Von Björn D. Neumann

Guten Tag, Monsieur. Setzen Sie sich. Es tut mir leid, dass ich Sie in dieser kargen Unterkunft empfangen muss. Normalerweise in Versailles oder zumindest den Tuilerien… Und dann diese abscheuliche Aufmachung! Diese Verkleidung war nicht meine Idee. Ich eine Zofe … Aber lassen wir das. Später mehr dazu. Es ist, wie es ist. Ich wirke blass? Dabei bin ich doch gar nicht geschminkt, Sie Charmeur. Mir fehlt es hier tatsächlich am Nötigsten. Und dieser Tölpel, der meine kleine Zelle bewacht, lässt sich nicht mal erweichen, mir ein kleines Glas Champagner oder wenigstens Wein zu bringen. Sehen Sie das? Wasser! Als wäre ich eine gewöhnliche Magd. Ich bin … Ach, hören Sie doch mit dieser Kuchengeschichte auf! Das habe ich so nie gesagt. Mag sein… Vielleicht habe ich mal Rousseau zitiert, aber der sprach doch von Brioche, nicht von Kuchen. 

Aber kommen wir zu meiner Geschichte. Die wollen Sie doch hören, oder nicht? Meine Kindheit. Alles begann mit einer Katastrophe, was ich heute als schlechtes Omen deuten möchte. Portugal, das Land meiner Taufpaten, erschütterte am Tag vor meiner Geburt ein verheerendes Erdbeben. Trotz der schweren Geburt – wie man mir später erzählte, die erste mit Komplikationen bei meiner Mutter – wuchs ich wohlbehütet auf. Sage und schreibe vierzehn Geschwister hatte ich. Mutter war eine große Frau. Was heißt Liebe? Sie hatte ein Land als Kaiserin zu regieren und gebar gleichzeitig diese Schar von Kindern. Das ist das Los, wenn man hochwohlgeboren ist – persönliche Befindlichkeiten haben zurückzustehen. Staatsraison. Sie verstehen? Meine Lehrer befanden mich faul und dumm, aber was wussten die schon? Wissen die um die Bürde einer Prinzessin? Ich verabscheue Dinge, die mir fad sind. Musik, Mode – das waren meine Themen. Und wer ein Instrument spielt, der kann doch nicht dumm sein, oder? Und wer mit 14 Jahren seiner Kindheit entrissen wird, der hat sich auch ein wenig Luxus verdient. Punkt! 

Mit 14 wurde ich also verheiratet. Mit dem Thronfolger von Frankreich. Er wird zwar kein Kaiser, aber immerhin König. Ist ja auch was. Und ich bin heilfroh, dass ich nicht auf diese verregnete Insel muss. Da nehme ich gerne in Kauf, diesen plumpen Louis zu heiraten. Und der französische Hof sollte genug Möglichkeiten für Abwechslung bereithalten, was mir in dem Alter aber noch egal war. Zu der Zeit war mir der eheliche Beischlaf nur lästige Pflicht und der Erfüllungszweck ließ auch sehr lange auf sich warten. Woran man mir natürlich die Schuld gab. Später lernte ich jedenfalls Gefallen an dem uralten Spiel. Wenn auch nicht mit… Aber dazu später vielleicht mehr, mein Freund. Immerhin ist es einer der Anklagepunkte, der mich hierhergebracht hat.

Jedenfalls war das Leben bei Hofe eine Quälerei. Ich stand in der Obhut der drei Tanten meines zukünftigen Gemahls und sollte durch sie weiter in Etikette und höfischem Verhalten unterwiesen werden. Adélaïde, Victoire und Sophie waren die verbittertsten Schachteln, die das Anciene Régime zu bieten hatte. Mit jedem Wort und jeder Geste ließen sie und große Teile des Hofstaats mich ihre Abneigung spüren und aus der Österreicherin wurde alsbald die „andere Hündin – l’autre chienne“, weil beides auf Französisch doch so ähnlich klingt. Was vermisste ich doch die Geborgenheit Wiens und die meiner Landsleute. Selbst die gütige Strenge meiner Mutter, der Kaiserin.

Die Hochzeit wurde mit allem Pomp gefeiert, doch ähnlich wie meine Geburt, stand auch diese unter keinem guten Stern. Beim Feuerwerk starben viele arme Menschen. Immerhin gaben sie ihr Leben für eine gute Sache. Nun schauen Sie nicht so gequält. Wie oft heiratet eine zukünftige Königin und wie viele Menschen haben das Glück, daran Teil zu haben? Gut, hunderte Tote durch eine Massenpanik sind unappetitlich. Meinetwegen. Aber schön war das Feuerwerk doch. Einer zukünftigen Königin durchaus würdig.

Fast so schön wie die Thronbesteigung meines Gemahls. Endlich hatte ich Oberwasser. Ich umgab mich nur noch mit Gesellschaft, die mir, die meinem Luxus wohlgesonnen war. Den Jungen, den Modernen. Allen voran meine Freundin der Prinzessin Lamballe und nicht zuletzt Axel. Hach, ich gerate ins Schwärmen, aber dieser schwedische Graf war schon schneidig… Die beiden lehrten mich nicht zuletzt Gefallen an den Gelüsten zu finden, die der arme Louis nie wecken konnte.

