Von Helmut Blepp

Im Revier ist es ungewöhnlich ruhig für einen Freitagnachmittag. Michler ist in der Ambulanz des Hafenkrankenhauses, um sich ein Furunkel am Po entfernen zu lassen, wie Prokop mit einem süffisanten Grinsen mitgeteilt hat, und der Dienstälteste selbst ist in geheimer Mission unterwegs. 

Revierleiter Olsen macht heute einen ziemlich aufgeregten Eindruck, obwohl Phlegma eigentlich sein zweiter Vorname ist. Als Prokop mit einer großen Tüte vom Supermarkt ins Revier kommt, hinkt er ihm mit seiner Orthese am rechten Knie entgegen, zieht ihn hastig in die Umkleide und fragt: „Na, hast du alles gekriegt?“ 

„Klar, kein Problem“, erwidert Prokop aufgeräumt. „Sogar frische Gambas direkt vom Eis. Aber sag mal: Wozu brauchst du denn einen Fön? Du hast doch `ne Glatze.“ 

„Schon. Aber nicht immer.“ 

„Wie bitte!“ 

„Eben nicht heute.“ Olsen windet sich. „Lisa weiß noch nicht, dass ich oben blankziehe, verstehst du? Deshalb habe ich mir ein Toupet besorgt. Der Fön und das Haarwachs sind nur Tarnung, falls sie einmal ins Bad muss.“ 

„Das glaube ich ja nicht! Du lädst deine Internet-Bekanntschaft zum ersten Rendezvous in deine Wohnung ein, weil du wegen Arth … eines Sportunfalls kaum laufen kannst. Und dann erwartet sie womöglich einen blondgelockten Adonis. Wie das?“ 

„Nun, das Foto, das ich ihr geschickt habe, war nicht ganz aktuell.“ 

„Lass mich raten.“ Prokop kann ätzend sein, wenn er will. „War es eins von deiner Konfirmation?“ 

„Du Arsch“, ereifert sich Olsen, aber eher hilflos. „Ich sehe darauf aus wie jetzt, nur leicht retuschiert.“ 

„Und wie willst du der Dame irgendwann deine Wandlung zur Billardkugel erklären, falls das etwas Ernstes mit euch werden sollte?“ 

„Vielleicht hormonelle Probleme“, schlägt Olsen zaghaft vor, und es klingt eher wie eine Frage. 

„Nicht meine Baustelle“, stellt Prokop kategorisch fest und wendet sich zum Gehen. „Ich wünsche dir alles Gute für heute Abend.“ 

 

Zwei Tage später besucht Prokop seine Kollegen im Krankenhaus. Michler liegt auf der Seite und grinst gequält zur Begrüßung. 

„Alles am Arsch, was?“, stellt Prokop wenig empathisch fest. 

Dann wendet er sich Olsen zu, den es schwer erwischt hat. Am rechten Bein nach wie vor die Orthese. Ein Verband am linken Knie. Der linke Arm, offenbar gebrochen, in einer Schiene. 

„Du, Michler“, sagt Olsen mit leidender Stimme, „hole doch deinem Kollegen mal einen Kaffee.“

„Hier in der Abteilung ist aber der Automat kaputt. Da muss ich ja extra runter in die Halle.“ 

„Dann tu das doch bitte“, entgegnet Olsen, um einen strengen Ton bemüht. 

Michler rollt sich fluchend auf den Bauch und schiebt sich dann vorsichtig aus dem Bett. Er wirft seinen Morgenmantel über und verlässt den Raum. Als er draußen ist, fragt Prokop:

„Was ist denn mit dem?“ 

„Der kleine ambulante Eingriff hat sich entzündet. Und stell dir vor: das war gar kein Furunkel. Eine Schwester hat mir gesteckt, dass er sich ein Tattoo hat entfernen lassen.“ 

„Na, so was“, tut Prokop überrascht. „Was es alles gibt. Aber jetzt sag mal! Was ist denn mit dir passiert?“ 

„Dumme Geschichte. Deshalb habe ich ihn ja rausgeschickt. Muss nicht alles wissen, der junge Kerl.“ 

