Von Herbert Glaser

 

Im Rückblick muss Nerkosh erkennen, dass viele Erinnerungen mehr und mehr verblassen. Gesichter von Weggefährten erscheinen vor seinem inneren Auge nur noch schemenhaft.

Eine Begegnung allerdings ist ihm so präsent, als ob sie gestern stattgefunden hat und die nur zustande kam, da beide Beteiligten über eine spezielle Gabe verfügten.

Das Zusammentreffen mit einem Lebewesen, das wohl mehr gelitten hat als jedes andere im Universum. Hier ist seine Geschichte.

 

*

 

Wind und Sonne hatten den Boden ausgetrocknet. Es regnete auf dem von der Erde weit entfernten Planeten Limal so selten, dass sich selbst die ältesten Leminen kaum an den letzten Niederschlag erinnern konnten.

Zerstörte Fahrzeuge, verblichene Skelette und achtlos weggeworfene Gegenstände aller Art säumten beide Seiten der einzigen befestigten Straße, die durch das wüstenartige Land führte.

Die Fahrzeuge, die auf dieser Route fuhren, wurden von bewaffneten Wachen eskortiert, um Überfälle zu verhindern. Im Gegenteil kam es nicht selten vor, dass diese mitfahrenden Wachmannschaften über die Bewohner der wenigen Orte, die auf ihrem Weg lagen, herfielen.

Auch Krelop und seine Freunde, die täglich ums Überleben kämpfen mussten, verbargen sich vor den Durchreisenden.

 

Eines Tages erschien am Himmel ein riesiges Raumschiff, das die Einwohner des kleinen Ortes aus ihren primitiven Häusern lockte. Es verdunkelte die Sonne und sank mit ohrenbetäubendem Lärm nach unten.

Krelop und seine Freunde sahen verwundert zu, wie sich aus einer Luke des Schiffs ein nebelartiger Schleier über die Siedlung senkte. Bevor sie bemerkten, welche Wirkung der Nebel hatte, lagen sie bereits bewusstlos am Boden. Über Krelop hatten die Eindringlinge ein Netz geworfen, hoben ihn damit in ihr Raumschiff und verschwanden mit ihm in den Tiefen des Alls.

 

Die Zeit verging und mit ihr die Erinnerung an das außergewöhnlichste Ereignis, das sich jemals auf diesem unwirtlichen Planeten zugetragen hatte.

Auch Krelop geriet bald in Vergessenheit.

Eines Tages tauchte eine mordlustige Horde auf, plünderte die wenigen Habseligkeiten und metzelte alle Einwohner nieder.

Bald erinnerte nichts mehr an die ehemalig Siedlung.

Krelop jedoch lebte noch immer.

 

 

Der Raum, in den man ihn gesperrt hatte, war klein, Wände, Decke und Boden fugenlos und einfarbig grau.

In Krelops Körper steckten mehrere Kabel und Schläuche, die in den Wänden verschwanden. Der Lemine versuchte immer wieder, sie herauszuziehen, aber es gelang ihm nicht. Von Zeit zu Zeit wurden die Anschlüsse erneuert, aber immer nur dann, wenn er schlief.

Offensichtlich wurde er über diese Verbindungen ernährt, denn herkömmliche Nahrung erhielt er nicht. Seine Exkremente wurden auf geheimnisvolle Weise aufgelöst.

 

Nach unvorstellbar langer Zeit begann sich Krelops Kopf auszudehnen und wurde immer schwerer. Der Lemine konnte bald nur noch über den Boden kriechen und seine Not hinaus schreien.

Anfangs hatte der Gefangene befürchtet, verrückt zu werden, später dann den Wahnsinn herbeigesehnt – vergeblich.

Er unternahm mehrere Selbstmordversuche, die jedoch alle scheiterten.

Sein Gehirn wucherte weiter, sprengte die Schädeldecke und bedeckte nach und nach den ganzen Körper bis er blind, taub und bewegungsunfähig war. Der Haufen aus lebendem, aufgedunsenem Fleisch, bedeckt von Sensoren, Kathetern und multifunktionalen Maschinenkomponenten, wurde mit Metallklammern auf ein flaches Gestell fixiert.

