Von Helmut Blepp

Sie saßen im Bereitschaftszimmer des Krankenhauses und spielten Skat. Swen, der jüngste von ihnen, hatte Wochenenddienst und trug seinen Arztkittel, Werner und Fred, die dienstfreien Oberärzte, Räuberzivil. 

„Zweiundzwanzig?“, reizte Swen. 

„Immer!“, tat Werner zuversichtlich.

„Dreiundzwanzig?“ 

„Spiel´s doch“, brummte Werner und winkte ab. 

„Na, dann spielen wir die Dreiundzwanzig.“ 

„Oh!“, stöhnten Werner und Fred unisono. Und Fred schimpfte: „Du mit deinen scheiß Nullnummern!“ 

„Hättest ja dein Pik als Hand spielen können“, wandte Swen sich an Werner. „Feigling!“ 

„Ruhig, Jungs!“, beschwichtigte Fred. „Noch ein Bierchen?“, fragte er und bückte sich zu der Kühltasche neben seinem Stuhl hinunter. 

„Mann, ich bin im Dienst!“, empörte sich Swen. 

„Einer von uns ist immer im Dienst.“ 

„Stimmt!“, bestätigte Werner. „Aber habt ihr euch schon mal gefragt, warum die anderen beiden dann auch immer hier abhängen?“ 

Alle drei lachten verlegen. 

„Na ja, seit ich die Jagdpacht abgegeben habe, weiß ich nicht so viel mit mir anzufangen“, gab Werner dann kleinlaut zu. „Wenn ich nicht hier mit euch verrotten will, brauche ich dringend eine neue Freizeitbeschäftigung.“ 

Erneutes Lachen in der Runde. 

„Mit dem Tennisclub ist es bei mir schon eine Weile vorbei.“ Fred wies auf den Rollator, der neben ihm stand. „Und die zweite Hüfte muss auch noch unters Messer.“ 

Swen wollte mit einer Rechtfertigung nicht nachstehen und sagte: „Ich bin ein junger Familienvater, der sein Häuschen abbezahlen muss. Da kann ich mir teure Hobbies nun mal nicht leisten und hänge notgedrungen mit euch alten Säcken ab.“ 

„Aber deinen sündhaft teuren Turbo-SUV kannst du dir leisten“, stichelte Werner. 

Swen wurde sauer und warf die Karten auf den Tisch. 

„Meine Silvie kann nun mal gut haushalten mit meinem schmalen Assistenzarztgehalt. Und sie gönnt mir meine kleine Liebhaberei.“ 

Werner und Fred schauten sich verständnisinnig an.

Und dann ging das Licht aus. 

 

„Was soll der Scheiß!“ 

„Hat die Krankenhaus-Gesellschaft ihre Stromrechnung nicht bezahlt?“ 

„Verdammte Privatisierung!“ 

„Verdammt richtig! Aber warum sprichst du plötzlich so undeutlich?“ 

„Ich? Du mümmelst doch wie ein zahnloser Tattergreis.“ 

„Habt ihr auch diesen lauten Knall gehört, ehe der Strom ausgefallen ist?“, nuschelte Swen. „Irgendwie habe ich so ein atmosphärisches Kribbeln auf der Haut gespürt. Kann das ein Blitzeinschlag gewesen sein?“ 

„Wenn es einer war, dann wundere ich mich, warum es den maroden Schuppen nicht schon früher erwischt hat.“ 

„Hört! Hört!“ 

Und dann sprang die Notbeleuchtung an. 

 

„Werner, wie siehst du denn aus?“, entfuhr es Fred. 

„Gut wie immer. Das ist nur das ungünstige Licht. Aber deine Fresse ist völlig verschoben. Fühlst du dich wohl?“ 

„Könnte ein Schlaganfall sein“, vermutete Swen.

„Quatsch! Ich bin voll da. Aber ihr beide seht aus wie Kermit, der Frosch, und das liegt nicht nur an den Eco-Lampen.“ 

Sie schauten einander ausgiebig an. Es war eine Tatsache. 

„Wir sind Frösche“, entfuhr es dem jungen Arzt. Und an Fred gewandt: „Hast du jetzt vielleicht doch ein Bier für mich?“ 

Fred hatte. Und so saßen sie erst einmal nur da und nuckelten an ihren Flaschen, was mit den breiten Mäulern gar nicht so einfach war. 

