Von Klaus-Dieter Oettrich

Eine dreitägige Städtereise veranstaltete die private Waldschule in Degerloch, bei der auch Weihnachtsmärkte besichtigt wurden. Die Mutter holte ihre beiden Söhne mit ihren hellblonden Haare am 23.12. um 17 Uhr in der Schule ab. Der neunjährige Tom und sein zwei Jahre jüngere Bruder Alex umarmten vor Freude ihre Mutter. 

„Gibt es morgen die Weihnachtsgeschenke?“ Fragte Tom.

„Natürlich, morgen ist doch Heiliger Abend. Auch Papa kommt heute Abend von seiner Geschäftsreise zurück.“

In diesen drei Tagen, wo die Familienmitglieder nicht da waren, hatte die Mutter Zeit in der Villa ein Weihnachtsgeschenk installieren zu lassen.

 

Als die drei von der Schule heimkamen, war Papa schon da.

Helga begrüßte ihren Mann mit einem Küsschen und war glücklich, dass die Familie wieder zusammen war. Jetzt konnte sie sich auf ein feierliches, ruhiges und friedliches Weihnachtsfest freuen.

Am Abend wurde Schweinebraten mit Spätzle gegessen. Alex teilte mit: „Es wird ja gesagt, dass in Frankreich gut gekocht wird, aber Mami dein Essen ist am besten.“

„Das ist wahr,“ fügte Papa hinzu und legte seine Hände auf das immer dickeres werdendes Bäuchlein. Mit seinen extrem hellblonden Haaren sah er aber attraktiv aus.

Mama, mit sportlicher Figur und kurzem hellbraunen Haaren, arbeitete als freie Journalistin und bedankte sich für die Lobe. „Ich koche für euch sehr gerne. Gestern musste ich noch einen Bericht über die Obdachlosen an Weihnachten in Stuttgart schreiben. Meine Lieben, ihr wisst gar nicht, wie gut es uns geht.“

 

Nach dem Abendessen sagte Mama: „Bis zum Heiligen Abend dürft ihr den Abstellraum nicht betreten.“

„Warum?“ Fragte José seine Ehefrau Helga.

„Weil sich da eine Überraschung für euch drei befindet.“

„Aber Schatz, wir haben doch schon vor Jahren vereinbart, dass wir diesen Weihnachtskommerz nicht mitmachen.“

„Das stimmt Liebling, aber lass dich überraschen.“

„Jetzt werde ich aber richtig neugierig.“

„So soll es ja auch sein.“

 

Mama bereitete nun in der Küche die Nachspeise vor.

„Papi ich verstehe dies nicht, das Christkind kommt doch erst am Heiligen Abend,“ meinte Alex.

„Vielleicht hat der Nikolaus das Geschenk schon mitgebracht. Ich möchte so gerne wissen, was hinter der Türe ist,“ fügte Tom hinzu.

„Ich auch, meine lieben Jungs“.

„Sollen wir kurz in das Zimmer hineinschauen?“ Fragte Alex.

„Nein, wenn es Mama verboten hat dürfen wir dies nicht,“ antwortete Papa.

 

„José, komm doch mal in den Keller,“ rief Helga. „Ich vernehme ein Geräusch.“

„Wir kommen.“ Alle drei liefen die Kellertreppe hinab.

„Ich höre ein wenig Wasser hinter dieser Türe plätschern.“

„Ruhe bitte,“ befahl Papa.

„Ja, das Geräusch kommt vom Heizungsraum.“

Tom wollte die Türe öffnen, aber sie war verschlossen.

„Wo ist der Schlüssel?“ Fragte Alex.

Niemand hatte eine Ahnung.

„Es ist ja jetzt schon spät, wir werden morgen nach dem Schlüssel suchen,“ meinte Papa. Er war immer der Meinung, dass nur die dringendsten Arbeiten sofort erledigt werden müssen. 

 

José wurde vor 41 Jahren in Sevilla geboren und blieb bis kurz nach dem Abitur dort. In Spanien nimmt man Termine, Verabredungen, die Erledigung von Arbeiten etc. oft zeitlich nicht so genau. Ganz besonders in Südspanien. Eines der wichtigsten Wörter heißt „mañana“ (morgen). Was aber nicht bedeuten muss, dass man z.B. sich dann auch mañana trifft oder was erledigt, es kann auch übermorgen usw. sein. Diese Mentalität muss einem angeboren werden.