 

Irgendwann spürte Krelop, wie etwas in ihn eindrang und mit unterschwelligem Triumph von seinem Gehirn Besitz ergriff. Instinktiv verströmte Krelop soviel Hass wie möglich, aber der Fremde antwortete nicht.

Als er zum zweiten Mal übernommen wurde, reagierte Krelop sofort. „Töte mich“, flehten seine Gedanken, „töte mich endlich!“.

„Wir brauchen dich“, antwortete der ungebetene Gast gelassen, „unsere Arbeit darf nicht umsonst gewesen sein.“

„Werde ich jemals sterben?“

„Natürlich wirst du sterben … irgendwann“, entgegnete der Fremde. „Du bist ein ausgezeichneter Reizempfänger. Wir haben lange nach einem solchen Lebewesen gesucht.“

Krelop ließ den Eindringling seine Verständnislosigkeit spüren.

„Wir benutzen dich als kognitive Falle. Je größer dein Gehirn ist, desto besser wird sie funktionieren.“

Wieder verstand der Lemine nicht. Den weiteren Gedanken des Fremden glaubte er entnehmen zu können, dass seine Peiniger auf ein bestimmtes Wesen warteten und dieses mit seiner Hilfe fangen wollten.

 

Lange Zeit später drang ein neues Bewusstsein in den Gefangenen ein. Es handelte sich jedoch nicht um den Unbekannten, der gefangen werden sollte, sondern um einen weiteren Peiniger. „Mein Vorgänger ist gestorben, ich nehme jetzt seinen Platz ein“, erklärte er lapidar.

 

Eines Tages besuchte der neue Wärter Krelop früher als gewohnt.

„Es ist soweit“, teilte er ihm offensichtlich erregt mit, „der Diplomat ist unterwegs.“

Die Aufregung des Fremden übertrug sich auf den Leminen. Die unförmigen Überreste seines einstmals kräftigen Körpers zuckten unkontrolliert. Ihm war klar, dass er nicht mehr als ein hilfloses Monster war. Weder wusste er, wer dieser Diplomat war, noch, warum er helfen sollte, ihn zu fangen. Vielleicht war nun aber endlich der Zeitpunkt gekommen, da man ihn von seinen Qualen erlösen würde.

 

Die Ankunft war ein Schock. Krelop fühlte übermächtige Impulse der Panik. Er bemerkte, dass der Unbekannte sofort wieder verschwinden wollte, sich aber nicht von seinem Körper lösen konnte. Im Gegensatz zu den Peinigern, die nie Schwierigkeiten hatten, sich aus dem Gefangenen zurückzuziehen.

Krelop schirmte sich so gut es ging von dem chaotischen Gedankenwirbel ab.

Langsam beruhigte sich der Neuankömmling. Er war noch immer von Furcht erfüllt, aber sein Verstand drängte die Emotionen mehr und mehr zurück.

Krelop spürte suchende Impulse, dann übernahm das fremde Wesen sein Bewusstsein völlig, las seine Gedanken und übernahm alle seine Erinnerungen. Es hatte so starke geistige Kräfte, dass Krelop zu keinerlei Gegenwehr fähig war. Als er wieder frei denken konnte, bemerkte er Emotionen voller Mitleid.

Obwohl er sich schämte, genoss er diesen Augenblick. Seit unvorstellbar langer Zeit durfte er wieder einen mitfühlenden Gedanken empfangen. Längst vergessen geglaubte Empfindungen erwachten in ihm.

„Bist du der Diplomat?“, fragte er vorsichtig.

Der Unbekannte überlegte einen Augenblick. „Nenne mich Nerkosh.“

Dann öffnete er einen Teil seiner Erinnerungen für Krelop.

