Von Christiane Labusga
Als sie die Wohnungstür öffnet, schlägt ihr ein schaler Zigarettenrauch entgegen. Ja, da hat wohl die Hausmeisterin mal wieder vor ihrer Tür beim Treppeputzen ein Rauchpäuschen gemacht. Widerlich, diese Frau.
Sie stellt ihre Einkäufe im Flur ab, hängt den Schlüssel ans Brett, aber da hängt ja schon der Ersatzschlüssel. Ja, sie war heute Morgen sehr fahrig, hat alles möglich fallen gelassen, kann sich zwar nicht erinnern, dass sie auch den Ersatzschlüssel vom Haken gerissen hat, an den normalen kann sie sich aber erinnern, den musste sie unter dem Beistelltisch hervor fischen.
Sie ordnet die Schlüssel, macht sich Vorwürfe, drei ALDI-Bier, das ist nicht normal! Erinnerungslücken. Und sie hat ja noch drei im Plastik-Sixpack.
Als sie endlich schlafen geht, findet sie etwas Laub unter dem halbgeöffneten Dachfenster in ihrem Schlafzimmer. Hat es gestürmt? Sie kann sich nicht erinnern. Um die Blätter kümmert sie sich morgen.
Ihr erster Gedanke am Morgen ist, das Laub aufzusammeln. Aber da ist kein Laub mehr. Kann Bier so nachhaltig wirken? Dass sie sich nicht erinnern kann, was sie am gestrigen Abend getan hat? Sie geht in die Küche: Da stehen nur noch zwei Bier in der Plastikhülle. Sie hat also doch wieder getrunken. Sie ekelt sich vor sich selbst.
Am nächsten Abend kommt sie mit dem festen Entschluss, nichts, überhaupt nichts zu trinken, nach Hause. Sie schaut Fernsehen, duscht, wäscht ihre Haare, aber dann werden es doch noch zwei, also die beiden restlichen Plastikflaschen aus dem ALDI-Sixpack. Mit Selbstvorwürfen fällt sie in ihr Bett. Über ihr, im Nachthimmel, vereinen sich Jupiter und Venus. Sicherlich wird sie auch bald ihre große Liebe, ihren Retter finden!
Er nennt sich selber „Die Katze“, über den Dächern von Dortmund (ja, leider nicht Nizza). Tagsüber trägt er eine Zimmermannskluft, niemand nimmt dann Anstoß, wenn er oben über ihren Köpfen herumspaziert. Nachts trägt er enge schwarze Laufkleidung, noch nie ist er jemandem aufgefallen, und bei Vollmond bleibt er zuhause, da schauen ihm zu viele in den Himmel.
Hier findet er ein offenes Dachfenster, sehr nachlässig, die Dame (ja, da liegt Damenunterwäsche übers Bett geworfen) hatte wohl noch nie Besuch von einer Taube. Oder – einer Katze, hahaha.
Er öffnet das Fenster ganz und steigt in die Wohnung ein. Erst mal ein Belohnungszigarettchen, und dann alles in Ruhe inspizieren. Vielleicht findet sich ein nettes Erinnerungsstück an dieses kleine Abenteuer. Nein, viel besser: Da hängt ein Zweitschlüssel neben der Tür. Das ist ja noch viel besser, den lässt er sich gleich einmal nachmachen.
Am Abend beschließt er, einmal etwas Neues auszuprobieren. Er will in die Wohnung, während die Frau dort noch schläft. Halb Zwei, da schlafen die meisten braven Bürger tief und fest. Aber was ist das für eine Unordnung! Nicht einmal das Laub, das ihm beim ersten Einstieg hereingerutscht ist, hat sie weg gekehrt. Schlampe. Und die Unterwäsche! Na ja, die könnte auch mal gewaschen werden.
Verärgert verlässt er die Wohnung. Regt sich den ganzen Tag auf über diese Frau, diese Schlampe, die ihn so an seine Mutter erinnert. Auch immer nur besoffen herumlag, bis er und sein älterer Bruder ins Heim gesteckt wurden. Er erinnert sich an all die schlimmen Dinge, die ihm dort passiert sind, und seine Wut steigt in Raserei. An seiner Mutter konnte er sich nicht mehr rächen, die hat sich tot gesoffen, noch bevor er 18 wurde, aber diese Frau wird er daran hindern, jemals Kinder zu bekommen, um sie dann allein zu lassen. Heute Nacht ist sie fällig!
„Keine Einbruchspuren, Chef. So, wie es aussieht, eine Beziehungstat?“
„Ich bin mir nicht sicher, auf jeden Fall keine Einbruchspuren. Und sie scheint sich auch nicht gewehrt zu haben, wir müssen die Forensik abwarten.“
„Die Tür war abgeschlossen, also war der Täter jemand, der einen Schlüssel hat. Ein Freund, ein Verwandter. Der Liebhaber?“
„Ja, vielleicht. Wir sollten uns noch nicht festlegen.“
Sein Blick wandert nach oben, zum Dachfenster.
V2