Von Klaus-Dieter Oettrich

Tosender Beifall ertönte, als der siebenjährige Pit sein erstes Konzert gab. Von seinem Klavierspiel und seiner Stimme waren die Zuhörer begeistert.
Der Veranstalter sagte danach zu der Mutter: „Dieser Junge ist hochtalentiert. Wir möchten ihn gerne als jüngstes Mitglied in unseren Schulchor aufnehmen.“
„Wir hätten nichts dagegen,“ antwortete die Mutter.
„Hat ihr Junge schon Gesangsunterricht genommen?“
„Nein, wir singen zu Hause sehr viel. Mein Mann und ich sind Opernsänger. Oft unterhalten wir uns gesanglich. Die Nachbarn sagen: Dies ist ein Gesangshaus.“

Wenn sich bei der Mutter und dem Vater die Auftritte überschnitten, wohnte Pit bei seinen Großeltern. Dort wurde nicht gesungen, dafür aber Musik gehört von den Beatles, Rolling Stones,
Bee Gees und Songs von Musicals.
„Oma, warum kannst du so gut tanzen zu den Songs?“
„Ich spielte früher bei Musicals mit, wie bei Cabaret, Hair, Hello Dolly, Kiss me Kate, My Fair Lady und West Side Story, obwohl ich ausgebildete Opernsängerin bin.“
„Das will ich auch, wie kann man dies lernen?“
„Dazu muss man in eine Musical Schule gehen. Die Voraussetzung sind: Eine gute Gesangsstimme und eine große Tanzbegabung. Aber es gibt auch Quereinsteiger, so wie ich es war.“

In der Schule war Pit nur mittelprächtig. Nur in Musik erhielt er die Note eins. Pit wollte nur eins: so schnell wie möglich sein Abi bestehen und danach als Profi in der Musikbranche tätig werden.
Mit fünfzehn Jahren spielte er in der Schulband und war dort schon Leadsänger.
Als Achtzehnjähriger gut aussehender, schlanker Mann mit seinen braun-grünen Augen und den langen dunkelbraunen Haaren, gründete er mit drei Freunden eine eigene Musikband. Pit war Leadsänger und spielte Gitarre. Er komponierte die Songs selbst und schrieb auch die Texte dazu. Man musizierte bei Straßenfesten, Betriebsfeiern, Geschäftseröffnungen und Sportveranstaltungen.
Bei so einem Event wurde Pit und seine Band von einem Musikagenten entdeckt.
Schon die erste CD landete auf Platz eins in der Hitparade. Danach kamen Fernsehauftritte und weitere CDs wurden veröffentlicht. Von der Rock Pop Songs waren die Fans begeistert.
Der Aufstieg war kometenhaft.

Was den Eltern auffiel, dass Pit keine Freundin hatte. Er wurde von den Mädchen begehrt und in den siebten Himmel gehoben. Aber eine persönliche Beziehung kam nie zustande.
„Glaubst du, dass er schwul ist?“ Fragte der Vater seine Frau. „In Künstlerkreisen kommt dies sehr viel vor. Eigentlich habe ich nichts dagegen.“
„Fragen wir ihn,“ meinte die Mutter.
„Pit bist du schwul?“ Als hätte er auf diese Frage schon gewartet antwortete er: „Nein, warum sollte ich. Meine Arbeit für die Musik nimmt mich voll in Anspruch. Ich liebe die Musik und ich habe keine Zeit mich um eine zwischenmenschliche Beziehung zu einem Mädchen zu kümmern. Ich bin ja noch so jung. Ihr werdet schon noch eine Schwiegertochter bekommen. Mit meiner Musik will ich ein Top Star werden. Und dazu brauche ich all meine Kraft. Ist damit eure Frage beantwortet?“
„Ja, aber noch eine Zusatzfrage.“
„Deine Bewegungen auf der Bühne sind mädchenhaft,“ sagte der Vater. „Das liegt daran, dass meine tänzerischen Bewegungen zu meiner Musik passen. Das habe ich von Oma gelernt.
Slips, BHs usw. sehe ich nur, wenn sie auf die Bühne geworfen werden. Die Fans flippen regelrecht aus. Daher haben wir auch Bodyguards damit niemand auf die Bühne kommen kann. Es wäre lebensgefährlich für mich. Aber trotzdem muss ich sagen, dass ich mich bei so einer großen Begeisterung wohlfühle. Die tausende Blumen die auf die Bühne geworfen werden, sammeln wir ein und verschenken sie an Altersheime.“

