Von Klaus-Dieter Oettrich
Wie jedes Jahr verbrachten Inge und Peter die letzte Oktoberwoche in ihrer Berghütte auf ca. 1.500 Meter Höhe in Tirol. Die Katze Susi durfte immer mit.
Nach dem Ankunftstag unternahmen sie bei herrlichem Wetter ihre erste Tour. Susi blieb vor der Berghütte.
Wann immer Inge und Peter zur Wanderung die Hütte verließen, schaute sie den beiden traurig hinterher.
Nachdem die beiden zurückkamen, gab es stets eine große Katzenfreude. Keinen Schritt wich sie von ihnen und brauchte unzählige Streicheleinheiten.
Am nächsten Tag planten sie erneut eine Wanderung. Die Sonne schien nicht so klar wie am ersten Tag.
Inge (34 Jahre, 170 cm groß, schlank, langes blondes Haar, Rechtsanwältin) meinte: „Heute gehen wir nicht so weit. Das Wetter wird sich ändern.“ Inge wurde in Bludenz im österreichischem Bundesland Vorarlberg geboren. Ihr Vater nahm sie schon als Kleinkind zu Wanderungen in die Berge mit und weihte sie über die Geheimnisse der Bergwelt ein. So konnte sie z.B. schon stundenlang voraussagen, wann es zum Regnen kommt.
Peter (39 Jahre, 180 cm groß, ca. 80 kg, gewelltes braunes Haar, Rechtsanwalt) riet ihr schon öfters: Eigentlich solltest du nicht in einer Rechtsanwaltskanzlei arbeiten, sondern als Meteorologin beim Rundfunk oder bei einer Fernsehanstalt in Bregenz oder Innsbruck.
Als die beiden um 9 Uhr die Berghütte verließen, hatte es 10 Grad Außentemperatur. Inge sagte: „Die Temperaturen werden um die Mittagszeit wohl wieder 20 Grad erreichen. Aber ich spüre, dass eine Wetteränderung heute noch kommt.“
Um 12 Uhr war immer noch keine klare Sicht. Die Sonne konnte sich gegen die Nebelschwaden nicht richtig durchsetzen.
Peter schaute Inge an und fragte: „Was bedeutet diese Wetterlage?“
„So ein Wetter gefällt mir gar nicht. Das Beste. wir wandern wieder zurück zu unserer Hütte.“
„Gut, besuchen wir aber noch Emma und Georg in ihrer Berghütte. Sie kommen doch auch immer zu dieser Jahreszeit und wir sollten sie doch mal begrüßen.“
„Eigentlich könnten die beiden auch uns mal besuchen,“ meinte ein wenig verärgert Inge.
„Du weißt, uns zu besuchen ist schwierig, wir sind doch immer beim Wandern.“
„Na ja, den Umweg von zwei Stunden können wir noch riskieren.“
Der Bergpfad war leicht zu begehen und man kam zügig voran. Schneller wie geplant wurde die Berghütte erreicht. An der Türe war ein Zettel angebracht auf dem stand: Georg und Emma sind in der Berghütte von Inge und Peter.
„Nun wandern wir schnell zu unserer Hütte, dass wir sie noch treffen.“
Das Wandertempo wurde erhöht.
Es war 14 Uhr, als sie ankamen. Bedingt durch dunkle Wolken, war die Sonne nicht mehr zu sehen. Man konnte meinen die Abenddämmerung bricht herein.
„Wir sind gerade angekommen,“ sagte Emma bei der Begrüßung und umarmte Inge. Auch die Männer lagen sich in den Armen.
„Welch eine freudige Überraschung,“ sagte Peter.
„Schon viele Male wollten wir euch besuchen, aber es kam immer irgend etwas dazwischen.
Zweimal waren wir im Sommer auch schon hier. Aber ihr wart mal wieder wandern. Eure Katze lag schlafend auf der Sitzbank. Aber heute mußten wir unbedingt kommen. Emma hat über Funk erfahren, dass diese Nacht ein extremer Temperaturwechsel eintreten wird, begleitet von starken Stürmen. Man vermutet sogar einen Orkan.“
„Du meinst wir können morgen unsere Sommerkleidung nicht anziehen,“ sagte lachend Peter.