 

Nerkosh befand sich auf einer Friedensmission, die ihn in dieses Sonnensystem geführt hatte. Er sollte in einem seit langer Zeit herrschenden Krieg zwischen zwei Sternenvölkern vermitteln. Seine entsprechende Eignung dafür hatte er einer Besonderheit seines Volkes zu verdanken. Im Abstand von vielen Generationen wurde immer wieder einmal ein Individuum geboren, das über außergewöhnliche Fähigkeiten zur Vermittlung verfügte. Als Pazifikator erkannte er die wahren Gründe, die hinter den Konfrontationen steckten und bevorzugte keine der Konfliktparteien. Er bildete eine Art Waage, auf der die verschiedene Interessen ihr Gleichgewicht fanden. Daher wurde Nerkosh von allen Parteien respektiert.

Niemand konnte jedoch vorhersagen, wann dieser Vermittler auftauchen würde. Diejenigen, die am Fortgang des Krieges interessiert waren, trafen Vorkehrungen, um die Mission zu verhindern. Nerkosh und seine Begleiter waren auf einen Angriff vorbereitet, nicht jedoch auf eine Falle wie diese.

 

„Warum kannst du nicht aus meinem Körper verschwinden wie die Fremden, die mir das angetan haben?“

„Sie werden sicherlich Vorkehrungen an dem mit dir verbundenen Computernetzwerk vornehmen, bevor sie dich besuchen.“

„Was ist mit deinem Körper?“

„Der befindet sich als leere Hülle auf unserem Raumschiff. Meine Kameraden werden ihn am Leben erhalten, aber wenn mein Geist zu lange hier festgehalten wird, stirbt er.“

„Ich warte auch auf den Tod. Das ist alles, worauf ich noch hoffe. Wenn es mein Auftrag war, dich zu fangen, dann darf ich doch jetzt endlich sterben, nicht wahr?“ Krelops Gedanken kreisten erneut nur noch um diesen einen Wunsch.

„Ich verstehe dich“, gab Nerkosh ruhig zurück, „kein Lebewesen, das ich kenne, hat so gelitten wie du. Aber es gibt Grund zur Hoffnung. Wenn meine Freunde diesen Ort rechtzeitig finden, dann werden sie diese Anlage zerstören, ich kann in meinen Körper zurück und du darfst sterben.“

Krelop wurde von seinen Gefühlen überwältigt, seine Gedanken rasten.

Gut so, dachte Nerkosh. Wenn Krelops Impulse an das Netzwerk stark genug waren, konnten sie von seinen Gefährten geortet werden. Die Entfernung zu seinem Schiff war sicherlich nicht allzu groß, denn eine kognitive Falle funktionierte nur auf relativ kurze Distanz.

 

Der Ruck einer Explosion ging durch den verstümmelten Körper des Leminen. Nerkoshs Crew hatte seinen Aufenthaltsort gefunden und war dabei, die Anlage zu zerstören. Ein letztes Mal versuchte der Diplomat, mit Krelop in Verbindung zu treten, und riss ihn aus den Tiefen der ewigen Dunkelheit. In den verbleibenden Sekunden seines schrecklich verlaufenden Lebens kehrten dessen Gedanken noch einmal zurück zur alten Heimat auf dem trostlosen Planeten, von dem man ihn entführt hatte. In der Rückschau erschien sie ihm wie das Paradies.

Im Hier und Jetzt empfand er Schmerzen, aber das störte ihn nicht, denn schließlich starb er den Tod, den er so lange herbeigesehnt hatte. Sein Bewusstsein war erfüllt von Erleichterung und Dankbarkeit. Dann ließen die Gehirnaktivitäten immer mehr nach, es ging zu Ende. Nerkosh spürte den nachlassenden Widerstand und kehrte in seinen eigenen Körper zurück.

 

*

 

Nachdem die Anlage zerstört war, setzte der Diplomat seine Reise fort.

Die Verhandlung mit den Kriegsparteien gestaltete sich äußerst schwierig und war von vielen Rückschlägen begleitet.

Schließlich gelang es ihm doch, eine vorläufige Einigung zu erzielen. Man verständigte sich auf eine Waffenruhe und weitere Gespräche zu einem späteren Zeitpunkt.

