Von Miklos Muhi
»Kommst du zum Team Event dieses Wochenende?«, fragt Michi.
Ein Mal pro Jahr mietet die Firma ein Wochenendhaus oder eine geräumigere Ferienwohnung und ab geht die Post. Man reist am Freitag an, sofort nach der Ankunft wird gegrillt und später gesoffen. Das Ganze wiederholt sich in der Nacht von Samstag zum Sonntag. Danach fährt man zurück. Was für Blutalkoholpegel bei der Heimfahrt im Spiel sind, ist mir nicht bekannt und ich verspüre keinerlei Neigung dazu, es zu erfahren.
In den zehn Jahren, in denen ich für diese Firma arbeite, gab es von mir immer die gleiche Antwort, nur die Begründung habe ich den jeweiligen Umständen angepasst.
»Danke für die Einladung, aber ich passe. Nächste Woche wird unsere Projektdokumentation auditiert. Wenn nicht alles tipp-topp ist, wird es Ärger geben. Wir sehen uns am Montag.«
»Wow … ich mag mir diese ganze Papierschieberei nicht einmal vorzustellen. Zum Glück haben wir dich. Schade, dass du nicht kommst. Du könntest deine Frau oder Freundin mitbringen … oder beide. Das wäre lustig. Vielleicht nächstes Mal«, meint Michi lachend.
Er hat eigenartige Vorstellungen vom Humor und von vielen anderen Gegebenheiten. Es sieht so aus, als würde die Mehrheit seine Meinungen teilen.
Ich sehe das Ganze etwas andres. Das zu sagen wäre aber problematisch.
Wegen der wachsenden allgemeinen Blödheit bringen selbst Wahlen fast gar nichts, wie das man immer wieder gesehen hat. Zum Glück gibt es alternative Möglichkeiten abzustimmen.
Bei der Firma werde ich ordentlich bezahlt und erhalte regelmäßig Boni. Die Arbeit macht mir Spaß. Sowohl Programmieren als auch Aufgaben in der Qualitätssicherung fallen in meine Zuständigkeit.
Die Letztere ist extrem wichtig und wird von waschechten Informatikern am wenigsten gemocht. So ist das alles bei mir gelandet. Trotz zahlreicher, sich jährlich wiederholender Weiterbildungen, kennt außer mir niemand die Abläufe und es fehlt massiv an Bereitschaft, daran etwas zu ändern.
Die Kollegen kennen mich kaum. Mutmaßen anhand gesellschaftlicher Erwartungen, die man nie und nimmer, nicht einmal in Gedanken anzweifeln darf, geht leichter. Ich wiederum schweige lieber und bleibe ein Außenseiter.
Sobald die Wohnungstür hinter mir ins Schloss fällt, befinde ich mich aus freiem Willen außerhalb der Gesellschaft. Nicht im Sinne des Strafrechts, zumindest noch nicht.
»Hallo Klaus«, grüßt mich Roland, mein Lebenspartner. Wir wohnen seit fünf Jahren zusammen. Wir haben uns auf einer Pride-Parade kennengelernt.
Die Gesellschaft hat uns nie akzeptiert, aber toleriert. Die Zeiten ändern sich jedoch. Die Nachbarn gucken argwöhnisch und in den letzten Monaten hat sich die Zahl der Religionshausierer, die bei uns klingeln, verdächtig erhöht. Die Meisten verstehen, dass uns Vereine, dessen Mitglieder an einer kollektiven Psychose leiden, nicht von Interesse sind. Einige drohen uns nicht nur mit imaginären und ewigen Strafen an frei erfundenen Orten, sondern mit Gewalt. In diesem Fall reicht, dass wir aus der Wohnung treten. Roland ist 2 Meter hoch, ich 1,93. Unser Anblick lässt die selbsternannten Seelenretter über etwaige Konsequenzen einer versuchten Gewaltanwendung nachdenken.
Wie lange noch, bis die kahl- und leerköpfigen Jungs mit Baseballschlägern, Bomberjacken und Springerstiefeln hier auftauchen?
»Hallo. Wie war dein Tag, Schatz?«, frage ich und Roland erzählt eine leider bekannte und sich wiederholende Geschichte über feige Anmerkungen und Sticheleien.
