Von Sabine Rickert

Mein Nachmittag ist heute erfüllt mit freiwilliger Spurenbeseitigung. Eine Tatortreinigung ist fällig, um es auf den Punkt zu bringen.

Dabei rechne ich mit Insekten, Amphibien, Weichtieren, chemischen Reaktionen und Ausscheidungen, die von mir akribisch beseitigt werden. So ist der Plan!

Ich betrete den Ort der Vorgänge, direkt am Waldrand gelegen, und genieße die Kühle, die er mitten im Hochsommer verbreitet.

Der Weberknecht zittert in seiner Ecke. Opiliones hat acht Beine, im Gegensatz zu einer Schnake. Ich liebe lateinische Begriffe aus der Biologie und Chemie, die sind perfekt zum Angeben.

Hier gibt es reichlich tote Insekten für den Schneider. Ein Schlaraffenland! Spinnen haben ihre Netze günstig drapiert, um den Rest der Gliederfüßer zu fangen.

Hinter einem Abflussrohr finde ich eine Hauswinkelspinne; sie hat ein trichterförmiges Kunstwerk gesponnen, in dem schon einige Asseln ihr Ende gefunden haben.

Sie ist groß und haarig, daher keine Freude für Spinnenphobiker. Aus diesem Grund bin ich hier.

Erfreulich, dass es sie alle gibt, ansonsten würde ich hier doppelt so viele Kleinstlebewesen finden. Sie räumen für mich schon mal grob auf. In den Ecken wären sie auf Dauer nützlich, eine Art Arbeitsteilung.

Mit einem schlechten Gewissen habe ich die ersten Spuren schnell entfernt.

Ein Fröschchen bahnt sich hüpfend den Weg ins Unbekannte.

Es findet Abkühlung in den Räumlichkeiten, die gänzlich ungeeignet für Frösche sind. Die Gefahr, unter großen Füssen zerquetscht zu werden, ist ihm fremd. Somit trage ich ihn wieder hinaus. Ich glaube nicht, dass er die Fähigkeit besitzt, in eines der Becken zu springen, damit er hier ein Teichgefühl bekommt. Er wäre außerdem der einzige Bewohner im „Teich“.

Selbst das Spurenbeseitigen erzeugt neue Spuren. Meine Schuhe hinterlassen feuchte Abdrücke auf dem Boden, die von einer hereinkommenden Schnecke verwischt werden. Wo ist ihr Ziel, in diesem Tempo? Ich werde die Fährte verfolgen und gegebenenfalls die Zeit messen. Ich habe urplötzlich ein aufkeimendes Interesse an biologischen Experimenten!

In den nächsten Ecken, die ich inspiziere, tauchen vor meinen Augen neue Insekten auf. Eine Schnake, Tipulidae, mit sechs Beinen. Sie liebt dieses Feuchtbiotop so nahe am Wald.

Ist es recht, diesen Ort Biotop zu nennen? Ist es eine abgrenzbare Lebensstätte, mit einer daran angepassten Gemeinschaft von Tieren und Pflanzen?

Flora sehe ich hier nicht, eher Fauna, und eine Art von Wasserspielen sind vorhanden, nur die Bodenbeschaffenheit ist nicht ideal.

Ich entferne die nächsten Spuren: Seifenreste, durch misslungene Portionierung; Papiertücher, die den Abfallbehälter verfehlten.

Wenn ich Glück habe, finde ich Pflanzen, dann benenne ich den Ort Klein-Biotop, obwohl es in einzelnen (Not-)Fällen zu einem Groß-Biotop mutiert. Ich suche fleißig weiter. Keine Spur von Flora, nur abgestorbene Pflanzenreste, die hineingeweht beziehungsweise -getragen wurden. Das zählt nicht! Nicht einmal Algen oder Pilze zeigen sich. Wenn ich hier einfach einen Farn hineinstelle? 

Die Schnecke hat den Haupttrakt dieser Stätte erreicht.

Was hat sie vor? Sie wird verhungern, hier gibt es weder frische Pflanzen noch Früchte. Ihr wird nichts anderes übrig bleiben, mit den trockenen Pflanzenresten und toten Insekten vorlieb zu- nehmen. Es gibt bessere Menüs für Schnecken. Möglicherweise ist sie kein Gourmet und nimmt, was sie findet. Trockenfutter halt! Die Gedanken sind überflüssig, ich werde sie hier nicht dulden. Dies ist kein Gourmet-Tempel.

Ich habe ihren Start markiert und die Zeit gestoppt. Jetzt  messe ich nach. Sie hat in einer Viertelstunde unglaubliche hundert Zentimeter zurückgelegt.

Sie setzt ihren Weg hoch zu den Wasserspielen fort. Ah, sie benötigt hauptsächlich Kühle und Feuchtigkeit. Das macht Sinn! Nur ist es keine gute Idee, ich beende den Test und trage sie hinaus.

Ich konzentriere mich wieder auf meine Tatortreinigung.

Ein gelb-bräunlicher Kreis in einem Wasserbecken. Urina Lapis! Der kommt zustande, wenn eine Säure und Mineralien, wie Kalzium und Magnesium mit kalkhaltigem Wasser zusammen kommen. Mit einem Mittel, das nach einem Wasservogel benannt wurde, habe ich die chemische Reaktion der menschlichen Notwendigkeit schnell entfernt.

Jetzt verlasse ich diesen Ort, der um einige Spuren erleichtert wurde, die nicht gewünscht sind und die ich nicht gewillt bin, genauer zu beschreiben. Ich gebe den Ort frei für die Bedürfnisse.

Die alten Spuren werden nicht wiedergefunden, es werden eher neue Akzente gesetzt, in der Männertoilette der Bürgerschützengilde. Horrido!

 

                                               V3