Dann kam der Schicksalsschlag: Vor einem Auftritt versagte seine Stimme. Er brachte nur noch ein Gekrächze heraus, wie das Kreischen einer Bergdohle.
Pit ging auf die Bühne. Bei lautem Gegröle der Fans flüstere er ins Mikrofon: „Ich kann nicht mehr. Meine Stimme hat mich verlassen.“ Die Fans brüllten weiter. Wahrscheinlich hat niemand was verstanden.

In großen Buchstaben stand am nächsten Tag in den Zeitungen: Pit vermisst seine Stimme.
Auch von Radioanstalten wurde diese Nachricht gesendet.

Am nächsten Tag ging Pit zu seinem Hausarzt, der ihn zu einem Speziallisten überwies.
Sofort am nächsten Morgen ging er ins Marienhospital.
Der Facharzt sagte: „Wir müssen verschiedene Untersuchungen durchführen, um den Grund der Erkrankung ihrer Stimmbänder zu finden.“
„Können Sie mir jetzt schon sagen, welche Krankheiten vorliegen können“?
„Im Moment noch nicht aber hoffe,  dass sie durch unsere Behandlung in einem bis zwei Jahren wieder singen können. Die Krankenschwester wird mit ihnen die Untersuchungstermine vereinbaren.“

Vor dem Krankenhaus warteten schon einige Hunderte von Fans. Sie riefen: Pit, wann kannst du wieder singen? Wir vermissen dich so sehr.
Sein Pressesprecher teilte den Fans mit, dass man die Untersuchungen erst mal abwarten will.
Daheim fiel Pit in ein Loch der Depressionen. Musik war sein Leben. Ohne sie wollte er nicht mehr leben.

Jeden Tag erhielt er von vielen Fans Aufmunterungs-Schreiben. Ein Fan Club riet ihm, er solle doch Musik schreiben mit den zugehörigen Texten. Diese Möglichkeit gefiel Pit gut und er fing gleich an für andere Bands zu komponieren.

In dem großen Stapel der Schreiben fand er einen Brief aus den USA. Absender: Prof. Dr. Dr. Maile. In dem Brief wurde er gebeten einen Termin in LA zu vereinbaren. Grund: Heilung ihrer Stimmbänder.
Zuerst glaubte Pit an einen Scherz.
Trotzdem versuchte er im Internet nach diesem Herrn Maile zu suchen. Es gab wirklich diesen Professor. Vor 10 Jahren wanderte er in die USA aus. Dort wollte er in absoluter Abgeschiedenheit in der Nähe von LA seinen Lebensabend verbringen. Sich aber weiter der Forschung im Bereich HNO und seinem Spezialgebiet Stimmbänder widmen.
Keine E-Mail-Adresse, Anschrift oder Telefonnummer war angegeben.
Pit hatte nun aber eine Adresse, welche auf dem Briefumschlag stand.
Sofort schrieb er zurück und fragte nach einem möglichst baldigen Termin. Auch würde es ihn interessieren, wie man auf ihn gekommen sei.
Nach 8 Tagen bekam er die Antwort: Mein Sohn ist ein großer Fan von ihnen. Während ich jahrelang an verschiedenen Unis weltweit lehrte und in der Forschung arbeitete, hatte ich kaum Zeit für ihn. Seit einigen Jahren bestand gar kein Kontakt mehr. Als ich von Tom einen Brief erhielt, mit der Bitte ihnen zu helfen, war ich überglücklich. Kommen Sie doch zur Behandlung nächste Woche nach LA. Ich werde sie am Flughafen abholen lassen.
Pit buchte sofort den Flug und teilte Dr. Maile die Ankunftszeit mit.

