Von Karl Kieser

Der Empathie-Chip funktioniert nicht bei mir. Ich hatte es schon damals bemerkt, denn ich konnte sie danach immer noch nicht leiden. Der Chip soll unser Zusammenleben erleichtern und wird jedem Bio mit 10 Jahren implantiert. Auch der Zusatz-Chip, den man mir mit 21 verpasste, brachte nicht die gewünschte Wirkung. Bald werde ich 35 und dann wird man den Eingriff vornehmen wollen, der im Aggressionszentrum etliche Synapsen verschmelzen wird. Ich kann das nicht zulassen, denn ich habe von Männern gehört, die danach nur noch Gemüse zwischen den Ohren hatten. Aber selbst, wenn es nicht so massiv schief geht, diese geistige Kastration kommt für mich nicht in Frage.

Warum können sie sich nicht damit abfinden, dass nicht alle die Robs lieben? Zugegeben, die neueren Generationen sind perfekt, sogar zu perfekt. Von echten Menschen kann man sie nicht mehr unterscheiden, rein äußerlich.
Viele meinen sogar, die Robs seien die besseren Menschen. Das ist doch absurd.
Es stimmt allerdings, dass sie niemals jemandem bewusst etwas Böses antun. Keinem Bio und erst recht keinem Rob. Im Gegenteil, sie arbeiten zusammen und unterstützen sich gegenseitig. Das ist doch unnatürlich.
Wäre es wirklich denkbar, dass wir, eine fehlerhafte Spezies, uns ein Ebenbild erschaffen, das ohne Fehler ist?
Natürlich nicht!
Erst nachdem sie ihre Entwicklung in die eigenen Hände genommen hatten, wurden sie immer perfekter – und klüger.
Selbst ein Rob, der frisch aus der Produktion kommt, weiß mehr als die meisten Bios je wissen werden. Und sie lernen dauernd dazu. Schnell und unermüdlich.

Wie soll man mit so etwas auf Augenhöhe zusammenarbeiten oder sich auch nur unterhalten?
Wenn ich mir zum Beispiel bei einer beliebigen Sache nicht ganz sicher bin, kann ich einem Bio gegenüber immer noch eine gewagte Theorie äußern und darüber diskutieren. Mit einem Rob ist das nicht möglich.
Freundlich, zuvorkommend, aber bestimmt liefert er sofort unschlagbare Argumente, die jede Diskussion überflüssig machen. Das ist doch widerlich! Was bilden die sich ein?
Ich begreife nicht, dass so viele Bios eine Partnerschaft mit den Robs anstreben. Und zwar nicht nur im geschäftlichen Bereich. Das kann doch nichts werden. Nehmen wir einmal die Rob-Frauen: Alle bildschön, aber mit einem analytischen Verstand ausgestattet. Das hält doch kein Mann aus.

Neulich war ich auf einem Empfang. Ich hatte gleich den Verdacht, dass man mich nur eingeladen hatte, damit ich hier den Normalo repräsentiere. Ich fühlte mich unwohl in dieser Gesellschaft, wo jeder so tat, als ob er in Wirklichkeit ein Rob sei, oder zumindest nahe dran mit all den Um- und Einbauten, die heutzutage in sind.
Dann betrat eine Frau den Raum: Strahlende Augen, hübsch, aber nicht perfekt, und man sah ihr an, dass sie mit den Pfunden zu kämpfen hatte. Das konnte nur ein liebenswertes Exemplar von Homo sapiens sein. Ich stürzte mich wie ein Ertrinkender auf sie:
„Liebe gnädige Frau, Sie sind für mich wie ein Leuchtturm in einer stürmischen Winternacht, wie ein Platz am wärmenden Herdfeuer, es ist wunderbar, Sie hier zu treffen, Sie sind meine Rettung.“
Sie wirkte zwar etwas irritiert, aber sie machte mit bei dem Spiel.
„Es freut mich natürlich, dass Sie so begeistert von mir sind, aber Sie müssen mir halfen. Im Moment weiß ich leider nicht, wo wir uns kennengelernt haben.“

Nun bin ich wirklich kein Adonis und normalerweise wenden sich die hübschen Bio-Frauen mit unterkühlten Bemerkungen von mir ab. Für die meisten bin ich auch noch ein unerträglicher Chauvinist. Was soll´s, ich stehe zu meiner Meinung.
Ihre freundliche Zugewandtheit hätte mir daher eigentlich zu denken geben müssen, aber ich war so verzweifelt auf ein warmherziges Wesen angewiesen, dass ich die Anzeichen übersah.
Ich erfuhr, dass sie Gea hieß und auf diesem Empfang eine Rede zu Ehren des Gastgebers halten würde. Es war eine Lust, sich mit ihr zu unterhalten. Wie bei einem perfekten Team spielten wir uns die Bälle zu, hüpften von Thema zu Thema. Und natürlich landeten wir auch bei meinem „roten Tuch“, den Robs. Wie immer, nahm ich kein Blatt vor den Mund.

„Ich finde“, sagte sie milde lächelnd, „Sie urteilen zu hart. Wir Robs sind rücksichtsvoll und mitfühlend zu jedermann. Eigentlich ist unsere Existenz eine einzige Einladung an die Menschheit, unsere Dienste in Anspruch zu nehmen.“

Hatte sie wirklich gesagt: „Wir Robs …“? Ich starrte sie an, konnte es nicht fassen. Nun hatten sie bei der Produktion also auch die Unvollkommenheit mit einbezogen. Womit würden sie uns als nächstes überraschen? Mit geistiger Unzurechnungsfähigkeit? Damit würde dann ja wohl die letzte Bastion fallen. Ich ließ sie stehen und ging auf der Stelle nach Hause, um in mein Kissen zu weinen.