Die deutsche und die spanische Mentalität miteinander zu verbinden, brachte den großen beruflichen Erfolge für José. Er war Geschäftsführer einer Export/Importfirma, die vorwiegend in diesen Ländern arbeitete.

Helga sagte mal zu ihm: Spanien ist eines der schönsten Urlaubsländer. Die Menschen sind überaus gastfreundlich, zuvorkommend, hilfreich usw.. Das war auch ein Grund, dass ich dich geheiratet habe. Aber arbeiten könnte ich mit meiner Mentalität dort nicht.

 

Am nächsten Morgen rannten die Kinder gleich zu ihren Eltern und berichteten: „Es plätschert immer noch.“

„Habt ihr den Schlüssel gefunden?“

„Nein“.

„Verdammt noch mal, das gibt es doch nicht,“ fluchte Papa.

„José fluche nicht, gerade auch heute noch am Heiligen Abend,“ ermahnte Mama.

„Funktioniert die Heizung?“

„Ja, sehr gut.“

„Na, etwas Gravierendes kann es ja nicht sein. Suchen wir in aller Ruhe nochmals nach dem Schlüssel. Bis 14 Uhr haben wir Zeit. Dann müssen wir uns umziehen zum Gottesdienst.“

Von oben bis unten wurde das Haus gründlich durchsucht.  

„Die einzige Möglichkeit ist, dass der Installateur nach der Inspektion der Heizung Anfang Dezember versehentlich den Schlüssel mitgenommen hat,“ vermutete Mama.

 

„Papa, Papa komm schnell in den Keller. Da läuft Wasser unterhalb der Türe heraus,“ rief Alex.

„Dies ist jetzt gar nicht mehr lustig. Aber woher bekommen wir um 12.30 Uhr einen Installateur am Heiligen Abend?“

„Wir müssen in den Kellerraum,“ riet Alex.

„Du hast recht mein Sohn, ich hole einen Dietrich,“ teilte Papa mit.

 

„Gehe kurz noch zum Einkaufen. Gehst du mit Tom?“

„Nein Mami, hier wird jeder Mann gebraucht!“

„Aber denkt daran, in ca. einer Stunde müsst ihr euch duschen und umziehen. Der Pfarrer wartet mit seiner Predigt nicht auf uns. Auch das Glockengeläut zum Heiligen Abend möchten wir doch nicht vermissen.“

„Ja, Mama.“

 

Nach zehn Minuten konnte Papa das Schloss öffnen. 

„Da haben wir den Salat,“ sagte Papa als er sah, dass der ganze Keller unter Wasser stand.

„Ich sehe keinen Salat, nur Wasser,“ teilte Tom mit.

„Wo kommt das Wasser her?“ Fragte Alex.

„Schaut mal, von der Kellerdecke tropft Wasser,“ stellte Vater fest.

„Welches Zimmer befindet sich über dem Kellerraum?“ Fragte Alex.

„Der Abstellraum, in welchen wir nicht hinein dürfen. Jetzt ist es aber ein Notfall. Auf geht es Jungs, schnell nach oben.“

Sie öffneten ein wenig die Zimmertüre. Auch hier stand alles unter Wasser.

„Schuhe, Strümpfe ausziehen und die Hosenbeine hochkrempeln,“ befahl Papa.

Über die Türschwelle lief bisher das Wasser noch nicht, weil es wohl noch einen anderen Abfluss durch den Boden in den Kellerraum hatte.

Was sahen sie denn da mitten im Zimmer?

Ein Whirlpool mit vier Massageplätze war installiert.

Das Wasser floss über den Rand des Pools.

„Was für eine Überraschung, ein richtiges Pool hat uns das Christkind gebracht,“ freute sich Tom.

 

In diesem Moment kam Mama. „Na habt ihr doch nicht bis zur Bescherung warten können?“

Richtig sauer antwortete Papa: „Der Heizungsraum und das Zimmer hier stehen unter Wasser. Wir müssen etwas unternehmen.“

„Das Christkind hat wohl den Wasserhahn nicht richtig zugedreht,“ vermutete Alex.

„Wir werden dies überprüfen.“

„Ihr müsst euch dann aber rechtzeitig fertig machen zum Kirchgang,“ sagte Mama. 