„Ich fahre nach Hause“, entschied Swen dann mit einem Mal. „Ich will zu Silvie.“ 

„Vergiss es!“ Werner winkte ab, wobei die kleinen Saugnäpfe an seinen Fingern possierlich wackelten. „Deine Froschschenkel reichen nicht mal bis an die Pedale. Und wie willst du mit diesen Bonsaiärmchen lenken?“ 

„Er hat recht“, bestätigte Fred. „Außerdem: Wie willst du deiner Liebsten die Verwandlung in eine glitschige Amphibie erklären?“ 

„Na ja, was sein Aussehen betrifft, hat er doch deutlich gewonnen“, hänselte Werner. Aber dann wurde er nachdenklich und sagte: „Was sollen wir zuhause? Irma zum Beispiel würde gar keinen Unterschied bemerken. Für die bin ich längst nur noch Luft.“ 

„Ich wusste nicht, dass es so schlimm ist.“ Freds Stimme war voller Mitleid. „Warum lasst ihr eure Ehe so vor die Hunde gehen?“ 

„Was für eine Ehe? Heute sitzt sie mit anderen frustrierten Weibern beim Klatschkränzchen. Morgen sind alle bei der Probe des Engelschors. Am Montag ist Bowling mit den Kollegen aus ihrem Büro angesagt. Und was sie den Rest der Woche treibt, sagt sie mir schon lange nicht mehr.“ 

„Aber das ist ja furchtbar!“, ereiferte sich Fred. „Warum lässt du das zu?“ 

„Das fragt der Richtige“, warf Swen ein. „Du …“ 

„Halte den Mund!“, fiel Werner ihm ins Wort. 

„Aber ich wollte…“, begehrte Swen auf. 

„Sei still, sage ich!“ 

Fred schaute irritiert von einem Freund zum anderen. 

„Gibt es da etwas, das ich wissen sollte?“ 

„Swen, wage es nicht!“ 

„Irgendwann erfährt er es doch“, versetzte dieser trotzig. Dann wandte er sich an Fred und sagte: „Deine Doris bumst den jungen Polen vom Biobauern.“ 

„Das darf doch nicht wahr sein! Woher wisst ihr das?“ 

„Jeder weiß, dass der Bursche euch fast jeden Tag Gemüse ins Haus liefert. Ist Dir noch nicht aufgefallen, dass Du nur noch vegan bekocht wirst? Das Zeug muss nun einmal weggegessen werden.“ 

„Tut mir leid, Mann! Ich hätte es dir schonender beibringen sollen.“ Swen schüttelte den Kopf. „Aber wie konnte es denn überhaupt soweit kommen. Interessiert ihr euch gar nicht mehr für eure Frauen? Kriegt ihr echt nichts mehr von dem mit, was sie den ganzen Tag machen?“ 

„Hör sich einer diesen jungen SUV-Klugscheißer an!“ 

„Warum müsst ihr immer auf meinem Auto rumhacken?“ 

Fred fingerte unsicher an der Bremse seines Rollators herum. Dann entschloss er sich zu einem Nicken in Richtung Werner. Der übernahm jetzt das Reden.

„Junge, wenn das hier schon die Stunde der Wahrheit ist, sollst auch du Bescheid wissen. Deine Silvie ist heute nicht beim Kaffeeklatsch mit unseren Ollen. Sie singt morgen auch nicht im Chor, hat sie noch nie.“ 

Swen war fassungslos. Mit offenem Maul starrte er seine Freunde an. 

„Wo, um Himmels Willen, ist sie denn dann?“ 

„Beruhige dich! Sie geht nicht fremd. Sie putzt jedes Wochenende. Am Samstag bei Doktor Förster, dem Zahnarzt, sonntags bei Notar Plöck.“ 

„Aber warum sagt sie mir das nicht? Warum putzt sie bei fremden Leuten?“ 

„Weil sie dich liebt, du Idiot“, brach es aus Fred heraus. „Ihr habt ein hässliches Defizit in eurer Haushaltskasse, und Silvie will verhindern, dass du deshalb auf deinen Prachtwagen verzichten musst.“ 

Das war zu viel für Swen. Er ließ den Kopf hängen und begann, leise zu weinen, was bei einem Frosch doch recht befremdlich aussah, zumal sein Schluchzen wie ein missglücktes Quaken klang. 

