Von Björn D. Neumann

Der Streit war bis auf die Straße zu hören. Bernhard verdrehte die Augen, als er den Motor abstellte. Irmgard seufzte. Bernhard schüttelte den Kopf.

„Das hört sich ja mal wieder nach besinnlichen Feiertagen an. Lass uns nach Hause fahren. Bitte!“, flehte Bernhard und sah Irmgard mit einem herzzerreißenden Blick an.

„Ich fürchte, das gehört wohl zu Weihnachten dazu, Schatz. Auf in den Kampf! Heute Abend machen wir es uns mit einem Gläschen Wein auf der Couch gemütlich. Versprochen!“

„Wie ich Familienfeste hasse“, brummte Bernhard, aber er wusste, dass Irmgard trotz der zu erwartenden Spannungen nicht davon abzubringen war, mit ihren Eltern Weihnachten zu feiern. Bernhard war da anders. Er hasste diesen ganzen Weihnachtszinnober. Mit seinem Vater war er schon seit Jahren zerstritten und der pflichtschuldige Anruf von maximal fünf Minuten am Weihnachtsmorgen war ihm mehr als genug. „Da ist aber mindestens noch ein Horrorfilm zum Wein drin. Und Plätzchen.“

„Ich fürchte, der Horror fängt schon hier an. Aber meinetwegen. Wenn ich nicht hingucken muss.“

„Beim Plätzchenessen?“, fragte Bernhard unschuldig.

Seine Frau boxte ihn an die Schulter. „Blödmann. Jetzt los – auf ins Gefecht!“ 

„Pass bloß auf, sonst fallen mir ganz aus Versehen die Päckchen hin“, flötete er mit Engelsmiene.

Irmgard schloss die Tür des elterlichen Hauses auf. Aus der Küche hörte man das Klappern von Töpfen und Geschirr. Und ein deutlich zu vernehmendes Schluchzen. Es roch nach Gans und Rotkohl. Der Abwasch stapelte sich in der Spüle und der ganze Raum sah aus wie ein Schlachtfeld. 

„Frohe Weihnachten!“ Irmgard fiel ihrer Mutter um den Hals. Auch Bernhard kam hinzu, drückte seine Schwiegermutter kurz und murmelte ein „Frohe Weihnachten, Gudrun.“

„Was ist denn los, Mutti?“, fragte Irmgard besorgt.

„Ach, dein Vater, dieser Schuft! Nicht einmal zu Weihnachten macht er sich Gedanken!“ Gudrun schniefte in ihr Taschentuch. 

Aus dem Wohnzimmer rief eine Stimme: „Dreimal! Dreimal habe ich heute schon gespült! Gestern das ganze Haus von oben bis unten geputzt. Hier wird ein Aufstand gemacht, als ob der Kaiser von China zu Besuch käme. Bernhard, komm‘ ins Wohnzimmer. Ich hab‘ ne Flasche Bier für dich aufgemacht.“

Entschuldigend hob Bernhard die Schultern und ließ die beiden Frauen allein.

„Jetzt erzähl‘, Mutti. Was ist denn los?“

Gudrun schnäuzte erneut in ihr Taschentuch. „Wilhelm ist so unromantisch! Neulich waren wir in der Stadt einkaufen und im Schaufenster von Dahlenkamps war so eine schöne Herzskulptur. Ich habe deinem Vater genug offensichtliche Hinweise gegeben, dass ich mir die zu Weihnachten wünsche.“

„Lass mich raten – Papa hat gar nichts besorgt?“

„Schön wärs‘ gewesen.“ Gudrun holte einen Karton von der Anrichte. „Schau‘ dir das an!“

Irmgard öffnete den Karton. Unter einer Schicht Zeitungspapier lagen dort zwischen Styroporkügelchen drei Frösche. Vorsichtig hob sie die zwanzig Zentimeter großen Kunstharzfiguren aus dem Karton und stellte sie auf den Küchentisch. Eine Fröschin trug Schwesterntracht, das breite Maul zum Kussmund gespitzt, Fuß- und Fingernägel golden lackiert und eine Hand zum Mittelfinger ausgestreckt. Dann kam ein Jäger-Frosch mit Gamsbarthut und Flinte im Anschlag zum Vorschein. Zu guter Letzt noch ein Frosch, der einen Rollator vor sich herschob. Irmgard prustete los. „Was für ausgesuchte Hässlichkeiten!“, keuchte sie vor Lachen.

„Irmgard! Ich finde das überhaupt nicht lustig!“, maßregelte sie ihre Mutter.