 

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Der Auserwählte

 

Im Rückblick muss Nerkosh erkennen, dass viele Erinnerungen mehr und mehr verblassen. Gesichter von Weggefährten erscheinen vor seinem inneren Auge nur noch schemenhaft.

Eine Begegnung allerdings ist ihm so präsent, als ob sie gestern stattgefunden hat und die nur zustande kam, da beide Beteiligten über eine spezielle Gabe verfügten.

Das Zusammentreffen mit einem Lebewesen, das wohl mehr gelitten hat als jedes andere im Universum. Hier ist seine Geschichte.

 

*

 

Wind und Sonne hatten den Boden ausgetrocknet. Es regnete auf dem von der Erde weit entfernten Planeten Limal so selten, dass sich selbst die ältesten Leminen kaum an den letzten Niederschlag erinnern konnten.

Zerstörte Fahrzeuge, verblichene Skelette und achtlos weggeworfene Gegenstände aller Art säumten beide Seiten der einzigen befestigten Straße, die durch das wüstenartige Land führte.

Die Fahrzeuge, die auf dieser Route fuhren, wurden von bewaffneten Wachen eskortiert, um Überfälle zu verhindern. Im Gegenteil kam es nicht selten vor, dass diese mitfahrenden Wachmannschaften über die Bewohner der wenigen Orte, die auf ihrem Weg lagen, herfielen.

Auch Krelop und seine Freunde, die täglich ums Überleben kämpfen mussten, verbargen sich vor den Durchreisenden.

 

Eines Tages erschien am Himmel ein riesiges Raumschiff, das die Einwohner des kleinen Ortes aus ihren primitiven Häusern lockte. Es verdunkelte die Sonne und sank mit ohrenbetäubendem Lärm nach unten.

Krelop und seine Freunde sahen verwundert zu, wie sich aus einer Luke des Schiffs ein nebelartiger Schleier über die Siedlung senkte. Bevor sie bemerkten, welche Wirkung der Nebel hatte, lagen sie bereits bewusstlos am Boden. Über Krelop hatten die Eindringlinge ein Netz geworfen, hoben ihn damit in ihr Raumschiff und verschwanden mit ihm in den Tiefen des Alls.

 

Die Zeit verging und mit ihr die Erinnerung an das außergewöhnlichste Ereignis, das sich jemals auf diesem unwirtlichen Planeten zugetragen hatte.

Auch Krelop geriet bald in Vergessenheit.

Eines Tages tauchte eine mordlustige Horde auf, plünderte die wenigen Habseligkeiten und metzelte alle Einwohner nieder.

Bald erinnerte nichts mehr an die ehemalig Siedlung.

Krelop jedoch lebte noch immer.

 

 

Der Raum, in den man ihn gesperrt hatte, war klein, Wände, Decke und Boden fugenlos und einfarbig grau.

In Krelops Körper steckten mehrere Kabel und Schläuche, die in den Wänden verschwanden. Der Lemine versuchte immer wieder, sie herauszuziehen, aber es gelang ihm nicht. Von Zeit zu Zeit wurden die Anschlüsse erneuert, aber immer nur dann, wenn er schlief.

Offensichtlich wurde er über diese Verbindungen ernährt, denn herkömmliche Nahrung erhielt er nicht. Seine Exkremente wurden auf geheimnisvolle Weise aufgelöst.

 

Nach unvorstellbar langer Zeit begann sich Krelops Kopf auszudehnen und wurde immer schwerer. Der Lemine konnte bald nur noch über den Boden kriechen und seine Not hinaus schreien.

Anfangs hatte der Gefangene befürchtet, verrückt zu werden, später dann den Wahnsinn herbeigesehnt – vergeblich.

Er unternahm mehrere Selbstmordversuche, die jedoch alle scheiterten.

Sein Gehirn wucherte weiter, sprengte die Schädeldecke und bedeckte nach und nach den ganzen Körper bis er blind, taub und bewegungsunfähig war. Der Haufen aus lebendem, aufgedunsenem Fleisch, bedeckt von Sensoren, Kathetern und multifunktionalen Maschinenkomponenten, wurde mit Metallklammern auf ein flaches Gestell fixiert.

