Winfried Dittrich
„Schreiber.“
„Guten Tag Frau Schreiber. Hier spricht Oberkommissar Kwiatkowski-Schulze von der Kreispolizeibehörde Ennepe-Ruhr-Kreis“, war aus der Hörmuschel des Telefonhörers zu vernehmen.
„Horst?“
„Laura?“
„Ja. Wie kommt es, dass du mich zu Hause anrufst?“
„Wir haben hier so einen merkwürdigen Typen, den wir ohne Papiere in einem gestohlenen Fahrzeug aufgegabelt haben.“ Es war so, als ob man das Grinsen des Polizeibeamten durch das Telefon hindurch hören konnte. „Er behauptet, er sei dein Ehemann.“
„Das kann nicht sein. Ich hab Olli noch vor eineinhalb Stunden gesehen. Er war bei mir in der Dienststelle.“
„Oliver Schreiber, geboren am 11. August 1980, sagt er.“
„Das ist er“, Laura ließ sich auf den Hocker fallen, der neben dem Telefonbänkchen im Hausflur stand.
„Oh“, klang es nun in einem professionell ernsten Tonfall aus der Hörmuschel. „Du musst ihn identifizieren, weil er sich nicht ausweisen kann.“
Laura atmete mehrmals tief ein und aus.
„Laura, komm erstmal zu uns auf die Dienststelle. Wir regeln das.“
„Mir ist ganz schlecht! Ich komme jetzt gleich.“
***
Sie warf die hochhackigen Schuhe zurück in den Schuhschrank und zog sich dann die flachen Ballerinas aus, die sie für die Autofahrt zur Polizeiwache angezogen hatte. „Ich habe heute im Büro extra früher Schluss gemacht, damit wir pünktlich in die Oper kommen! An unserem Jahrestag! Jetzt sind wir zu spät dran!“ Sie ging ins Ankleidezimmer und legte das Abendkleid ab.
Sie öffnete eine Schublade und warf die guten Strümpfe hinein. „Ich hatte eine Überraschung für dich.“ Dann legte sie die Spitzen-Unterwäsche ab und zog ein frisches Nachthemd aus der Kommode.
Als Oliver seinen Kopf um die Ecke reckte, um einen bereuenden Blick auf seine entkleidete Ehefrau zu werfen, knallte sie die Tür vor ihm zu. „Uppsi“, sagte Oliver laut und ließ auf das Ehebett nieder.
„Oliver, ich schlafe heute im Gästezimmer!“, hörte er durch die geschlossene Tür. „Wenn das nicht unser letzter Jahrestag gewesen ist!“
***
„Guten Morgen, Schatz. Hmmm… Kaffee… Darf ich eine Tasse?“, fragte er als er sich zu Laura an den nur für eine Person gedeckten Küchentisch setzte.
„Oliver, du und die Küchenzeile, ihr habt was gemeinsam. Ihr habt keine Tassen mehr im Schrank. Du musst dir eine aus der Spülmaschine nehmen und sie selbst abspülen“, sagte Laura und setzte ihren biestigen Gesichtsausdruck auf. Dann köpfte sie ihr Frühstücksei, anstatt es, wie sonst immer, zu klopfen. „Du hast uns den Jahrestag verdorben. “
Oliver saß weiterhin ohne Kaffee am Tisch. Oliver wusste, wenn Laura Oliver Oliver nannte, dann herrschte Alarmstufe ROT. „Meintest du das gestern ernst mit letztem Jahrestag? Ist einfach ganz blöd gelaufen, gestern. Entschuldigung. Ich hab einfach mal wieder meinen Geldbeutel zu Hause vergessen.“
„Ja, meinte ich! Für den Moment zumindest. Du hattest ja am Ende nicht besseres mehr zu sagen als Uppsi. Deine Uppsis habe ich echt satt! Und die ganzen Verwarnungsgelder! Die waren so teuer wie der Abend, wenn wir ausgegangen wären. Ich habe die gestern einfach so akzeptieren müssen, um lange Verfahren zu vermeiden. “
„Den Abend können wir doch bald nachholen, Schatz. Den fliegenden Holländer führen sie regelmäßig auf. In einem halben Jahr ist wieder eine Vorstellung. Es tut mir echt leid.“, sagte er.
„Das Abendkleid passte mir gerade so gut.“
„Das wird dir doch auch in einem halben Jahr noch passen!“ Oliver schüttelte mit dem Kopf, stand auf, ging zur Küchenzeile, holte eine Tasse aus der Spülmaschine, wusch sie schnell ab und goss sich einen Kaffee ein.
„Der ist aber dünn. Ist das Tee?“
„Nein. Kaffee. Ich hab ihn halt etwas dünner gemacht, als du. Musst du ja nicht trinken!“, giftete Sie zurück.
Oliver ging zum Kühlschrank und öffnete die Kühlschranktür. „Keine Salami mehr.“ Dann holte er die Frischhaltebox mit dem gelben Deckel heraus.
„Mach die Käsebox wieder zu oder ich breche dir hier quer über den Tisch!“, sagte Laura mit einem schrillen Unterton und kniff sich dabei die Nase zu.
„Was ist denn mit DIR los?“, fragte er und legte die Box wieder zurück in den Kühlschrank. „Mit welchen Ausdrücken wirfst du denn um dich? Als ich der Käseverkäuferin neulich noch sagte, dass ihre Arbeit doch mit der Arbeit in einer Parfümerie vergleichbar ist, hast du dich kaputt gelacht.“
Er holte ein Glas aus dem Küchenschrank und füllte es mit Leitungswasser. Dann setzte er sich wieder an den Tisch. Er kniff die Augen zusammen und blickte Laura an.