„immerhin besser als der Staubsauger letztes Jahr“, rang Irmgard nach Luft. „Wo hat er die nur her?“

„Vom Weihnachtsmarkt, wenn du es genau wissen willst“, kam eine empörte Rückmeldung aus dem Wohnzimmer. „Weißt du eigentlich, was die gekostet haben? Der Händler hat mir versichert, dass das Sammlerstücke sind.“

„Ja, Schrottsammler!“, fauchte Gudrun zurück.

***

Das Weihnachtsessen verlief in angespannter Atmosphäre. Inzwischen war auch Irmgards Bruder samt Familie eingetroffen. Die Kinder hatten ihren hellen Spaß an den Figuren und insgeheim hoffte Gudrun, dass die Kleinen die Figuren ganz aus Versehen auf dem Fliesenboden zerschellen ließen. Plan B, die Figuren den beiden zu schenken, war am vehementen Veto der „geliebten“ Schwiegertochter gescheitert.

Nachdem alle satt waren und die üblichen Reizthemen, was zum Beispiel mit den Hinterlassenschaften der aus dem Elternhaus ausgezogenen Kinder nun passieren soll, abgearbeitet waren, machte sich eine allgemeine Aufbruchstimmung breit. 

Irmgard sah Bernhard verschwörerisch an. „Lass uns die Frösche adoptieren, Schatz“, flüsterte sie ihm zu.

„Niemals! Dieser Müll kommt mir nicht ins Haus!“, empörte er sich. „Mir reicht dein verschimmelter Brokkoli.“

‚Verschimmelter Brokkoli‘ war ein Schaf mit graugrünem Fell, das Irmgard ganz niedlich, Bernhard aber als Ausgeburt der Deko-Hölle empfand.

„Wir müssen sie ja nicht aufstellen. Nur aus dem Blickfeld von Mama verschwinden lassen.

Bernhard seufzte, wusste aber, dass seine Chancen gegen Null gingen, diesen Umzug aufzuhalten.

***

„Schon wieder ist das Jahr rum. Erschreckend, wie die Zeit vergeht“, murmelte Bernhard, als er sich auf den Weg in den Keller machte, um die Kiste mit den Lichterketten hochzuholen. Nächsten Sonntag war der erste Advent und das Heim sollte vorher in ein Weihnachts-Armageddon verwandelt werden. Irmgard liebte Weihnachten und Bernhard liebte seine Frau. Also war zumindest diese Angelegenheit entschieden. Natürlich stand die benötigte Kiste ganz oben im Regal. So hoch, dass Bernhard sie nur auf Zehenspitzen mit ausgestreckten Fingern erreichte. Und natürlich übersah er den Pappkarton, der noch auf der Kiste balancierte und scheppernd seinen Kopf traf.

„Autsch! Verdammter Mist! Was zum Teufel …“ Wutentbrannt öffnete Bernhard den Karton. „Irmgard!“, rief er die Treppe hoch. „Deine verdammten Frösche! Die kommen jetzt endlich weg!“

Er stapfte die Treppe hoch, drapierte die Figuren auf dem Tisch und machte mit seinem Smartphone ein Bild. Dann öffnete er die Ebay-App und stellte die Figuren ein. Startpreis: 1 €.

Irmgard erschrak, als sie am nächsten Morgen Bernhards Jubelschrei hörte. Freudestrahlend hielt er ihr sein Handy unter die Nase. „Schau her! Zwanzig Euro haben wir verdient“, jubilierte er. „Und schon per Pay-Pal bezahlt. Die Versandadresse geht an deine E-Mail.“

„Fein, ich mache dir gleich das Paket fertig, dann kannst du es direkt zur Post mitnehmen.“

***

Es war schon nach Elf, als die Schlüssel im Türschloss rasselten. Irmgard war vor dem Fernseher eingeschlafen, während sie auf Bernhard wartete. Heute, eine Woche vor Heiligabend, hatte Bernhard Weihnachtsfeier von der Firma. Wortlos kam er ins Wohnzimmer und ließ sich in den Sessel fallen. Auf seinem Schoß hatte er ein Päckchen, das noch halb in Geschenkpapier eingewickelt war.

„Alles gut, Schatz?“, fragte Irmgard besorgt.

„Nope!“, antwortete Bernhard einsilbig.

„Was ist denn los? Ist etwas passiert?“

Wortlos reichte er Irmgard den Karton. Sie öffnete ihn und schlug die Hand vor den Mund. Unter Schichten von zerknülltem Zeitungspapier und Styropor-Kügelchen kamen drei Figuren zum Vorschein. Drei Frösche. Eine Krankenschwester, ein Jäger und ein Rentner-Frosch.

***

Seit diesem Tag gehören die Figuren zu den festen Weihnachtsritualen der Zwei. Drei Frösche wachen unter dem Weihnachtsbaum an der Krippe des Christkinds. Und ein verschimmelter Brokkoli steht dabei und schaut verträumt zu.

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