Von Anne Zeisig

Maria Gonzales zog eilig den Isoliervorhang vors Fenster, um die unsägliche Mittagshitze auszusperren, nachdem sie den Balkonboden gewischt hatte und goss nun das Schmutzwasser in die Toilette.

Sie widmete sich dem Spiegel.

Der zeigte Spuren von Zahnkreme, Make-Up und blinden Stellen vom Haarspray. Auf der Ablage befand sich ein After-Shave. Vorsichtig schraubte sie den Flakon auf und roch daran. Ein herber Duft stieg ihr in die Nase, den sie tief in sich einsog.

So ähnlich roch einst Ramon, wenn er morgens aus dem Haus ging, um auf der Olivenplantage zu arbeiten.

Maria bekreuzigte sich. Die Sehnsucht schmerzte.

Die Geburt des ersten Enkelkindes hatte er nicht mehr erlebt. Sie zog ein Foto aus ihrer Kitteltasche hervor und küsste das darauf abgebildete kleine Mädchen mit den schwarzen Zöpfen und den großen braunen neugierigen Augen. Die buschigen Augenbrauen hatte sie von ihrem Großvater.

Maria krampfte beide Hände zu Fäusten über ihrer Brust. Ihre Knöchel stachen weiß hervor.

 

„Abuela? Oma? Wann liest du mir wieder eine Gute-Nacht-Geschichte vor?“

 

„Wenn der Sommer vorbei ist, mi nieto. Wenn die Sonne nicht mehr so heiß vom blauen Himmel herunter brennt und ein kühlender Windhauch durch die Zweige und Blätter der Olivenbäume huscht. Dann komme ich heim.“

 

„Wenn Olivenernte ist?“

 

„Ja. Dann helfe ich deiner Mama.“

 

Längst warf die Plantage keinen einträglichen Gewinn mehr ab. Die Leute wollten billiges Öl und für sortenreines mit Herkunft gab es nur wenige Liebhaber.

 

Maria sprühte das Reinigungsmittel auf und wischte den Spiegel blank.

Fuhr leicht mit den Fingerspitzen über ihre Krähenfüße und wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn. Sie stützte sich beidarmig am Waschbecken ab und atmete tief ein und aus. Ihr graudurchzogenes Haar klebte im Nacken. Die Knie zitterten und schmerzten. 

Sollte sie noch eine Schmerztablette einnehmen? Der Doktor hatte sie gewarnt, dass das nicht gut für ihren Magen sei. Aber was sollte sie tun gegen den Verschleiß der Knorpel?

Fahrig hielt sie den Zahnputzbecher unter den Wasserstrahl, legte eine Tablette auf ihre Zunge, spülte sie den Rachen hinunter, indem sie ihren Kopf ruckartig nach hinten beugte.

 

„Aufhören mit dieser Schinderei“, hatte der Arzt gesagt und in seinem Blick las sie, dass er wusste, was für ein sinnloser Rat das war.

 

„Ihr müsst auf die Straße gehen“, hörte sie die Tochter sagen, „ihr müsst protestieren, damit man euch endlich den Lohn gibt, der euch zusteht! Eine Zwölf-Stunden-Schicht für Hungerlohn und bei unwürdiger Unterkunft! Das ist menschenverachtend!“ 

 

„Ich muss mein Pensum schaffen“, stieß sie hervor, ging zum Bett und streifte das weiße, makellose, kühle Leinentuch über die Matratze. Blickte auf ihre Uhr.

 

„Andere in meinem Alter werden überhaupt nicht mehr beschäftigt! Oder landen bei einer Zeitarbeitsfirma. Die zahlen noch weniger!“

 

Eigentlich drängte die Zeit.

Aber heute öffnete Maria den Kleiderschrank und hielt sich ein farbenfrohes Kleid neben dem anderen vor ihren ausgemergelten Körper und drehte sich wie ein junges Mädchen vor dem Spiegel hin und her. Kurz huschte ein Lächeln über ihr Gesicht und schnell schloss sie die Tür.

 

Einmal!