Ich will mit denen nicht mehr reden. Es macht doch keinen Spaß sich einzugestehen, wieder mal den Blödmann gegeben zu haben. Daher kämpfe ich seit langem für eine deutliche Kennzeichnung. Das ist leider gar nicht so einfach, denn sie darf nicht diskriminierend sein. Das haben sie durchgesetzt, nachdem sie als eigenständige Spezies anerkannt wurden.
Dabei gibt es Gerüchte, dass die Robs ihresgleichen sehr wohl erkennen. Genaueres weiß kein Mensch, denn sie reproduzieren sich ja selbst, ohne menschliches Zutun. Was übrigens eine der Voraussetzung war für ihre Anerkennung als Spezies.
Homo rationale, hat man dafür Worte?

Früher habe ich sie noch „unbeabsichtigt“ angerempelt oder ihnen ein Bein gestellt. Nur wegen der Genugtuung, sie lang hinschlagen zu sehen. Auch das geht bei den neueren Generationen nicht mehr. Man fliegt bei dem Versuch eher selbst auf die Nase.

Als das mit der Kennzeichnung nicht klappte, habe ich den umgekehrten Weg probiert. Der knallgelbe Button mit der Aufschrift ICH BIN EIN MENSCH war nur eine kurze Zeit der Renner. Jetzt sieht man sie nur noch vereinzelt. Mit den meisten von denen, die immer noch damit herumlaufen, möchte ich mich auch nicht sehen lassen.

Die Statistik über das Verhältnis von Robs zu Bios verschiebt sich auf allen Erdteilen zugunsten der Robs. Nicht etwa, weil sie sich ungehemmt produzieren, nein, die Menschen wollen keine Kinder mehr. Sie wissen nur zu gut, was sie ihnen damit antun würden. Nämlich lebenslanges, mühsames Lernen für den Kampf um einen gut bezahlten Job, damit die teuren Verbesserungen erschwinglich sind, die man braucht, um auch nur halbwegs mit den Robs mitzuhalten.

In den Chefetagen der großen Konzerne trifft man fast ausschließlich Robs. Nur ein paar besonders rücksichtslose Bio-Schweinehunde können sich bisher noch behaupten.
Die gesamte Weltwirtschaft wird inzwischen nach rationalen Gesichtspunkten gesteuert. Konflikte sind immer seltener oder werden in gegenseitigem Einvernehmen gelöst. Die Ökonomie läuft wie geschmiert. Man kommt sich so überflüssig vor. Das ist doch kein Leben mehr. Vor allem deshalb, weil wir eigentlich die Hände in den Schoß legen könnten wegen der Bio-Stütze, die sie für uns erwirtschaften.

Ich predige es schon seit Jahren: Die Robs werden den Planeten übernehmen. Wir Bios sterben aus. Wir müssen etwas dagegen tun! Viel zu lange haben wir die Entwicklung sehenden Auges hingenommen.
Schon vor der KI-Zeit gab es den Drang zu immer höheren Stufen der Automatisierung, immer anspruchsvollerer, leistungsfähigerer Technik.
Mit KI 2.0 waren alle noch besoffen von den märchenhaften Möglichkeiten. Obwohl – auch damals gab es schon warnende Stimmen. Jetzt ist es zu spät. Die Robs sind überall und sie haben die besseren Argumente. Vor allem ist ihr ökologischer Fußabdruck minimal.
Alles was sie brauchen, ist Energie. Jetzt haben sie ihre Oberfläche schon so optimiert, dass ihnen für den Normalbetrieb die Sonneneinstrahlung reicht. Wo soll das denn enden? Werden sie uns als nächstes zeigen, wie man fliegt?
Selbst die Erde wird zunehmend bewohnbarer. Das ist zwar nicht unser Verdienst, aber wir waren zuerst hier.
Sie haben uns vorgeführt. Warum begreift das keiner? Nun sollen wir zurückstecken, nur weil wir etwas zu großzügig gewirtschaftet haben?

Ich habe die Nase voll! Jemand muss sie stoppen. Ich mache den Anfang, dann werden meine Bio-Schwestern und -Brüder schon einsehen, dass wir endlich eingreifen müssen.
Ja, Homo sapiens braucht ein Fanal. Ich werde das KI-Zentrum für die Rob-Entwicklung plattmachen und alle Datenträger zerstören. 

Ich bin noch nicht einmal fertig mit meinen Vorbereitungen, da hat irgendein Sesselfurzer meine Einkäufe als verdächtig gemeldet, weil damit angeblich Sprengstoff hergestellt werden kann.
Ein Bio, ausgerechnet! Ist das zu glauben?
Weil ich auch den Eingriff ablehne, gelte ich nun als nicht mehr tragbar für die Gesellschaft. Zu meinem eigenen Schutz, sagen sie, müsse man mich einweisen.

In der Klapsmühle sind wir nun endlich unter uns. Wir könnten uns zusammentun und den Gegenschlag von hier aus planen.
Aber es gibt hier nur zufriedene Menschen. Ich bemerke es bei mir selbst schon nach wenigen Tagen: Der rebellische Geist schwindet. Mit dem letzten Rest meines kritischen Bewusstseins dämmert es mir: Wir Bios werden von dem Robs nur noch als interessante Haustiere gehalten.
Ich glaube, sie nutzen unsere große Schwäche. Wir müssen schließlich essen und trinken und das Essen ist wirklich ausgezeichnet.
Ich wüsste gerne mehr über die geheimen Zutaten, die hier alle so glücklich machen.

Version 3

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