„Wir alle drei sind Idioten“, stellte Werner betroffen fest. „Wisst ihr, ich liebe meine Frau, habe nie damit aufgehört. Doch mit der Zeit ist uns unbemerkt die Nähe abhandengekommen.“ 

„Ich habe es auch versaut“, stimmte Fred ihm zu. „All die Jahre als Schmerzpatient. Die Operationen. Ich hatte nur noch mit mir selber zu tun. Und meine Doris verkümmerte neben einem Jammerlappen von Mann.“ 

„Ich liebe meine Silvie so sehr, dass es weh tut. Und ich schäme mich ganz fürchterlich. Ich brauche doch diese blöde Poser-Karre überhaupt nicht. Ich brauche meine Frau und will sie glücklich machen.“ 

„Gut gesagt, Kleiner! Du hast es begriffen.“ 

„Ich denke, wir haben es begriffen“, ergänzte Fred. 

„Dann sollten wir aber auch etwas machen aus dieser Erkenntnis“, sagte Werner mit Nachdruck. „Wenn ich jemals wieder meinen menschlichen Revuekörper zurückkriege, werde ich alles tun, um meine Irma erneut zu erobern.“ 

„Ich schließe mich an. Doris soll wieder in meinen Armen liegen und glücklich sein. Außerdem bekomme ich dann auch wieder Fleisch auf den Tisch.“ 

„Ich komme auch mit einem Kleinwagen klar.“ 

Werner hob sein Ärmchen, um Beachtung heischend. Er klang sehr salbungsvoll, als er sagte: „Und das hier muss auch aufhören.“ 

Die anderen beiden verharrten kurz. Dann nickten sie. 

„Keine langen Skatabende mehr in dieser Absteige.“ 

Ein doppeltes Jawohl. 

„Kampf der Bierwampe!“ 

Jetzt quakten sie tatsächlich begeistert los. 

„Mein Leben der Frau!“ 

Der Froschchor feierte den Neubeginn. 

Dann knallte es, als wäre eine Schallmauer durchbrochen worden. Und das Licht ging aus.  

 

„Ich fürchte, ich habe einen Hörsturz“, stöhnte Fred, als die Leuchtröhren wieder ansprangen. 

„Mir klingeln auch die Ohren.“ 

„Hauptsache, wir haben wieder welche!“ 

„War das ein kollektiver Albtraum?“ 

„Ich glaube, Fred hat uns etwas ins Bier gemischt.“ 

„Quatsch!“, wehrte der sich. „Mir ging es grottenschlecht. Ich gehe als erster Frosch mit einem künstlichen Hüftgelenk in die Geschichte ein.“ 

„Dann mal los, Jungs! Geht heim zu euren Göttergattinnen! Ich rette hier allein die Menschheit weiter.“ 

„Gemach, gemach!“ Werner hob abwehrend die Hand. „So schnell schießen die Preußen nicht! Lass uns erst einmal dieses verrückte Erlebnis verdauen.“ Er klatschte sich entschlossen auf die Schenkel. „Fred, hast du noch ein Bier?“ 

Fred hatte. Genussvoll und dienstvergessen ließen sie das kühle Nass durch ihre geübten Männerkehlen fließen. 

„Eine Runde geht eigentlich noch“, sagte Fred dann nach einem kleinen Rülpser. „Was meint ihr?“ 

„An mir soll es nicht liegen“, antwortete Werner und nahm die Karten auf. „Ich bin am Geben.“ 

Swen gewann das Reizen. Er sortierte sein Blatt um, während die beiden Älteren auf seine Ansage warteten. 

„Null ouvert, meine Herren!“

 

Helmut Blepp; * 1959 in Mannheim, selbstständiger Trainer & Berater (Arbeitsrecht); lebt in Lampertheim; vier Lyrikbände, zahlreiche Veröffentlichungen in Anthologien und Zeitschriften; Mitglied Gesellschaft für zeitgenössische Lyrik e.V., Joachim Ringelnatz-Verein e. V., Gruppe 48 e. V.