Von Miklos Muhi

»Hier sind Ihre Papiere. In spätesten einer Woche melden Sie sich in diesem Militärkrankenhaus«, sagte der Offizier und legte einen Umschlag und eine Karte mit der Adresse auf den Schreibtisch.

»Danke, Sir!«, antwortete ich und versuchte, zu salutieren. Der stechende Schmerz in der rechten Schulter verzerrte mein Gesicht und führte zu einem unbeholfenen militärischen Gruß mit links.

»Ich habe zu danken und allen anderen in diesem Land. Ein Moment noch, Soldat«, murmelte er, drehte sich um und holte eine Mappe aus dem Schrank hinter ihm.

»Geben Sie das im Krankenhaus ab, damit die Kollegen genau wissen, was Ihnen fehlt und was für Behandlungen Sie schon erhalten haben. Leben Sie wohl.«

 

Auf dem Platz vor dem Ausgang des Hafenterminals hielt ich nach einer Mitfahrgelegenheit Ausschau. Es wimmelte von Menschen. Die meisten trugen Uniform.

 

»Hey, du, aus dem Weg, du …«, hörte ich hinter mir und drehte mich um. Vor mir stand ein junger Soldat mit einer Kiste in den Händen. Seine Aufmerksamkeit richtete sich auf meine linke Brustseite, dann hob er seinen Blick und schaute mich an.

»Entschuldige, Kumpel«, sagte er.

»Wofür denn?«, fragte ich und ignorierte, was er dabei war zu sagen. Ein Purple Heart* war in der Lage, auf der Stelle Respekt zwischen Uniformträgern zu schaffen.

»Wo willst du hin?«, fragte er.

»Dahin, wo es Taxis gibt.«

»Komm mit. Ich fahre dich zum Heeresamt in der Stadt. Da gibt es genug von diesen gelben Blutsaugern.«

 

Die Fahrt mit dem alten Jeep war etwas holprig, aber im Vergleich zum Kriechen im Schlamm der Reisfelder unter ständigem Beschuss und zu den Helikopterflügen in den fast sicheren Tod war sie eine Luxuskreuzfahrt.

 

Vor dem Heeresamt half mir Jamie, wie der Soldat aus Alabama hieß, aus dem Wagen.

»So. Hier fahren andauernd Taxis vorbei. Ich wünsche dir eine gute Heimreise und alles Gute.«

»Danke, Kumpel. Viel Glück!«

 

Ich setzte meinen Koffer ab und wartete. Bald tauchten einige Taxis auf. Trotzdem stand ich nach einer halben Stunde immer noch an der gleichen Stelle. Keiner der Fahrer hatte auch nur gebremst, vom Anhalten ganz zu schweigen.

 

Viel Zeit hatte ich aber nicht.

 

An der nächsten Ecke stand ein Polizeibeamter und regelte den Verkehr, um Fußgängern zu ermöglichen, die Straße zu überqueren. Ich nahm meinen Koffer in die Hand und lief zu ihm.

»Guten Tag, Sir. Können Sie mir bitte helfen?«

Wieder der unverständliche Blick ins Gesicht, dann auf die linke Brustseite. Medaille und Gipsverband, der den rechten Arm in der ganzen Länge bedeckt, wirkten.

»Guten Tag, Soldat. Wo liegt denn das Problem?«

»Ich bin gerade aus Vietnam zurück und muss dringend nach Hause. Die Taxifahrer scheinen an meinem Geld nicht interessiert zu sein.«

»Keine Sorge, das haben wir gleich«, meinte er und stellte sich auf die Straße. Mit eingeübten Bewegungen winkte er die überraschten Autofahrer durch, bis wieder ein gelber Wagen auftauchte. Den zog er aus dem Verkehr und trat zur Fahrerseite, wo gerade das Fenster heruntergekurbelt wurde.

»Gibt es ein Problem, Officer?«, fragte der Fahrer.

»Nein, aber es gibt eine Gelegenheit für Sie, Geld zu verdienen. Ich vermute, dass Sie interessiert sind.«

»Sicher doch. Wo wollen Sie hin?«

»Der Soldat hier will nach Hause zu seiner Familie kommen«, sagte der Polizist und zeigte auf mich.

»Mit Verlaub, Officer, ich muss ablehnen und ich weiß nicht, warum Sie sich darum kümmern.«

»Dieser Mann hat den Kopf für uns alle hingehalten und wurde dabei verwundet, während Sie und ich unser Leben weitergeführt haben. Reicht das als Begründung nicht aus?«

»Nein. Wenn es keine weiteren Angelegenheiten zum Regeln gibt, würde ich gerne weiterarbeiten.«

»Und wie soll er nach Hause kommen?«

»Der Nigger interessiert mich nicht«, antwortete der Fahrer und fuhr mit quietschenden Reifen davon.