»Keine Sorge, Schatz. Das dauert nicht mehr lange. Bist du vorbereitet?«
»Sicher«, sagt er, nimmt meine Hand und führt mich ins Wohnzimmer zu seinem Laptop, der auf dem Couchtisch steht.
Pride-Aufmärsche sind seit einer Verfassungsnovelle verboten. Der idiotische Präsident der Republik, ehemaliger Verfassungsrichter und aktueller Feigling, dessen Hauptaufgabe aus dem Schutz von Grundrechten besteht (worauf er sogar einen Eid geleistet hat), hat alles kritiklos ratifiziert und damit das Recht auf Versammlungsfreiheit ausgehöhlt.
Eine Meinungsfreiheit gibt es genauso wenig. Zu sagen, dass man schwul und glücklich mit dem Partner ist, gilt als schädlich für Kinder und ist damit verboten. Die Meinung zu äußern, dass Hanf harmlos ist, wird als Verherrlichung von Drogen betrachtet. Festnahme, erzwungener Drogentest und Hausdurchsuchung sind Konsequenzen, mit denen man zu rechnen hat. Anbau und Konsum haben schon immer ein gewisses Risiko innegehabt. Dass das bloße Reden ins Gefängnis führt, ist neu.
Aber alles hat ein Ende, selbst wenn dem dämlichen Pöbel und deren verachtenswerten Führern das nicht gefällt.
*
»Guten Morgen Chef. Hast Zeit für mich?«, frage ich.
»Morgen Klaus. Für dich doch immer«, antwortet er, nimmt seinen Laptop und wir marschieren in ein Besprechungszimmer.
Ich nehme eine Mappe aus meiner Aktentasche und folge ihm. Er hat schon in aller Frühe eine ausgezeichnete Laune, trotz vermutlichen Katers.
Ohne ein Wort zu sagen, lege ich ein Blatt auf den Tisch.
»Was ist das?«, fragt er, als wäre er nicht in der Lage, den Titel, der mit riesigen Buchstaben gedruckt ist, zu lesen.
»Das ist meine Kündigung«, antworte ich.
»Was ist passiert?«, fragt er.
»Ich habe Arbeit in Deutschland gefunden und ziehe um.«
»Aber was ist mit all den Migranten und die No-Go-Zonen? Hamburg ist schon islamisiert worden und fast alle sind auf Drogen!«, wiederholt er treu wie erwartet die Regierungspropaganda.
»Lass das meine Sorge sein«, antworte ich. Eine Erklärung bekommt er von mir nicht.
»Viele Deutsche sind deswegen hierher, nach Ungarn gezogen und du willst dahin?«, fragt er. Das stimmt. Die meisten wohnen um den Plattensee und kaufen alles ab, was die ungarische Regierung und Parteien wie Angebot für Dumme ihnen auftischt. Ich respektiere ihr Recht darauf, eine Meinung zu haben. Meine lautet, dass mir selten Menschen, die mit derart riesigen intellektuellen Herausforderungen zu kämpfen haben, begegnet sind.
»Interessiert mich nicht. Was mich aber dringend interessieren würde ist, wen ich für die Arbeit in der Qualitätssicherung in den nächsten Wochen ausbilden soll.«
Sein Gesicht wird bleich.
»Du kannst uns damit doch nicht alleine lassen!«
»Und ob ich das kann. Ich will nicht mehr in einem Land ohne Versammlungs- und Meinungsfreiheit leben. Punkt. Aus.«
»Aber die Verfassungsänderungen betreffen dich doch gar nicht«, sagt er.
Wenn etwas mich nicht betrifft, dann sind das seine Ansichten und Ignoranz. So antworte ich nicht und schiebe ihm das Blatt zu. Er nimmt es, zusammen mit seinem Laptop, steht auf und verlässt das Besprechungszimmer.
Sofort hole ich das Handy aus der Tasche und rufe Roland an.
»Wie ist es gelaufen?«, fragt er.
»Man war nicht gerade begeistert, würde ich sagen. Eine Wahl haben sie jedoch nicht. Und wie war es bei dir?«
»Alle waren blaff, aber die Kündigung ist durch.«
»Ausgezeichnet. In drei Wochen endet dieses blöde Spiel ein für alle Mal.«
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