Einmal war sie mit Ramon in Paris gewesen und er hatte ihr unter dem Eiffelturm bei Vollmond einen Heiratsantrag gemacht. Vorher hatte Maria ihren Eltern versprechen müssen, dass sie getrennte Zimmer buchen würden.

Da war sein kostbares Olivenöl noch heißbegehrt.

Und sie liebten sich in der Nacht trunken vom Rotwein, elektrisiert von den zarten und auch gierigen Berührungen.

 

„Mi Bezella. Meine Schönheit.“

 

„Mein Geliebter, mi Amante.“

 

Ihr Blick glitt stumpf durch den Raum. Sie war mit ihrer Arbeit zufrieden, es fehlte nur noch das Bad.

 

Maria zog sich flink aus und stellte sich unter die Dusche. Das machte sie täglich in dem Zimmer, welches sie zuletzt zu reinigen hatte.

Kühl glitt das Wasser an ihrem Körper hinunter, verirrte sich in den Schluchten und Tiefen der welken Haut. Sie schloss genüsslich die Augen und shampoonierte sich mit dem Rest aus der Gäste-Tube Haare und Körper ein.

Wie gerne hätte sie sich das länger gegönnt.

 

„Wie frisch geboren“, flüsterte Maria nach dem Ankleiden, strich sich über das nasse Haar und just stand die Hausdame, ihre Vorgesetzte, im Raum.

 

„Das Bad ist ja noch nicht fertig! So geht das nicht! Husch! Husch! Calar! Calar!“

 

Sie erledigte das flott, denn die Tabletten taten inzwischen ihre Wirkung, während die Hausdame das Zimmer kontrollierte und wohlwollend „Todo estaba limpio“, säuselte, während sie prüfend mit dem Zeigefinger über den Bilderrahmen strich, auf dem der Eiffelturm abgebildet war.

 

‘Warum ?’, frage Maria sich gedanklich. Aber vermutlich gehörte das Hotel zu einer internationalen Kette mit Sitz in Frankreich, und in allen Zimmer auf der gesamten Welt hing so ein Fortdruck an der Wand über dem Bett.

 

Sie war froh, unter einer Dusche gestanden zu haben, denn Maria wohnte den Sommer über notdürftig mit Kollegen und Kolleginnen in Abbruchhäusern, in Ruinen, weil es für die Hotelangestellten keine bezahlbaren Zimmer in der Nähe der Touristenzentren gab.

Jeder zumutbare Wohnraum wurde in der Hochsaison an Urlauber vermietet. Das brachte das ‘Große Geld.’

 

„Ich hoffe, dass du morgen schneller bist“, warnte die Vorgesetzte, „denn vor der Tür warten junge frische unverbrauchte Frauen auf deinen Job.“

 

‘Aber ich bin Witwe! Ich brauche das Geld’, dachte Maria gequält und schlurfte mit gesenktem Kopf, den Reinigungswagen hinter sich herziehend, zum Lastenaufzug.

 

* * *

 

Dana nahm träge einen Schluck aus ihrem Long-Drink-Glas, stellte es in den Sand neben ihrem Liegestuhl und streichelte sanft über den gebräunten Oberschenkel ihres Mannes.

 

„Herrlich! Die Sonne! Der Strand! Das Meer!“ Sie zog sich ihren Strohhut über die Stirn und schwärmte: „’Fünf Sterne’ zu diesem Schnäppchenpreis!“

 

Ein paar Kinder liefen vorbei, warfen sich einen Wasserball zu und kreischten vor Ausgelassenheit.

 

Er nahm das Glas und stellte es hart auf das kleine Beistelltischen neben die Tube mit dem Sonnenschutz: „Warum lassen die ihre Kids hier herumtoben, wenn es im Hotel Kinderanimation gibt.“

 

„Schatzerl“, antwortete sie schläfrig, “kremst mich ein?“ Und legte sich auf den Bauch, ließ ihre Arme schlaff seitlich herunterhängen. Gähnte: „Was scheren mich die Kids anderer Leut’.“

 

Er beugte sich über Dana und massierte mit kreisrunden Bewegungen die Kreme ein.

