von Björn D. Neumann
Es war einer dieser Tage zum Vergessen. Im Büro ging nur schief, was schief gehen konnte. Das Wetter war eine Katastrophe und ich wurde auf dem Heimweg pläddernass. Ich musste ja auch unbedingt heute das Fahrrad nehmen. Und zur Krönung hatte mein Lieblingsitaliener außerplanmäßig geschlossen. Nichts war es mit einer leckeren Pizza zum Abendbrot und im Kühlschrank lag nur ein angegammelter Eisbergsalat. Inzwischen war mir der Appetit eh vergangen. Ich goss mir einen Wodka ein und fläzte mich in den Sessel. Es gibt Tage, da wäre man besser im Bett geblieben.
Auf dem Couchtisch lächelte mir eine Tüte Gummibärchen entgegen. Genauer gesagt Gummischildkröten. Tom, mein bester Freund, der manchmal ein bisschen drüber ist, hatte sie tags zuvor hiergelassen. Irgendwas von ‚damit du mal wieder besser drauf kommst‘ und ich solle mal die ‚grüne Brille‘ aufsetzen gefaselt. Was soll’s, dachte ich – irgendwie hatte ich ja doch ein Hüngerchen. Also riss ich die Tüte auf und schob mir eine rote Schildkröte in den Mund. Schmeckte irgendwie eigenartig, aber nicht unangenehm. Als ich allerdings nach der halben Tüte die Beschriftung genauer las, war es zu spät. Der Boden schien zu schweben, Konturen verschwammen und Farben verwischten zu den merkwürdigsten Bildern. Und auf einmal stand sie da.
„Hallo“, sagte mir die Kröte
Und fragte, ob ich ’nen Platz anböte
In meinem schön beheizten Zimmer
Ihr Rücken schmerze immer schlimmer
Vom Tragen sei er ganz verspannt
Tagaus, tagein sei sie gerannt
Mit ihrem Panzer auf den Schultern
Von Pontius bis hin zum Sultan
Hab manche Reise schon gemacht
Die Welt gesehn‘ in ihrer Pracht
Mit Drachen, Schlangen schwer gerungen
Mein Heldenmut wurd‘ oft besungen
Für ein wenig Lab und Trank
Erzähl‘ ich’s dir gern zum Dank
Von allen meinen Heldentaten
Dem Herkules stand ich zum Paten
Nimm Platz, erzähl‘ mir die Geschichte
Ich sah sie an bei Kerzenlichte
Gab Wasser ihr und ’nen Salat
Worum sie mich um Nachschub bat
Nach einer Stunde ward sie satt
Verschmähte noch das letzte Blatt
Sie gähnte müde vor sich hin
Und kratzte sich das Doppelkinn
Was ist mit deinen Abenteuern?
Mit Riesen, Trollen, Ungeheuern?
Ich wollte die Erzählung hören
Sollst mich mit Spannung nun betören
Jetzt bin ich müde, guter Mann
Erzählen will ich morgen dann
Jetzt mache ich die Augen zu
Auch du sollst gehen bald zur Ruh
Am nächsten Morgen war sie fort
Kein Kröt‘ mit Panzer mehr am Ort
Nicht mal nen Zettel ließ sie da
Auf dem ein Dank zu lesen war
Essen, schlafen war ihr wichtig
Die Ehrenschuld hielt sie für nichtig
Wer Schabernack nur führt im Schild
Ab heute nun als Schildkröt gilt!
Mein Kopf dröhnte. Mein erster Blick viel auf die Tüte. ‚Stony Turtles‘ – Edibles mit THC. Mir wurde alles klar.
Als ich dann die Spuren der vergangenen Nacht beseitigte, fiel mir etwas unter dem Couchtisch auf. Ich hob es auf und betrachtete es verwirrt. Es war ein angeknabbertes Blatt Eisbergsalat.
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