„Nein, Peter. Du meinst wohl wir machen Spaß. Die Wetterlage wird von der Bergwacht sehr ernst genommen. Wie du ja weißt, bin ich Mitglied bei der Bergwacht. Daher trage ich auch immer mein Funkgerät bei mir,“ teilte Emma mit ernster Miene mit.
„Wie kalt soll es denn werden‘?“ Fragte Inge.
„Genau kann man dies bei solchen extremen Wetterbedingungen nicht sagen. Aber die Temperaturen werden bestimmt um die 20 Grad minus sein,“ teilte Emma mit.
„Laßt uns in die Hütte gehen und einen Enzian trinken,“ sagte Peter.
Susi hatte ihren Winterschlafplatz auf der Sitzbank am Kachelofen eingenommen.
„Die Tiere spüren es genau, wenn das Wetter umschlägt.“
„Emma hat recht. Tiere haben ein außergewöhnliches Gespür auf Wetterwechsel. Ich aber auch. Vielleicht war ich in meinem vorherigen Leben eine Katze oder ein anderes Tier. Auf unserem Bauernhof in Bludenz wurden die Kühe und Schafe immer unruhig, wenn es zu einem Wetterwechsel kam.“
Plötzlich fing es an stark zu gewittern. Am Himmel sah man nur noch Blitze. Nun setzte auch starker Hagel ein. Tennisball große Hagelkörner krachten auf das Dach und an die Wände.
Peter konnte gerade noch die Fensterläden schließen.
„Draußen sieht es aus wie im Winter. Alles ist weiß.“
Ein Donner jagte den anderen.
„Inge mach auch noch die Gaslampen an,“ meinte Peter.
Der Sturm wurde immer heftiger und pfiff um die Hütte, dass die Wände anfingen zu zittern.
„So etwas habe ich noch nie erlebt. Seit meiner Kindheit gehe ich in die Berge. Aber so einen Wetterumschwung habe ich noch nie erlebt,“ sagte Inge mit ängstlicher Stimme.
Plötzlich hörte es auf zu stürmen. Sofort gingen Peter und Georg mit ihren Taschenlampen hinaus, um mit Brettern die Fensterläden zu verstärken.
„Peter, schau mal wer da vor dem Lager liegt,“ rief Georg.
„Das ist ja Nico, der Hirtenhund. Komm in die Hütte mit uns,“ sagte Peter zu ihm. Nico konnte eigentlich Katzen nicht ausstehen. Aber in diesem Augenblick war es ihm wohl egal.
„Es riecht wie in den Wintermonaten,“ bemerkte Georg.
„Ja es stimmt, wahrscheinlich hat man im Kachelofen Feuer angemacht.“
„Die Wärme ist sehr angenehm,“ sagte Peter „Jetzt noch einen heißen Rum und die Welt ist wieder in Ordnung.“
„Nein,“ erwiderte Inge. „Wir müssen alle nüchtern bleiben. Das Unwetter ist noch nicht vorbei. Peter wir brauchen alle unsere Kräfte. Es geht hier wirklich um Leben oder Tod. Das Unwetter wird noch stärker werden.“
„Du meinst, dass ich nach 3 Gläser Rum nicht mehr Kraft habe?“
„Wahrscheinlich ja, aber du kannst nicht mehr richtig kontrollieren, wie du sie einsetzen mußt,“ entgegnete Inge.
Das zweite Unwetter ließ nicht lange auf sich warten. Der Unterschied war, dass es deutlich stärker war.
Man konnte sich kaum noch unterhalten, durch den Lärm was der Sturm und der Hagel verursachten.
Jeder bekam nun Angst. Emma begann zu weinen. Georg hielt seine Hände vor sein Gesicht, um die Tränen zu verbergen. Inge hielt Susi in den Armen und sagte vor sich hin: „So habe ich mir mein Lebensende nicht vorgestellt.“ Peter sah schon vor seinen Augen die Überschrift im Bregenzer Tagblatt: Der berühmte Rechtsanwalt Peter Schulze ist tot. Auch seine drei Wanderfreunde konnten nur noch tot geborgen werden. Viele Berghütten wurden vom Orkan durch die Luft geschleudert.
„Peter, glaubst du, unsere Hütte hält den Sturm aus?“ Fragte Inge.