Alex hatte recht und drehte den Wasserhahn richtig zu. Auch der verstopfte Abfluss im Boden wurde gereinigt. Mit Eimern schöpfte man das Wasser aus dem Pool.

„Da brauchen wir mindesten eine halbe Stunde um den richtigen Wasserstand für den Pool zu erreichen. Ich habe eine Idee, wir schöpfen noch 15 Minuten weiter, dann springen wir in den Pool, um zu überprüfen, ob die Technik funktioniert,“ schlug Papa vor.

„Du bist ein Superpapa, deine Idee ist klasse,“ frohlockte Alex.

Nun wurde noch schneller Wasser geschöpft, sodass Papa schon nach zehn Minuten sagte: „Jungs, zieht die Kleider aus, wir weihen den Pool ein.“

 

Aber schon kam Mama. „Seid ihr den total verrückt, jetzt in den Pool zu steigen? Ich dachte ihr würdet schon fertig gestriegelt sein um zur Kirche zu gehen. José manchmal glaube ich, dass bei dir da oben nicht mehr alles richtig funktioniert.“

„Bei mir ist alles in Ordnung, aber wir müssen ja noch überprüfen, ob die Technik des Whirlpools o.k. ist.“ Die Kinder nickten mit den Köpfen.

„Jetzt aber nicht“, sagte in einem strengen Ton Mama. „Auf Jungs, macht euch fertig zum Kirchgang.“

„In Ordnung in zehn Minuten sind wir fertig.“

„Föhnt aber auch noch schön eure Haare,“ wurden die Kinder von Mama ermahnt.

 

Nach 15 Minuten sagte Papa: „Wir sind bereit zum Kirchgang.“

„Das wird auch höchste Zeit, meine Lieben.“

Sie kamen gerade noch rechtzeitig zur Kirche. Der Organist begann soeben zu spielen und die Kirchenglocken läuteten.

„So endlich ist Weihnachten,“ sagte Mama erleichtert und fröhlich.

Wie jedes Jahr erzählte der Pfarrer die Weihnachtsgeschichte und hielt anschließend noch eine Predigt. Der Kirchenchor und die Gemeinde sangen Weihnachtslieder und endlich wurde „Oh du fröhliche“ gesungen. Der Gottesdienst war nun beendet.

Die Jungs rasten aus der Kirche und riefen: „Auf kommt schnell, wir wollen in den Pool.“

 

Der Esstisch war schon vorbereitete und Mutter servierte Kartoffelsalat mit Würstchen. 

Die Kerzen am Weihnachtsbaum wurden entzündet und man hörte zur festlichen Stimmung Weihnachtsmusik.

Wie jedes Jahr sagte feierlich Papa: „Guten Appetit und fröhliche Weihnachten.“ 

Vor Rührung rollten Mama Tränen über die Wangen.

„Wir haben keinen Hunger, wir wollen vor dem Essen in den Pool,“ sagte Alex.

José sah Helga an und man beschloss dies den Kindern zu erlauben.

Die Jungs waren nun damit beschäftigt die verschiedenen Wasserzuführungen, Wassermassagen etc. zu testen.

Die Eltern setzten sich in die Sessel vor dem Panoramafenster, tranken ein Glas Sekt und schauten über die wunderschön, weihnachtlich beleuchtete Stadt.

Nach einer halben Stunde meinte dann Mama: „Jetzt habt ihr euch ja richtig austoben können und hoffe, dass der Pool die Tests gut überstanden hat. Kommt nun zum Essen.“

 

Die Jungs zogen wieder ihre festliche Kleidung an. 

„Setzt euch, die Würstchen habe ich nochmals warm gemacht,“ teilte Mama mit.

„Einen Augenblick noch, wir haben Geschenke für euch,“ sagte Alex. Die Jungs übergaben dem Vater und der Mutter je ein selbstgemaltes Bild von der schwäbischen Alb.

„Wenn ihr euch so künstlerisch weiterentwickelt, könnt ihr bald zum Beispiel im Plaza Mayor in Madrid eure Bilder verkaufen.“

Alle lachten.

 

„Da sind noch Geschenke unter dem Christbaum“, stellte Alex fest.

„Das werden eure Schwimmflügel sein.“

 „Aber Mama,“ sagten die Kinder entrüstet. 

„Glaubt ihr es wirklich?“

„Eigentlich nicht,“ teilte Tom mit.

„So geht es auch mir. Bin ja nicht das Christkind.“

 

V 2