„Von einem Fünf-Sterne-Privat-Strand kann ich erwarten, dass ich meine Ruhe vor den Bälgern habe.“

 

„Tor!“, schallte es von den Kindern. „Tor!“ Ihr Ball wippte in den Wellen auf und ab.

 

„Da kann ich auch am Pool bleiben.“

 

„Ah geh, Schatzerl, Kinder gibs überall.“ Sie nahm einen weiteren Schluck und stöhnte wohlig unter den Berührungen seiner Hände. „Das tut gut. Das entspannt mich.“

 

Nun widmete er sich dem Einsalben ihrer Beine und entdeckte unschöne Besenreiser.

 

„Perfekt ist das Hotel nicht!“

 

„Wie kommst darauf, Schatzerl?“

 

Felix wischte sich angewidert die Hände am Handtuch ab. „Fertig.“

 

„Aber Schatzerl! Bitte! Soll i an Sonnenbrand an den Beinen bekommen? Warum hörst auf?“

 

„Gestern habens erst gegen fünfzehn Uhr das Zimmer gemacht!“, stieß er hervor.

 

„Ah geh!“, gähnte sie abermals, dafür ist das Essen besser als in der Türkei.“

 

Er wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn: „Diese unerträgliche Hitze“, und rief nach der Bedienung. Hielt seinen Arm hoch und zeigte auf sein ‘All-In-Armband’.

„Einen Kuba-Livre, äh Kuba-, äh, ein Bier! Aber presto. Aber kalt muss es sein! Avanti!“

 

Und es dauerte nicht lange, da stand sein Glas auf dem Tischchen unterm Sonnenschirm, weil die Bedienung es flink gebracht hatte mit einem herzerwärmenden Lächeln auf den Lippen und einem aufreizendem Hüftschwung über den endlos langen Beinen ohne Makel.

 

„Sagen S’ dem Hotelmanager, dass wir unser Zimmer, unseren Room, vor Three-A-Clock gereinigt haben wollen! Vor Tress-Uhr bittschön!“, befahl Dana mit einem eifersüchtigen Blick auf die südliche Schönheit.

 

„Dreihundertzwei“, ergänzte er, „Three-Hundred-And-Two.“

 

Nun war Felix mit der Körperpflege seiner Frau fertig, schraubte die Tube zu und legte sie beiseite.

 

„Wenn man denen nicht zeigt, wer der Gast im Haus ist, dann behandeln die dich wie den letzten Dreck. Aber wir sind schließlich zahlende Gäste.“ Er tätschelte das Gesäß Danas.

 

„Grausig, diese Hitze, Schatzerl-Mausi.“ Sie zog ihren Lippenstift aus der Tasche und erneuerte das Rot. „Ohne uns hätten sie keine Arbeit.“

 

Felix nickte.

 

Dana wendete sich behäbig auf den Rücken.

 

„Meinst, da kann man was herausschlagen an Wiedergutmachung wegen Mangel?“, hob ihren Kopf und blinzelte unter ihrer Sonnenbrille hervor, indem Dana diese leicht von der Nase abhob.

 

„Tor!“, riefen die Kinder, stoben durch den Sand, wirbelten ihn auf und Dana direkt in die Augen.

 

„Verschwindet!“ Sie nahm die Brille vollends ab und wischte über ihre Lider. „Das ist Körperverletzung. Sowas erwähne ich auf jeden Fall in der Internetbewertung! Negativ! Nur negativ!“ 

 

Er streckte sich ausgiebig auf dem Strandlaken aus. „Nächstes Jahr gehts nach Ägypten! Seit den Anschlägen soll es dort noch billiger sein! Wir bleiben eh in der Hotelanlage, da passiert uns nichts.“

 

Dana erhob sich und ging langsam zur Stranddusche: „D’ Südländer haben halt ‘s Arbeiten nicht erfunden. Aber komm Schatzerl! Sonst fressen die Billigtouristen das Büffett leer.“

 

* * *

 

Maria saß auf dem Monoblock-Plastikstuhl und wärmte sich auf dem Gaskocher eine Tütensuppe auf.

anne zeisg, ENDversion