„Ich hoffe, mein Vater war Architekt und hat die Hütte so geplant, dass sie jedes Unwetter aushält. Die Bauarbeiter lächelten damals beim Neubau und fragten meinem Vater: Wollen sie hier ein Hochhaus bauen? Das Fundament sieht so aus.
Nun war es 20 Uhr, aber das Unwetter hatte noch nicht nachgelassen. Jetzt begann noch ein großes Schneegestöber.
„Wenn die Berghütte stehen bleibt, so werden wir wahrscheinlich eingeschneit,“ meinte Inge.
Nach einer Stunde hörte der Schneefall fast auf, dafür stürmte und gewitterte es noch stärker.
Peter konnte dies alles durch ein Guckloch, welches in die vordere Außenwand eingebaut war beobachten. Sein Vater hatte wohl bei der Konstruktion der Berghütte an alles gedacht. Aber hat er auch einen Orkan berücksichtigt?
„Wieviel Grad hat es draußen?“ fragte Georg.
„Das Außenthermometer zeigt minus 15 Grad an.“
„Emma hat sich die Bergwacht immer noch nicht gemeldet?“ Fragte Georg.
„Nein, ich habe es auch schon mehrfach versucht. Aber es meldet sich niemand.“
„Wissen die Leute wo du bist?“ Fragte Peter.
„Ja, bevor ich eine Wanderung unternehme, muß ich den Weg zum Zielort bekanntgeben. Damit ich, falls sich Wanderer in der Gegend in Not befinden, schnell am Unfallort sein kann.“
„Also haben uns die Leute von der Bergwacht aufgegeben,“ sagte traurig Georg.
„So sieht es aus.“
„Haben wir noch genügend Brennholz für den Ofen in der Hütte?“ Fragte Peter.
„Ja, der Vorrat reicht noch für 3 Tage. Auch Essensvorräte haben wir genügend,“ antwortete Inge.
„Ich bereite mir nun einen Grog. Will jemand auch einen?“
„Ja, bitte,“ hörte er drei Stimmen sagen.
Endlich hörte man den Klingelton des Funkgerätes. „Emma seid ihr noch in der Hütte von Peter?“
„Ja, wir sind hier.“
„Bleibt dort. Wir haben die Suche nach drei Bergwanderer eingestellt. Unser Kamerad Udo kam bei der Suche ums Leben. Wir sind am Ende unserer Kräfte.“
„Wo befindet ihr euch?“
„In deiner Berghütte.“
„Ich habe schon mehrfach versucht, dich über Funk zu erreichen.“
„Auch ich versuchte es, aber es kam keine Verbindung zustande.“
„Was meldet die Einsatzzentrale?“
„Die Temperaturen werden bis zu 30 Grad minus fallen. Der Orkan wird abdrehen. Auch der Schneefall soll nachlassen.“
„Kocht euch ein warmes Essen. Du kennst dich ja in der Hütte aus und weißt auch wo die Schlafsäcke liegen. Ich hoffe, dass wir uns morgen dann gesund wiedersehen.“
„Für unseren Bergwacht Kameraden Udo werden wir zum Gedenken eine Kerze anzünden.“
„Das werden wir hier auch. Ich werde Udo nie vergessen, der so wagemutig war.“
„Leider mußte er dadurch nun sein Leben lassen.“
„Es trifft immer die Falschen.“
„Wie recht hast du.“
„Also bis morgen.“
Emma begann an zu weinen. Sie hatte einen guten Kameraden verloren, der immer andere Menschen helfen wollte.
„Peter, kannst du mir noch einen Grog zubereiten?“
„Sehr gerne. Ich nehme an auch wir vertragen noch einen.“
Es wurde eine Kerze für Udo angezündet und alle starrten traurig das Kerzenlicht an.
Der Sturm ließ nach und Peter begab sich nach dem vierten Grog vor die Hütte.
„Spinnst du jetzt?“ Fragte Inge.
„Nein, ich will die Wetterlage prüfen.“
„Jetzt in der Nacht?“
„Habe ja meine Taschenlampe.“
Inge schüttelte den Kopf und sagte: „Peter, der Grog hat aber stark bei dir zugeschlagen.“
Nach zehn Sekunden kam Peter zurück und teilte mit: „Draußen herrscht eine Eiseskälte.“
Am nächsten Morgen sagte Peter: „Inge zwicke mich, damit ich spüre, dass ich noch lebe.
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