 

»Es tut mir leid, Sohn. Ich kann ihn nicht dazu zwingen, Sie mitzunehmen.«

»Kein Problem, Officer. Trotzdem haben Sie vielen Dank«, murmelte ich.

»Was haben Sie vor?«, fragte er.

»Laufen. Mir bleibt nichts anderes übrig«, antwortete ich und marschierte los.

 

Es war schon mehr als zehn Monate her, dass ich so genannt wurde. Während der Grundausbildung war Hautfarbe ein großes Thema. Sobald aber alle vom Scheitel bis zu den Sohlen mit grauem Schlamm, rotem Blut und braunem Dreck bedeckt waren, wurde das zusammen mit anderen Spinnereien nebensächlich. Kugel, Granate und Bomben waren, genauso wie General Tod, farbenblind.

 

Meine Füße waren in Ordnung, so kam ich zügig voran. Die Gesichter wurden dunkler und die Schreie von Elend und Armut lauter. Autos gab es kaum, geschweige denn Taxis.

 

Bei Zivilisten funktionierten Uniform und Auszeichnung nicht immer. Gelegentlich hörte ich Onkel-Thomas-Rufe hinter mir. Vor dem Rekrutierungsbüro, wo ich mich freiwillig für den Frontdienst gemeldet hatte, kamen damals Drohungen dazu.

 

Man nehme tagtäglichen Rassismus, Aussicht auf Gleichberechtigung und Anerkennung, etwas Patriotismus, man mische alles zusammen. Gewürzt wird das Ganze mit Ängsten vor der Ausbreitung des Kommunismus und einer einseitigen Berichterstattung, und schon hatte man eine Menge Freiwillige, die ausgezeichnetes Kanonenfutter abgaben.

 

Dieses Mal hatten die Großmäuler nicht den Mut, die Sicherheit des Redens zu verlassen und sich zu zeigen. Recht so. Mit diesen Verletzungen und den Strapazen der Heimreise wäre eine Schlägerei zurzeit etwas einseitig ausgefallen, und das nicht zu meinen Gunsten.

 

Im Elternhaus war es still. In der Hitze des Spätsommernachmittags kamen in mir düstere Gedanken und Fragen auf. Die Antworten zusammen mit der Gewissheit würde ich gleich erhalten.

 

»Hallo. Bin wieder da«, rief ich und trat ein. Die Stimme meiner Mutter verdrängte die bedrohliche Stille.

»Endlich bist du zurück!«, sagte sie, rannte aus dem Wohnzimmer und umarmte mich.

»Nicht so stürmisch, Mutter.«

Sie ließ los, trat zurück und schaute mich von Kopf bis Fuß an.

»Wie geht es dir? Was ist passiert? Bist du hungrig?«, fragte sie.

»Wie geht es, Vater?«

»Er wartet auf dich.«

»Gehen wir zu ihm und ich erzähle euch alles.«

 

Vater lag im Bett im Elternschlafzimmer und hustete fast ständig.

»Ich freue mich, dich zu sehen, Sohn«, sagte er.

»Ich freue mich, hier zu sein.«

»Wie war es? Ich sehe, dass du verwundet bist. Was ist passiert?«

»Wir sind in einen Hinterhalt geraten. Viele waren verwundet, und ich bin zurückgegangen, um sie zum Hubschrauber zu bringen. Da erwische mich der Vietkong. Es wird eines Tages ausheilen, aber der Krieg ist für mich vorbei.«

»Hat man dich anständig behandelt? Gab es Probleme mit den Weißen?«

 

Ich schwieg kurz und suchte nach einer passenden Antwort.

 

Die Beschimpfungen schmerzten immer noch. Doch Percy, ein weißer Soldat, starb, als er mich aus der Schusslinie zog. Wir kämpften, aßen und litten monatelang zusammen. Dass ich hier war, zeigte, dass jeder sein Bestes gab.

 

Vater hatte für seine letzten Stunden und Tage Ruhe und Heiterkeit verdient. So holte tief Luft und antwortete:

 

»Nein, Vater. Die Zeiten sind endgültig vorbei.«

Er lächelte und hustete wieder. Ich versuchte, nicht zu weinen in dieser fremden, merkwürdig stillen und sauberen Heimat.

 

* https://de.wikipedia.org/wiki/Purple_Heart

 

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