Von Ursula Kollasch

Mit der Pingeligkeit eines Oberkellners betrachtete Elfriede die festlich gedeckte Kaffeetafel, die meisterlichen Torten, die sie gezaubert hatte.
Jeden Moment würde ihr Frauenkränzchen erscheinen. Heute feierte Elfriede ihren 65. Geburtstag.
Beim Gedanken, von nun an in Rente zu sein, wurde sie etwas wehmütig. Künftig beträte sie die örtliche Bibliothek, in der sie vierzig Jahre ihres Lebens tatkräftig gewaltet hatte, nur noch, um Bücher zu entleihen.
Das Läuten riss sie aus ihren Grübeleien. Sie hastete zur Eingangstür und hörte ihre Freundinnen fröhlich schnatternd im Treppenhaus emporsteigen. Als erste stand die wie immer schick zurechtgemachte Gisela vor ihr, überreichte ihr ein Geschenk und zog sie in die Arme.
»Herzlichen Glückwunsch, meine Liebe!« Elfriede wurde fast schwindelig von ihrem intensiven Parfüm. Es folgten Annegret und Luise, die sie ebenfalls umarmten. »Alles Gute, danke für die Einladung«, flötete Luise und hielt ihr einen kleinen Blumenstrauß entgegen.
Als letzte gratulierte Irmela, doch die reichte ihr nur förmlich die Hand und murmelte: »Glückwunsch.«
Elfriede betrachtete ihr blasses Gesicht genauso prüfend wie zuvor den eingedeckten Tisch. Was war los mit der sonst recht forschen Frau?
Nun, sie würde gleich berichten, was ihr auf der Seele lag.
Während die Frauen am Kaffeetisch Platz nahmen, füllte Elfriede allen die Gläser mit Sekt und erhob ihres.
»Schön, dass ihr da seid.« Klirrend stießen sie an und tranken einen Schluck. Nur Irmela nippte nicht mal, sie zog eine Miene, als säße sie auf ihrer eigenen Beerdigung.
Elfriede stellte ihr Glas ab. »Irmi, was bedrückt dich?« Die wich ihrem Blick aus.
»Nichts, alles in Ordnung«, murmelte sie.
»Stimmt nicht«, stellte Gisela mit Nachdruck fest und Irmela rang vergeblich um Fassung.
»Ich will dir nicht deinen Geburtstag mit meinem Gejammer verderben«, presste sie hervor, brach dann in Tränen aus. Betretenes Schweigen folgte am Tisch. Alle wussten, dass Irmelas Uwe ein notorischer Fremdgänger war. Hatte es damit zu tun? Auch wenn die Freundin die amourösen Abenteuer ihres Gatten bisher vermeintlich gut weggesteckt hatte. Elfriede nahm ihre Hand.
»Denkst du, ich könnte meine Feier genießen, wenn du Sorgen in dich hineinfrisst? Raus mit der Sprache.«
Irmela schluckte, nahm von Annegret ein Taschentuch entgegen und schnäuzte sich.
»Ich hab‘ großen Mist gebaut. Also, es ist ja kein Geheimnis, dass Uwe Affären hat. Ich fühlte mich so einsam. Und da habe ich -« Sie hielt inne, ihre Lippen zitterten.
»Da hast du was?«, bohrte Elfriede nach.
»Ich habe im Internet einen Mann kennengelernt. Er lebt in Malaysia, spricht aber deutsch. Wir schrieben uns wochenlang, er war so lieb und charmant, sieht gut aus. Gerade mal dreißig ist er. Er stehe auf den mütterlichen Typ, habe seine Mutter nie kennengelernt. Und dann sprachen wir über facetime. Ich konnte es erst gar nicht fassen, dass er mir Komplimente machte. Ach, war das schön!«
Gisela grinste. »Und was ist daran so furchtbar? Warum solltest du nicht auch mal wieder Flirten?«
»Das ist ja noch nicht das Ende der Geschichte. Er sagte, er hätte sich in mich verliebt und wollte mich unbedingt besuchen. Hätte aber nicht genug Geld für den Flug. Also bot ich an, ihm die Summe zu überweisen.«
»Ich ahne Schlimmes!«, entfuhr es Luise.