„Verstehe! Aber jetzt erzähle schon. Als ich dich das letzte Mal gesehen habe, warst du noch voller Vorfreude auf den Damenbesuch, den du bekochen wolltest. Und dann?“ 

„Ach, es lief alles prima. Großartige Frau, genauso, wie ich sie mir aufgrund unserer Korrespondenz vorgestellt habe. Und sie sah umwerfend aus. Grüne Augen, rotes Haar. Ein Traum! Natürlich tranken wir gleich mal Sekt zur Begrüßung. Dann habe ich das Essen serviert. Pikanter Avocado-Salat mit Feigen, und die Gambas waren auf den Punkt gegart. Natürlich gönnten wir uns dazu noch ein Gläschen Sekt und wurden langsam lustig.“ 

„Das klingt doch alles toll. Aber warum hat sie dich dann verhauen?“ 

„Danke! Sehr komisch“, ereifert sich Olsen. „Sie hat gar nichts gemacht. Ich habe halt irgendwann das Geschirr in die Küche gebracht und machte mich daran, das Dessert vorzubereiten. Die Schokotörtchen waren fertig. Also holte ich die Sprühsahne aus dem Kühlschrank, und wollte gerade die Espressomaschine anwerfen, da ging es los.“ 

Er machte eine kleine Kunstpause. 

„Plötzlich überfiel mich ein Jucken, so furchtbar, das glaubst du gar nicht. An den Armen, am Leib, im Schritt. Und am allerschlimmsten auf dem Kopf. Ich wurde fast verrückt. Da habe ich mir in meiner Not das Toupet runtergerissen; half aber nichts. Ich in Panik, griff mir die kalte Sahne und sprühte sie mir auf den Schädel. Die Hälfte landete auf dem Boden. Das war mir in dem Moment aber egal. Hauptsache, Linderung!“ 

„Und dann?“ Prokop wartete gespannt.

„Super-GAU! Plötzlich stand sie in der Tür, sah mich da rotieren mit der Sahne auf der Glatze, sah die Sahne auf dem Laminat. Dazwischen das Haarteil. Es war so peinlich!“ 

„Und was machte sie?“ 

„Oh, sie schaute mich nur an, sagte kein einziges Wort. Aber dieser Blick! Nach einer gefühlten Ewigkeit, in der ich gezwungen war, mich hilflos hier und da zu kratzen, drehte sie sich einfach um, nahm in der Diele ihre Handtasche und ihren Mantel – und verließ grußlos die Wohnung.“ 

„Herrje, das ging aber mal richtig in die Hose! Jetzt weiß ich aber immer noch nicht, wie es dich hierher verschlagen hat.“ 

„Na ja, ich war völlig frustriert. Kannst du dir ja denken. Also ließ ich mich auf einen Küchenstuhl fallen und schabte an mir herum, bis das Jucken endlich nachließ. Schließlich habe ich die zweite Flasche Sekt aufgemacht …“ 

„… und dir ordentlich einen gegeben“, ergänzte Prokop. „Bist dann wohl besoffen vom Stuhl gefallen?“ 

„Nein, wo denkst du hin! So betrunken war ich gar nicht. Irgendwann hat es aber an der Tür geklingelt, und als ich aufgestanden bin, um nachzusehen, wer so spät noch etwas von mir will, bin ich auf der scheiß Sahne ausgerutscht. Ich stürzte hart auf die linke Seite, und mir gingen die Lichter aus. Als ich wieder zu mir kam, schleppte ich mich zu meinem Handy und rief die 112.“ 

„Diagnose?“ 

„Leichte Gehirnerschütterung. Im linken Knie alle Bänder hin. Am Arm die Elle gebrochen.“ 

„Und das Jucken?“ 

„Avocado-Allergie. Wer ahnt denn so was! Ich habe das Zeug vorher noch nie gegessen, ist ihr Wunsch gewesen.“ 

„Wenn alte Esel Hengst sein wollen! Und wie lange bist du nun weg vom Fenster?“ 

„Sechs bis acht Wochen dienstunfähig, meint der Arzt. Kommt auf den Heilungsverlauf an.“ 