Ich stand ab jetzt im Mittelpunkt. Setzte Maßstäbe in Mode, Frisuren, Musik. Sie würden mich, glaube ich, ein It-Girl oder eine Influencerin nennen. Aber selbstverständlich hat jede Stilikone ihre Neider. Ich spürte die hasserfüllten Blicke des alten Adels hinter meinem Rücken. Und hätte ich Versailles öfter Richtung Paris verlassen, hätte ich vielleicht auch das Brodeln in der Bevölkerung mitbekommen. Doch was weiß der Pöbel vom Leben einer Königin? Ich hatte eine Verantwortung. Kleidete ich mich zum Beispiel schlicht, klagten die Schneider, dass ich sie ruiniere. Sie mögen 100 Kleider pro Jahr ausschweifend nennen. Ich nenne es Konjunkturprogramm. Kommen Sie mir jetzt doch nicht mit der Staatsverschuldung. Ich habe keinen Sous mehr ausgegeben als die Königinnen vor mir. Unnötig war dieses amerikanische Abenteuer von meinem naiven Louis. Die Rebellion unterstützen und gleichzeitig die aufrührerischen Gedanken importieren. Das haben wir jetzt davon. Dagegen waren die Kosten für mein Miniaturdorf bei Versailles ein Pappenstiel. Was habe ich es dort geliebt! Das bescheidene Leben einer Bauersfrau spielen. Ohne die Nöte und Sorgen einer Königin. Was ich manchmal die einfachen Leute beneide. Louis ließ mir meine Freiheiten dort und in dem angrenzenden Lustschlösschen Petit Trianon, wo nur ein von mir ausgewählter Kreis Zutritt hatte. Fern jeglicher höfischen Etikette. Ich ließ ihm die Jagd und seine Staatsgeschäfte. 

Zu meinem Bedauern kamen immer mehr böse Gerüchte über mich im Umlauf. In die Welt gesetzt von bösartigen Menschen. Von Ausschweifungen war die Rede, Orgien, Spielsucht und Verschwendung. Was soll ich sagen? Ich liebe meine Freunde und auch meine Freundinnen. Aber am Allermeisten meinen Axel. Über Jahrhunderte war es üblich, dass der König eine Maitresse hat, und ausgerechnet mein Louis war der erste ohne. Was kann ich denn dafür? Früher war eine Madame Dubarry der Blitzableiter des Volkszorns, jetzt ist es ihre Königin. Eine Frechheit! Was heißt denn hier Flittchen? Ich bin eine emanzipierte Monarchin – ich nehme mir, was ich will, und bin niemandem Rechenschaft schuldig! Louis hat letztendlich seinen Sohn von mir bekommen und somit war meine Schuld beglichen. Doch ich konnte tun, was ich wollte. Jedes Gerücht wurde für bare Münze genommen. Selbst wenn es eindeutig widerlegt wurde. Ich erinnere nur an diese Halsband-Affäre, die sich als riesiger Betrug herausstellte. Dennoch glaubte man, ich hätte diesen sündhaft teuren Schmuck in Auftrag gegeben. Wobei – gefallen hätte mir das Diamanten-Collier schon…

Jedenfalls kochte die Volksseele und an diesem unglückseligen 14. Juli kam es zum Aufstand in Paris. Warum wir nicht in die Hauptstadt zurückkehrten? Der Pöbel würde sich schon beruhigen, so dachten wir. Also versammelten wir ein paar Truppen in Versailles und gingen weiter unserem Tagewerk nach. Aber die Lawine konnte nicht aufgehalten werden und man entführte uns nach Paris in die Tuilerien, diesen hässlichen Kasten. Es folgten Monate mit Forderungen, Anschuldigungen, Parlamenten. Mein armer Louis wusste gar nicht, wie ihm geschah. Ich musste die Initiative ergreifen und mich an die adlige Verwandtschaft wenden. Es nutzte nichts. Es blieb nur die Flucht. Mein Axel half uns. Louis verkleidete sich als Kammerdiener, ich mich als Zofe und unser kleiner Prinz gar als Mädchen! Sehen Sie! Ich trage diese hässliche Verkleidung immer noch. Doch, oh weh. Der arme, naive Narr verriet sich. Er steckte beim Zwischenstopp seinen hässlichen Kopf aus der Kutsche und wurde prompt vom Postmeister erkannt. So endete unsere Flucht in Varennes und wir wurden nach Paris zurückgeschafft. Die Haft wurde verschärft und wir landeten in der ehemaligen Templerfestung. Noch kälter und unwirklicher. Welche Ironie, dort zu landen, wo einer der Vorfahren meines Gemahls vom Templer-Meister verflucht wurde.

Uns wurde der Prozess gemacht. Mir warf man Hochverrat vor und Unzucht. Bei Gott, ich habe Frankreich niemals verraten und… Naja, alles andere ist Sache des Standpunkts. Aber wie kann eine Königin ihr Land verraten? Dann hätte ich mich ja selbst verraten – das geht doch gar nicht! Aber so sei es. Ich bin nun eine zum Tode verurteilte normale Bürgerliche. Seit mein tölpelhafter Louis geköpft wurde, bin ich nun also die Witwe Capet und warte auf meinen Tod. Ist dieser Hals nicht viel zu schön, um abgeschnitten zu werden? Oh, ich danke Ihnen. Wie freundlich. Auch mir war es eine Freude, mit Ihnen zu plaudern. Doch hören Sie – die Zelle wird aufgeschlossen. Dann ist es jetzt so weit. 

Sagen Sie den Menschen Folgendes: Ich bin Marie-Antoinette. Ich bin eine Königin. Ich genoss mein kurzes Leben in vollen Zügen. Und ich bereue nichts. 

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