 

Irgendwann spürte Krelop, wie etwas in ihn eindrang und mit unterschwelligem Triumph von seinem Gehirn Besitz ergriff. Instinktiv verströmte Krelop soviel Hass wie möglich, aber der Fremde antwortete nicht.

Als er zum zweiten Mal übernommen wurde, reagierte Krelop sofort. „Töte mich“, flehten seine Gedanken, „töte mich endlich!“.

„Wir brauchen dich“, antwortete der ungebetene Gast gelassen, „unsere Arbeit darf nicht umsonst gewesen sein.“

„Werde ich jemals sterben?“

„Natürlich wirst du sterben … irgendwann“, entgegnete der Fremde. „Du bist ein ausgezeichneter Reizempfänger. Wir haben lange nach einem solchen Lebewesen gesucht.“

Krelop ließ den Eindringling seine Verständnislosigkeit spüren.

„Wir benutzen dich als kognitive Falle. Je größer dein Gehirn ist, desto besser wird sie funktionieren.“

Wieder verstand der Lemine nicht. Den weiteren Gedanken des Fremden glaubte er entnehmen zu können, dass seine Peiniger auf ein bestimmtes Wesen warteten und dieses mit seiner Hilfe fangen wollten.

 

Lange Zeit später drang ein neues Bewusstsein in den Gefangenen ein. Es handelte sich jedoch nicht um den Unbekannten, der gefangen werden sollte, sondern um einen weiteren Peiniger. „Mein Vorgänger ist gestorben, ich nehme jetzt seinen Platz ein“, erklärte er lapidar.

 

Eines Tages besuchte der neue Wärter Krelop früher als gewohnt.

„Es ist soweit“, teilte er ihm offensichtlich erregt mit, „der Diplomat ist unterwegs.“

Die Aufregung des Fremden übertrug sich auf den Leminen. Die unförmigen Überreste seines einstmals kräftigen Körpers zuckten unkontrolliert. Ihm war klar, dass er nicht mehr als ein hilfloses Monster war. Weder wusste er, wer dieser Diplomat war, noch, warum er helfen sollte, ihn zu fangen. Vielleicht war nun aber endlich der Zeitpunkt gekommen, da man ihn von seinen Qualen erlösen würde.

 

Die Ankunft war ein Schock. Krelop fühlte übermächtige Impulse der Panik. Er bemerkte, dass der Unbekannte sofort wieder verschwinden wollte, sich aber nicht von seinem Körper lösen konnte. Im Gegensatz zu den Peinigern, die nie Schwierigkeiten hatten, sich aus dem Gefangenen zurückzuziehen.

Krelop schirmte sich so gut es ging von dem chaotischen Gedankenwirbel ab.

Langsam beruhigte sich der Neuankömmling. Er war noch immer von Furcht erfüllt, aber sein Verstand drängte die Emotionen mehr und mehr zurück.

Krelop spürte suchende Impulse, dann übernahm das fremde Wesen sein Bewusstsein völlig, las seine Gedanken und übernahm alle seine Erinnerungen. Es hatte so starke geistige Kräfte, dass Krelop zu keinerlei Gegenwehr fähig war. Als er wieder frei denken konnte, bemerkte er Emotionen voller Mitleid.

Obwohl er sich schämte, genoss er diesen Augenblick. Seit unvorstellbar langer Zeit durfte er wieder einen mitfühlenden Gedanken empfangen. Längst vergessen geglaubte Empfindungen erwachten in ihm.

„Bist du der Diplomat?“, fragte er vorsichtig.

Der Unbekannte überlegte einen Augenblick. „Nenne mich Nerkosh.“

Dann öffnete er einen Teil seiner Erinnerungen für Krelop.