„Gestern hast du mir die neuen Topfblumen ins Büro gebracht, die ich mir zum Jahrestag gewünscht hatte. Und keine zwei Stunden später bist du Auto gefahren, zu schnell, ohne Papiere, mit Handy am Steuer, in einem Auto, das dir nicht gehört, das du dir ohne Absprache von deiner Mutter ausgeliehen hast und bei dem der TÜV abgelaufen ist, Oliver!“ Laura knallte das Brotmesser im Takt ihrer Worte auf das Schneidbrett.
„Ja, und? Hat sich doch alles aufgeklärt. Du musst doch jetzt nicht so hysterisch werden.“
„Oliver, ich arbeite beim Ordnungsamt und leite die Abteilung für Verkehrsdelikte! Die Ordnungswidrigkeitsverfahren wären bei mir in der Behörde geführt worden, von meinen Mitarbeitern. Diese Peinlichkeit musste ich vermeiden. Gott sei Dank ist der Polizist ein diskreter Kollege. Wenn das die Runde machen würde, dann könnte ich mich da nicht mehr blicken lassen!“
In diesem Moment brummte Lauras Handy. Eine Sprachnachricht. Sie kam von ihrer Schwiegermutter und Laura spielte sie laut vor:
„Hallo Schwiegertochter, kommt ihr denn heute zum Kaffee? Wie immer zu eurem Jahrestag? Mit dem Olli hab ich gleich noch ein ganz dickes Hühnchen zu rupfen! „Uppsi, Entschuldigung, Mama“ hat er mal wieder geschrieben. Am Montag hätte ich eigentlich einen Termin in der Autowerkstatt wegen dem TÜV und so gehabt. Aber den muss ich jetzt absagen, weil ich das Auto erst am Montag bei dem Abschleppunternehmer abholen kann. Vorher brauche ich noch so einen Wisch von der Polizei, weil ich dem Polizisten gestern erst gesagt hab, dass das Auto nur gestohlen worden sein kann. Da rechnete ich doch nicht mit, dass der Olli sich das einfach nimmt. Jetzt krieg ich vielleicht noch Ärger wegen Falschanzeige.“
„Erklärst du mir jetzt mal, was da gestern passiert ist, Oliver?“, fragte sie und schüttete sich noch ein wenig Kaffee ein, den sie mit viel Milch verdünnte.
„Okay, ich bin von deiner Dienststelle mit dem Auto zurückgefahren, hab mir an der Pommesbude noch drei Burger und einen Kaffee geholt. Mama hat ja immer so einen Kleingeldvorrat im Aschenbecher und der reichte dafür. – Und dann habe ich die Geschwindigkeit auf der Landstraße unterschätzt. Ich hab diese Technomusik gehört und da gehen immer die Pferde mit mir durch. Da ist diese Kurve, in der nur fünfzig erlaubt ist. Dort war ich zu schnell. Und dann schritt der Polizist auf die Straße und hielt mich an“, erklärte Oliver und nippte dabei abwechselnd an dem dünnen Kaffee und seinem Wasser.
„OK. Normalerweise verhält man sich ruhig, bekommt dann einfach ein Verwarnungsgeld angeboten, bezahlt das oder nimmt den Zahlschein mit, und dann fährt man einfach weiter.“
„Na ja, die Musik habe ich über mein Handy gehört. Das hatte ich in meiner Hand und da lief sogar noch das Musikvideo zu der Musik. Das Handy hab ich dann schnell ausgeschaltet und in den Fußraum geworfen – wo der Kaffee stand. Der ist dann umgefallen und ergoss sich langsam in den Fußraum. Da musste ich schnell hingreifen, zog dabei am Lenkrad und machte einen Schlenker nach rechts, so dass ein Polizeibeamter ausweichen musste. Das hat mich schon mal ziemlich nervös und die Polizisten sehr aufmerksam gemacht. Die dachten wohl, ich fahre so, weil ich betrunken bin. Und dann haben sie sich das Auto näher angesehen.“
„Das ist ganz großer Mist, Oliver, weißt du das? Stell dir mal vor, du würdest den Führerschein verlieren! Wie willst du dann noch arbeiten? Du bekommst auf jeden Fall Punkte wegen der Handynutzung und dem abgelaufenen TÜV. Du bist total verantwortungslos!“
„Ich brauche keinen Führerschein. Als Taxifahrer möchte ich nicht mehr arbeiten. Du gehst doch arbeiten und seit deiner Beförderung es reicht für uns beide. Du bist doch so hinter mir her, dass ich mein Studium endlich abschließe und sonst keine Verpflichtungen eingehe.“
„Keine Verpflichtungen…“, sagte Laura leise und verstummte. Resignation und Unverständnis standen in ihrem Gesicht.
„Laura, was stimmt nicht mit dir?“ Er stand auf und räumte den Tisch ab. Dann nahm er den vollen Müllbeutel aus dem Mülleimer und ging ins Bad. „Ich bringe jetzt erstmal den Müll raus und dann gehe ich frische Luft schnappen!“ Als er das Pedal des Badezimmermülleimers betätigte und sich die Klappe vollständig geöffnet hatte, sah er einen stiftartigen Gegenstand mit einem Sichtfenster an der Seite, in dem zwei gerade Linien sich kreuzten.
Oliver hielt inne und erinnerte sich schleierhaft an das Wort Überraschung, das er am Vorabend aus ihrem Mund gehört hatte.
„Uppsi, Olli“, hörte er Lauras Stimme hinter sich sagen.
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