Diese freudige Nachricht musste gefeiert werden. Daher gab Pit eine große Party für alle seine Freunde.
Auch das frühere Bandmitglied Tom kam. Pit freute sich ihn wiederzusehen. Vor drei Jahren verließ Tom die Band. Durch seine Drogensucht war er nicht mehr in der Lage mit der Band zu arbeiten. Er verbrachte die letzten Jahre in einigen Entzugskliniken.
„Wie geht es dir?“
„Seit vier Monaten bin ich nun endlich drogenfrei. Ich hatte mehrere Rückschläge. So wie ein Raucher sagt: – Mit dem Rauchen aufzuhören ist ganz leicht. Ich habe es schon hundertmal geschafft. –
Mir geht es nun sehr gut.“
„Also komm doch wieder zur Band zurück.“
„Vorher musst du wieder gesund werden. Denn ohne dich als Leadsänger geht gar nichts. Sag mal, hat sich mein – Alter – bei dir gemeldet?“
„Wen meinst du damit?“
„Meinen Raben Vater. Der Professor Dr. Dr. Maile.“
„Ist dies wirklich dein Vater? Sein Brief kam aus den USA. Nächste Woche habe ich einen Termin bei ihm.“
„Das ist ja wirklich das Mindeste, was er tun kann. Ich habe ihn bisher noch nie um etwas gebeten.“
„Er hat mir in seinem Schreiben mitgeteilt, dass eure Beziehung nicht zum besten bestellt ist.“
„Das kann man wohl sagen.“
„Tom ich habe eine Idee. Komm doch nächste Woche einfach mit nach LA. Dein Vater würde sich bestimmt sehr freuen.“
Tom überlegte kurz. „Gut, ich komme mit. Möchte diesen Menschen mal wieder kennenlernen,“ sagte er verächtlich.

Drei Tage vor dem Abflug sagte Tom ab. Das Risiko eines Rückfalles wäre zu hoch, teilte er mit.
Pit wurde am Flughafen abgeholt.
Dr. Maile begrüßte ihn herzlich in seiner großen Villa. Pit war schon vom äußerlichen von diesem Mann beeindruckt. Er war 185 cm groß, weiße Haare, gebräunte Haut, hellblaue Augen. Schon bei der ersten Besprechung fiel ihm auf, wie beruhigend die sanfte Stimme auf ihn wirkte.
Am Nachmittag fand die Untersuchung statt.
Danach fragte Pit: „Können sie meine Stimmbänder heilen?“
„Ja, das kann ich. Dazu werde ich sie in ein künstliches Komma für eine Woche legen. Morgen wird die OP stattfinden.“
„Ist die OP gefährlich?“
„Eigentlich nicht. Aber wie sie bestimmt wissen, besteht bei jeder OP ein Risiko.“
„Warum versetzen sie mich in ein künstliches Komma?“
„Damit der Heilungsprozess beschleunigt wird.“
Am nächsten Tag sagte Dr. Maile vor der OP zu Pit: „Ich werde sie nun in einen tiefen Schlaf versetzen. In acht Tagen werden sie wieder aufwachen,“ sagte der Arzt.

„Sprechen sie bitte ganz leise,“ bat Dr. Maile als Pit wieder aufwachte. „In einer Woche werden sie wieder normal sprechen können.“
„Und singen?“
„Auch!“
Die Woche verging für Pit sehr langsam. Aber er bemerkte, dass seine Stimme immer klarer wurde.
„Nun probieren wir es mit dem Singen. Aber ganz leise,“ sagte Dr. Maile.
„Ich kann wieder singen, das ist ja wunderbar. Sie sind ein wahrhafter Heiler.“
„Ich bin kein Wunderheiler, sondern ein ganz normaler Arzt, der aber nicht nur mit der Schulmedizin arbeitet. Nach zwei Monaten ist ihre Stimme wieder voll belastbar.“

Am Flughafen in Stuttgart wurde er von hunderten von Fans empfangen.
„In zwei Monaten wird Pit mit seiner Band in der Mercedes-Benz Arena wieder ein Konzert geben,“ teilte der Pressesprecher mit.
Die Menschenmenge jubelte.
In allen Medien wurde mitgeteilt: Der vermisste Sänger Pit kehrt auf die Bühne zurück!
Die Arena war in kurzer Zeit völlig ausverkauft.
Das Konzert wurde ein grandioser Erfolg.