Von Claudia Grothus

Im Museum der Weltgeschichte hängt ein neues Kunstwerk. Zigfach hat es auf digitalen und gedruckten Wegen den Globus umrundet. Und es entblößt die Lage bis auf die Knochen. Bodenlos abgründig in dem, was es zeigt, ohne es abzubilden.

Zwei Männer inmitten überwältigender, imperialer Architektur. Ein ehrfurchtgebietender Ort, an dem Stimmen leise widerhallen. Wir hören das entfernte, tiefe Wispern der beiden, wie es sich zwischen den Marmorsäulen fängt, sich an immensen Türflügeln bricht und dann, wie ein Windhauch in der lichten Weite des Raumes in nichts auflöst.

Die riesige Halle sieht keine Sitzgelegenheiten vor. Aber sie wurden trotzdem hingestellt – provisorisch. Diese zwei Männer kann man nicht stehen lassen während ihrer Unterhaltung, die – letztendlich doch keine – Geschichte schreibt. Und so hat man die nur scheinbar schlichten, brokatbezogenen Stühle einander gegenüber auf den blanken Boden gestellt. Ein Boden aus sorgsam gewähltem und meisterlich bearbeitetem Marmor: gigantische Intarsien in einem immensen Rund. 

Ob es dort kalt ist, bei all dem Gestein? 

Die Männer sitzen einander nah und vorgebeugt gegenüber. Es fehlt nicht viel und ihre Knie würden sich berühren. Beide haben den vollen Fokus auf dem Anderen. Der Rechte, ganz in Schwarz, sitzt nicht auf der gesamten Fläche des Stuhls, sondern etwas weiter vorne, was ihm die Möglichkeit gibt, seine Füße fest auf den Boden zu stellen. Der andere nimmt die ganze Tiefe des Sitzes ein und berührt nur mit den Fußballen den Untergrund. 

Die Gestalt des Mannes in Schwarz zeigt vitale Spannung, sein Gesicht fast flehende Erwartung. Er ist nicht gerade festlich gekleidet, womit bei einem solchen Ort, einem solchen Anlass eigentlich zu rechnen wäre. Kein Jackett, sondern eine funktionale Jacke mit Kragen und breiten Brusttaschen, darunter ein hochgeknöpftes Hemd. Die derben Schuhe würden auch einer Wanderung über ein Schlachtfeld standhalten. 

Seine Hände in einer offenen, aber wenig offensiven Geste. Er scheint etwas zu erklären, was keiner Erklärung bedarf oder was schon vielmals erklärt wurde. Er bittet, er fragt, aber seine Haltung zeigt keine Demut. Sie zeigt, dass er eine Mission hat und nichts zu verbergen. Auf jeden Fall aber Überlegenheit – an Würde.

Der andere in diesem ewigen Dunkelblau, das seinen aus der Form geratenen Körper zu kaschieren versucht. Die salonfeinen Schuhe glänzend poliert – auf keinen Fall von ihm selbst, versteht sich. Er hat die Finger locker verschränkt. Seine Schultern und sein Kopf mit dem schütteren, aufgeblasenen Haar hängen mehr an seinem krummen Rückgrat, als dass sie davon getragen werden. Wenn man es wohlwollend einschätzen würde, dann ist sein Ausdruck am ehesten väterlich, oder wie von jemandem, der eine Beichte abnimmt. Auf jeden Fall aber überlegen – an Macht.

Gebannt beobachtet der Betrachter die Spannung zwischen diesen beiden Männern. Ein ikonografisches Bild. Fast wirkt es gestellt, inszeniert in seiner Symmetrie und der übertriebenen Pracht der Umgebung.

Aber da ist noch etwas zu sehen. Ein Schlüsselmotiv im Hintergrund. Denken wir es uns weg, wird das Bild sofort fade, als hätten wir Ähnliches schon tausendmal gesehen. 

Es ist die Rückenansicht eines dritten Mannes. Sein Kopf ist vom oberen Bildrand abgeschnitten. Dieser Kopf ist nicht wichtig. Der Mann ist in eine schwarze, bodenlange Soutane gekleidet und trägt darüber eine breite, glänzend purpurne Schärpe. Seine Gestalt befindet sich in einer vitalen Bewegung. Gerade in dieser Sekunde stellt er einen dritten brokatbezogenen Stuhl an der marmornen Wand ab. Diese kleine Szene hinter dem Hauptmotiv, bildet die narrative Substruktur des Gesamtkunstwerks.

Die eine bedeutende Sache ist der dritte Stuhl, der weggetragen, nicht mehr benötigt wird. Jemand, der dort, mit den beiden anderen Männern hätte sitzen sollen, ist nicht da. Ein Plan, ein Vorhaben, eine Verabredung ist geändert worden. Es geht hier nur um diese beiden. Das verbindet sie – auch wenn sie sonst wenig Gemeinsames zu teilen scheinen. Nur diese zwei haben wichtige – immens wichtige! – Dinge zu besprechen und wir alle können sie dabei nur in der Momentaufnahme dieses Kunstwerks sehen. Wir erfahren kein Wort davon, was sie einander zu sagen haben. Wir sind ausgeschlossen aus diesem wichtigen Gespräch. Genauso wie die Person, für die der überzählige Stuhl gedacht war. 

Die andere bedeutende Sache ist, dass der Mann im Hintergrund als Konglomerat aus den beiden sich gegenübersitzenden Mächten fungiert: Er ist geprägt durch das Dienen für einen übergeordneten moralischen Wert einerseits und die Vertretung einer alten, wie ein Berg mit den Grundfesten der Geschichte verwurzelten, patriarchalen Ordnung andererseits. 

Und ich stehe hier im Museum der Weltgeschichte und betrachte dieses Bild mit weiblicher Resignation. 

Ihr werdet es wieder einmal verkacken! 

 

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