»Ein paar Tage später schrieb er mir eine verzweifelt klingende Nachricht. Es sei eine schwere Krankheit bei ihm diagnostiziert worden, er sei jedoch nicht krankenversichert und bitte um einen Vorschuss für die medizinische Behandlung hier in Deutschland. Und die Summe für den Flug. Ja, und ich dumme Kuh …« Irmelas Stimme brach.
»Du hast dem Kerl doch wohl kein Geld überwiesen?«, wollte Annegret wissen. Irmela schluchzte. »Nein, ich übergab es einem Freund von ihm, der wollte es ihm bringen.«
»Wie viel?«, fragte Elfriede.
»Sechstausend Euro«, wisperte Irmela. Luise keuchte.
»Und seit ich das Geld überreicht habe, ist er abgetaucht, nicht mehr erreichbar … oh, wie ich ihn jetzt hasse! Und mich selbst für meine Dummheit!«
Irmelas Schultern zuckten, sie presste sich die Hand vor den Mund.
»Oh Gott, wie konntest du nur«, entfuhr es Annegret, woraufhin Gisela sie mahnend anfunkelte.
»Du bist einem Betrüger aufgesessen, Liebes«, sagte sie sanft. »Und bestimmt nicht die Einzige, die abgezockt wurde. Hast du ihn bei der Polizei angezeigt?«
Irmela schüttelte den Kopf. »Ich schäm‘ mich so. Wenn Uwe das erfährt! Ihr wisst, wie cholerisch er ist.«
»Das war aber sehr naiv von dir«, setzte Annegret wieder an.
»Vorwürfe bringen ihr gar nichts«, wies Elfriede sie zurecht, stand dann auf, verschwand im Nebenzimmer und kehrte mit ihrem Laptop zurück.
»Was wird das denn jetzt?«, fragte Luise.
»Na, unser Trost allein hilft Irmi nicht weiter. Der Kerl muss gefunden und zur Rechenschaft gezogen werden.« Sie wandte sich an die Freundin. »Wo hast du ihn kennengelernt?«
»Auf der Seite Einsame Herzen, aber dort ist er nicht mehr.«
Die Freundinnen verfolgten mit Bewunderung, wie flink Elfriedes Finger über die Tastatur flogen.
»Name?«
»Er nannte sich Fajar«, schnüffelte Irmela.
»Hast du ein Foto von ihm gespeichert?«
Irmela kramte ihr Handy aus der Handtasche, suchte kurz und reichte es Elfriede über den Tisch.
Gisela und Luise beugten sich neugierig vor, um einen Blick auf das Bild des jungen Mannes mit den glutvollen dunklen Augen zu erhaschen.
»Schick‘s mir auf mein Handy«, wies Elfriede an. »Ja, er ist nicht mehr bei Einsame Herzen. Schätze, er sucht auf anderen Portalen neue Opfer.«
»Irmi sollte zur Polizei gehen«, wandte Annegret ein.
»Nun, ein bisschen Vorarbeit wäre nicht schlecht, oder? Die Polizei hat weder so viel Zeit noch das gleiche Interesse wie ich, den Kerl zu finden.« Elfriede klappte den Laptop zu. »Irmi, versuch‘ dich zu entspannen. Jetzt machen wir uns einen schönen Nachmittag und danach kümmere ich mich um den schmierigen Typen, versprochen.«
Sie schenkte ihnen Sekt nach. »Wisst ihr, vorhin hatte ich ein wenig Bedenken wegen meines Ruhestands, nichts mehr zu tun zu haben. Aber – so tragisch das Ganze ist – jetzt habe ich eine Aufgabe. Den Kerl aufzuspüren und ihm das Handwerk zu legen. Prost!« Sie erhob ihr Glas und die Freundinnen taten es ihr gleich. Die kinobegeisterte Gastgeberin setzte hinzu: »Ich bin die Jägerin des verlogenen Schatzis.«

Elfriede saß die ganze Nacht an ihrem Laptop. Durchforstete Dating-Portale. Gegen drei Uhr morgens war sie kurz davor aufzugeben und die Jagd auf den nächsten Tag zu verschieben, als sie fündig wurde. Auf der Plattform TrueRomances.
»Hab‘ ich dich!«, knurrte sie. Auch wenn es ein anderes Bild war und er unter dem Namen Forson agierte, hatte sie den Fliegenfänger sofort erkannt. Sie schrieb ihm eine Nachricht. Gab sie sich als einsame, vermögende Witwe. Müde, aber zufrieden mit sich ging zu Bett. Der Köder war ausgelegt.