 

Nerkosh befand sich auf einer Friedensmission, die ihn in dieses Sonnensystem geführt hatte. Er sollte in einem seit langer Zeit herrschenden Krieg zwischen zwei Sternenvölkern vermitteln. Seine entsprechende Eignung dafür hatte er einer Besonderheit seines Volkes zu verdanken. Im Abstand von vielen Generationen wurde immer wieder einmal ein Individuum geboren, das über außergewöhnliche Fähigkeiten zur Vermittlung verfügte. Als Pazifikator erkannte er die wahren Gründe, die hinter den Konfrontationen steckten und bevorzugte keine der Konfliktparteien. Er bildete eine Art Waage, auf der die verschiedene Interessen ihr Gleichgewicht fanden. Daher wurde Nerkosh von allen Parteien respektiert.

Niemand konnte jedoch vorhersagen, wann dieser Vermittler auftauchen würde. Diejenigen, die am Fortgang des Krieges interessiert waren, trafen Vorkehrungen, um die Mission zu verhindern. Nerkosh und seine Begleiter waren auf einen Angriff vorbereitet, nicht jedoch auf eine Falle wie diese.

 

„Warum kannst du nicht aus meinem Körper verschwinden wie die Fremden, die mir das angetan haben?“

„Sie werden sicherlich Vorkehrungen an dem mit dir verbundenen Computernetzwerk vornehmen, bevor sie dich besuchen.“

„Was ist mit deinem Körper?“

„Der befindet sich als leere Hülle auf unserem Raumschiff. Meine Kameraden werden ihn am Leben erhalten, aber wenn mein Geist zu lange hier festgehalten wird, stirbt er.“

„Ich warte auch auf den Tod. Das ist alles, worauf ich noch hoffe. Wenn es mein Auftrag war, dich zu fangen, dann darf ich doch jetzt endlich sterben, nicht wahr?“ Krelops Gedanken kreisten erneut nur noch um diesen einen Wunsch.

„Ich verstehe dich“, gab Nerkosh ruhig zurück, „kein Lebewesen, das ich kenne, hat so gelitten wie du. Aber es gibt Grund zur Hoffnung. Wenn meine Freunde diesen Ort rechtzeitig finden, dann werden sie diese Anlage zerstören, ich kann in meinen Körper zurück und du darfst sterben.“

Krelop wurde von seinen Gefühlen überwältigt, seine Gedanken rasten.

Gut so, dachte Nerkosh. Wenn Krelops Impulse an das Netzwerk stark genug waren, konnten sie von seinen Gefährten geortet werden. Die Entfernung zu seinem Schiff war sicherlich nicht allzu groß, denn eine kognitive Falle funktionierte nur auf relativ kurze Distanz.

 

Der Ruck einer Explosion ging durch den verstümmelten Körper des Leminen. Nerkoshs Crew hatte seinen Aufenthaltsort gefunden und war dabei, die Anlage zu zerstören. Ein letztes Mal versuchte der Diplomat, mit Krelop in Verbindung zu treten, und riss ihn aus den Tiefen der ewigen Dunkelheit. In den verbleibenden Sekunden seines schrecklich verlaufenden Lebens kehrten dessen Gedanken noch einmal zurück zur alten Heimat auf dem trostlosen Planeten, von dem man ihn entführt hatte. In der Rückschau erschien sie ihm wie das Paradies.

Im Hier und Jetzt empfand er Schmerzen, aber das störte ihn nicht, denn schließlich starb er den Tod, den er so lange herbeigesehnt hatte. Sein Bewusstsein war erfüllt von Erleichterung und Dankbarkeit. Dann ließen die Gehirnaktivitäten immer mehr nach, es ging zu Ende. Nerkosh spürte den nachlassenden Widerstand und kehrte in seinen eigenen Körper zurück.

 

*

 

Nachdem die Anlage zerstört war, setzte der Diplomat seine Reise fort.

Die Verhandlung mit den Kriegsparteien gestaltete sich äußerst schwierig und war von vielen Rückschlägen begleitet.

Schließlich gelang es ihm doch, eine vorläufige Einigung zu erzielen. Man verständigte sich auf eine Waffenruhe und weitere Gespräche zu einem späteren Zeitpunkt.

 

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