Von Wolfgang Mebs

»Hast du schon gehört, von der Frau den Flur runter, die da am Ende wohnt? Oder gewohnt hat?«

»Ja, eben. Ich hab noch das Polizeiauto gesehen. Ist das nicht schrecklich? Da haben wir wer weiß wie lang praktisch neben einer Toten gewohnt.«

»Ja. Eklig. Der junge Mann, der direkt neben ihr wohnt, hat die Polizei gerufen, weil es plötzlich so komisch gerochen hat, hat er mir erzählt.«

»Wie lang die da wohl gelegen hat?«

»Naja, wenn es schon gestunken hat, dann war sie wohl schon modrig, die alte Frau.«

»Igitt, hör auf, das ist ja ekelhaft. … Ich kümmer mich mal ums Essen.«

 

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»Was wissen wir über die Frau?«

»Nichts. Bis auf ihren Namen. Hertha Framberg, 85. Lebte alleine.«

»Und, irgendetwas von den Nachbarn?«

»Nachbarn? Die gibt es hier nicht.«

»Wie?«

»Hast du mal aufs Klingelbrett geguckt? 18 Etagen à acht Wohnungen, rund 500 Leute. Die meisten sind sich noch nie begegnet. Selbst auf derselben Etage konnte keiner etwas über sie sagen, also die, die da waren. Und aufgemacht haben. Die kannten nicht mal ihren Namen. Bis auf einen, Patrick Kampmann, der wohnt direkt neben ihr. Er hat uns auch angerufen. Er hat hin und wieder mit ihr geredet, aber er hat sie nur selten gesehen. Deshalb hat er sich auch nicht gewundert, dass er ihr so lange nicht begegnet ist. Nur, dass er den Fernseher nicht mehr gehört hat.«

»Weiß er etwas über Verwandte oder Freunde?«

»Nichts, gar nichts. Sie hat nie jemanden erwähnt. Allerdings war sie wohl auch nicht sehr gesprächig. Verschwand immer schnell in ihrer Wohnung, sagt er.«

 

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»Und du hast das gerochen? Mein Gott, wie gruselig. – Wie hat das denn gerochen?«

»Das kann ich gar nicht beschreiben. Ich hab ja noch nie eine Leiche gerochen. Erst war es einfach nur ein komischer, penetranter Geruch, und dann wurde das stärker. Irgendwie süßlich. Es stank halt irgendwann.«

»Wie lang hat die Frau denn da gelegen?«

»Keine Ahnung. Aber ein paar Wochen waren’s schon, glaub ich.«

»Bah, das will ich mir gar nicht vorstellen. – – – Da waren bestimmt überall Maden und Fliegen in der Wohnung.«

»Ja, jede Menge. Nachdem die Polizei die Tür aufgebrochen hat, flogen die auch im Flur rum.«

»Was? Oh Gott, wie eklig. Hoffentlich sind keine in deine Wohnung. Bah, nee. Wenn ich mir vorstelle, da fliegt hier so ein Viech herum, das eben noch auf einer Leiche gesessen hat!«

»Stimmt. Wenn ich eine sehe, schlage ich die sofort tot.«

 

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»Was machen die denn hier? Ein Leichenwagen. Und die Polizei?«

»Irgendjemand im Haus ist gestorben. Einer hat behauptet, da hat sich einer umgebracht.«

»Nee, glaub ich nicht. Die Polizei hat schon ein paar Leute befragt. Das war wohl ein Mord.«

»Bin mal gespannt, ob die mich auch fragen. Wissen Sie, wo Sie, sagen wir mal letzten Mittwoch um 20.15 waren?«

»Jawohl, Herr Kommissar, da war ich in der Kneipe und hab Darts gespielt mit ein paar Kumpels.«

»Und Sie, was ist mit Ihnen?«

»Ich? Scheiße, ich hab kein Alibi! Ich hab alleine vor der Glotze gesessen.«

»Ich auch, Mann. Da sind wir schon zu zweit.«

»Weiß eigentlich einer, wer das war?«

»Nee. Ich bestimmt nicht. Die sind jedenfalls im 14. Stock und ich wohn im 8. Wer da über mir wohnt, woher soll ich das wissen?«

»Genau. Und an Gesichter im Fahrstuhl erinner ich mich nicht. Ich mag‘s ja auch nicht, wenn mich einer anglotzt. Und ich frag dann doch nicht: ›Wie heißen Sie und in welchem Stock wohnen Sie?‹«

»Naja, einer wird sich jedenfalls freuen, denn jetzt ist wieder ne Wohnung frei.«

 

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»Eine Tote? Bei uns im Haus? Das ist ja schrecklich, mein Gott! Wo denn? Is die noch hier?«

»Irgendwo im 12 Stock oder so. Jedenfalls liefen da Polizisten rum. Hab ich aus dem Aufzug gesehen. Und Sanitäter, in so weißen Anzügen, weißt du, sogar mit Kapuze und Maske.«

»Oh Gott, dann war die bestimmt schon länger tot. Ich hab mal gelesen, dass man die dann gar nicht mehr richtig, also, weißt du, so auf die Bahre legen kann.«

»Wie, was meinst du?«

»Naja, da stand, dass so eine Leiche, ist doch auch klar, oder, dass die dann so weich wird, so modderig und dann mussten die die mit der Schaufel …«

»Oh Gott, hör bloß auf, is ja widerlich.«

»Ja, ne? Also, irgendwie ist das schon gruselig, findest du nicht, ich mein, dass da so eine Leiche bei uns im Haus rumliegt.«

»Ja, wie in nem Horrorfilm.«

»Weiß eigentlich einer, wie die gestorben ist? War das ein Mord? Ein Sexualverbrecher vielleicht. Das ist ja oft so.«

»Keine Ahnung, hab noch nichts gehört. Wir können ja mal rumfragen. Kennst du jemanden aus dem 12. Stock?«

»Nee, du?«

 

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»Und, was habt ihr gefunden?«

»Wenig. Aber ein paar Unterlagen gibt es schon. Ein Stammbuch z.B. Demnach hat sie einen Sohn, der ist jetzt 65, wenn er noch lebt, und eine Tochter, 2 Jahre älter. Aber es gibt keine Fotos von ihnen in der Wohnung, nur ein paar uralte Briefe. Sogar mit Absender drauf, aber es ist kaum anzunehmen, dass die da noch wohnen.«

»Und ihr Mann ist wahrscheinlich auch längst tot. Der war 12 Jahre älter. Auch von ihm gibt es keine Spur in der Wohnung, vom Hochzeitsfoto im Wohnzimmer abgesehen.«

»Sonst noch was?«

»Ein zerfleddertes Adressbuch mit einer Hand voll Telefonnummern, u.a. von ihren Kindern. Aber das lag ganz unten in einer Kommode.«

»Und ein Sparbuch über 368 Euro. Laut einem Kontoauszug bezog sie Rente, 684 Euro. Aber wir haben keine Papiere vom Sozialamt oder vom Wohngeldamt gefunden.«

»Davon soll sie gelebt haben?«

»Wer weiß, woran sie gestorben ist.«