„Schön! Ich gebe solange den Chef im Revier. Kein Problem!“ 

„Das werde ich nicht verhindern können“, grinst Olsen wohlwollend. „Aber tue mir einen Gefallen: Wenn unser junger Freund nächste Woche wieder seinen Dienst antritt, trete ihm mal kräftig in den Hintern für seine Flunkerei.“ 

„Den Teufel werde ich tun. So wie der gebaut ist, staucht er sich den Steiß dabei und landet wieder hier.“ 

Beide lachen lauthals und überhören deshalb das Klopfen an der Tür. Sie schauen überrascht, als Leder-Ede eintritt, einen riesigen Blumenstrauß in den tätowierten Armen. Er legt ihn auf Michlers Bett ab. 

„Hallo, Herr Chefwachtmeister“, ruft er dann aufgeräumt. „Alles fit im Schritt? Ich habe gehört, dass ein Trecker Sie überrollt hat. Dafür sehen Sie aber noch verdammt gut aus.“ 

„Lass mal, Alter“, wirft Prokop ein, bevor Olsens Ede-Allergie ausbricht. “Alles im grünen Bereich!“ 

Er betrachtet den Stammkunden des Reviers genauer. Wie immer, viel bilderreiche Haut, mit wenig Leder drapiert, auffällig ein neues Schmuckstück. 

„Sag mal, Ede“, fragt er dann, „hat man Goldkettchen früher nicht um den Hals getragen statt an den Brustwarzen?“ 

„Reifere Herrn vielleicht!“ Ede ist richtig begeistert von seiner neuesten Errungenschaft. „Das hier ist ein Nippel-Collier. Letzter Schrei! Die Szene kauft wie blöd.“ 

„Danke für die Blumen“, meldet sich jetzt Olsen zu Wort, um ein Thema zu beenden, das ihm gar nicht liegt. 

„Nee, die sind nicht von mir“, wehrt Ede ab. „Ich habe vorhin in der Halle eine nette Dame getroffen, und als ich an der Pforte gefragt habe, wo ich Olsen, den Superbullen, finde …“, Olsen zuckt, bleibt aber ruhig, „… da hat sie mich angesprochen und mir das Gemüse in die Hand gedrückt. Ich wollte sie mit hochbringen, aber sie hat sich geziert, will ein andermal wiederkommen.“ 

„Das ist aber schade“, bedauert Prokop. „Ich hätte die Dame gern kennengelernt.“ 

Er betrachtet sich den üppigen Strauß genauer. 

„Da hat sie sich nicht lumpen lassen“, stellt er fest. „Ja, und hier scheint eine Nachricht zu sein.“ 

Er zieht einen Umschlag zwischen den Blumen hervor und hält ihn Olsen hin. Der winkt ungeduldig ab. 

„Mach du ihn auf. Ich habe nur eine Hand frei.“ Olsen weist mit der Rechten auf den geschienten Arm. 

Prokop tut wie geheißen. Er zieht eine Karte aus dem Umschlag hervor, klappt sie auf und liest. Dann hält er sie an seine Nase. 

„Flieder, schätze ich.“ 

„Verdammt, meine Lesebrille liegt zuhause“, sagt Olsen verärgert. „Na, mach schon! Lese laut vor!“ Und an Leder-Ede gewandt: „Du schaltest Deine Ohren auf Durchzug, klar!“ 

„Aye aye, Herr Oberchefwachtmeister“, bestätigt Ede und deutet eine misslungene Habachtstellung an. 

„Prokop räuspert sich gekünstelt und liest: 

„Hallo, Mein Lieber!

Das mit Deinem Unfall tut mir schrecklich leid. Ich hoffe, Du kommst bald wieder auf die Beine. 

Bitte, verzeih, dass ich mich am Freitagabend so kindisch verhalten habe. Ich war einfach verwirrt. Doch ich bin bald nach meinem Abgang zurückgekehrt und habe bei Dir geklingelt, hast aber leider nicht aufgemacht. Ich freue mich auf ein nächstes Mal. Okay?

Herzlichst, Lisa

P.S.: Unter meiner roten Perücke bin ich übrigens naturblond!“