlt.
„Großartig“
„Unglaublich“

„Fantastisch“

„Wie früher“

Diese Aussage von Ronja lässt auch mich strahlen.
Und lockert endlich die Stimmung. Anekdoten, Erinnerungen und Geschichten werden zusammen mit dem mitgebrachten Wein ausgepackt und herumgereicht.

„Das letzte Mal als wir hier waren, bin ich nachts fast vom Steg gerollt, weil ich so betrunken war …“, erzählt Mila.

„Das letzte Mal … Das war auch das letzte Mal, dass wir uns alle gesehen haben. Bevor wir auf Weltreise, zum Studieren oder zum Leben aufgebrochen sind“, denke ich laut. „Und jetzt sind wir wieder hier, alle.“

Wir stoßen mit unseren Bechern an und versinken in einen Haufen aus Umarmungen.

 

Der Mond zeigt, der Wein leert sich und die Gespräche werden persönlicher.
„Jetzt fühle ich mich, als wäre ich nie 20.000 Kilometer von euch entfernt gewesen. Als hätte ich euch vor einer Woche das letzte Mal gesehen.“

„Freundschaft ist wohl tatsächlich die wahrhaftigste Form der Liebe.“
Ronjas und mein Blick streifen sich kurz. Wir hatten uns nie ausdrücklich für nur Freundschaft entschieden.
Den anderen war unsere Verlegenheit zum Glück nicht aufgefallen. Die Gespräche drehen sich weiterhin um unsere Gefühle, Sorgen und Probleme. Eben Dinge, über die man mit den vertrautesten Personen in seinem Leben spricht. Egal, wie lange man sie nicht gesehen hat.

 

Wir reden so lange, bis wir nach und nach in unsere Schlafsäcke gekuschelt einschlafen. Als Louise aufhört zu antworten, wissen Ronja und ich, dass wir die einzigen sind, die noch wach sind.
Aufgekratzt von all den schönen Gesprächen und Erinnerungen und vielleicht auch ermuntert vom Wein schaue ich Ronja direkt ins Gesicht und lächle vielsagend. Sie lächelt zurück.

„Genau hier vor zwei Jahren …“, sage ich und sie nickt beständig, als habe sie den gleichen Gedanken gehabt.
Unser erster Kuss war unvorhersehbar gewesen. Niemand, vor allem nicht wir beide, hatte zuvor darüber nachgedacht. Doch da hatten wir gesessen, genau wie jetzt, aufgedreht und zu später Stunde und waren uns sowohl im Gespräch als auch körperlich immer näher gekommen.
Jemandem davon erzählt haben wir nie. Und auch miteinander haben wir nie wirklich darüber gesprochen, außer ein paar vagen Andeutungen.
Ähnliche Situationen gab es immer wieder, sobald wir alleine waren, aber immer waren entweder Alkohol im Spiel oder gemeinsame Erlebnisse, die uns allen zu viel Euphorie bereiteten. Tagsüber und auf neutralem Boden waren wir stets miteinander umgegangen wie immer, aber trotzdem verspüre ich seit jener Nacht eine Wärme in mir, wenn ich sie sehe. Eine Liebe, die mal nur freundschaftlich ist, mal mehr.

Auch jetzt, nach zwei Jahren, kann ich es nicht genau sagen.

Ich seufze. Jetzt wo ich sie vor mir habe und mich wieder fühle wie eine hormongesteuerte 17-Jährige, wird mir klar, dass sich das, was wir haben nie ändern wird.

Ich schaue auch den anderen in die seelenruhigen, träumenden Gesichter. Die Liebe, die wir alle füreinander empfinden, egal wie sie auch definiert sei, ist noch genau so wie früher.
Ronja scheint meine Gedanken erraten zu haben. „Es fühlt sich an wie früher, nicht wahr?“
„Ja, aber kostbarer.“

Sie versteht, worauf ich hinaus will. „Wann geht dein Flug zurück?“

„Dienstag.“
Doch trotz dieses Gedankens bin ich nicht traurig. Denn ich weiß, dass wir alle zurückkommen werden, egal wann, und alles so sein wird wie früher. Dass die Liebe da sein wird. Denn die Freundschaft, egal wie man sie definiert, ist vielleicht tatsächlich die wahrhaftigste Form der Liebe.