Und der Raubfisch biss an. Bereits am nächsten Tag erhielt sie eine Antwort.
Um ihren Erfolg zu teilen, lud die selbsternannte Jägerin die Freundinnen wieder zu sich ein. Nicht nur Irmela war aufgekratzt, als Elfriede ihre Ergebnisse präsentierte. Auch über die weiteren Schritte hielt sie ihr Frauenkränzchen in der folgenden Woche auf dem Laufenden. Dann war es endlich so weit, der Kerl folgte seinem Muster: »Geliebte Elfriede, ich will dich kennenlernen und in Deutschland besuchen kommen. Leider kann ich ein Flugticket nicht bezahlen.«
»Daran soll es nicht scheitern, ich habe genug Geld. Wie viel brauchst du?«, schrieb Elfriede zurück. Wie erwartet, informierte er sie über seine bösartige Krankheit und dass diese nur in einem „guten Krankenhaus in Deutschland“ geheilt werden könne.
Natürlich helfe sie ihm gerne, flunkerte sie im Netz, woraufhin Forson, der angeblich in einer Klinik in Malaysia lag, ankündigte, seinen Freund Ali als Boten einzuschalten. Denn er habe kein Vertrauen in die korrupten malaysischen Banken. Elfriede vereinbarte mit Ali ein Treffen am Hauptbahnhof. Was die Betrüger nicht wussten: Sie hatte längst Kontakt zur Polizei aufgenommen. Bei der Geldübergabe klickten die Handschellen. Ali wanderte in U-Haft und verpfiff seinen Kumpel Faisal, den Mann der vielen Namen und gebrochenen Herzen, der ebenfalls in Frankfurt wohnte.
Nach dem gelungenen Coup teilte man Irmela mit, dass sie und die anderen Geprellten ihr Geld nicht zurückerhielten. Es sei in dunklen Kanälen versickert. Das war ein herber Schlag.
»Mist. Das ist bitter«, sagte Elfriede dazu.
»Ja, jetzt hasse ich diese Kerle noch mehr! Wie soll ich das nur Uwe beibringen?« Irmelas Stimme zitterte.
»Schieb die Beichte nicht auf, bring es jetzt gleich hinter dich. Ich komme mit, als seelische Unterstützung.« Begütigend tätschelte Elfriede ihr den Arm.
Wie befürchtet geriet Uwe fürchterlich in Rage, als seine Frau sich ihm stammelnd offenbarte.
»Wie dämlich kann man nur sein! Unfassbar, was du dir da geleistet hast!«, brüllte er mit zornrotem Gesicht und Irmela sackte regelrecht in sich zusammen.
»Du dummes Huhn, bist an Blauäugigkeit kaum zu toppen, das …«
Elfriede fiel ihm barsch ins Wort: »Hör auf, sie anzuschreien. Irmi hat Mist gebaut und das Geld ist futsch. Doch warum hat sie das getan? Wenn du ein guter Ehemann wärst, hätte das alles gar nicht passieren müssen. Im Übrigen hat Irmi nie gezetert, wie viel Geld du in all den Jahren für deine Liebchen und die Lustreisen verpulvert hast. Aber die Summe übersteigt garantiert ein paar tausend Euro.»
Zufrieden nahm sie zur Kenntnis, dass Uwe erbleichte und ihm der Mund offenstand.
»Mensch, die ganze Nachbarschaft weiß, was du treibst. Gehst ja nicht gerade diskret vor. Abschließend: Irmi schläft heute bei mir. Bei deiner miesen Laune hätte ich ein ungutes Gefühl, sie hier zu wissen. Du hast dann Zeit zum Nachdenken.«
Damit zog sie ihre verblüffte Freundin aus dem Haus.
Als sie sich in Elfriedes Wohnzimmer mit einer Flasche Wein auf der Couch niederließen, sagte Irmela: »Dich zur Freundin zu haben, ist ein unbezahlbares Geschenk!«
Elfriede winkte ab und errötete ein wenig.
Es wurde ein wirklich schöner Abend, der Irmela noch dadurch versüßt wurde, dass Uwe ihr mitten in der Nacht eine zerknirschte Nachricht zukommen ließ, in der er Besserung gelobte.