Von Raina Bodyk
„Edwina, hast du schon gehört, dass Onkel Dunston seinen herrlichen Park völlig umgestalten will?
„Im Ernst?! Ich mag die geometrische Form seiner Ziergärten und die kunstvoll zugeschnittenen Büsche und Bäume gerade so, wie sie sind. Sie wirken auf mich so geordnet und klar. Wie gern gehe ich darin spazieren und lausche dem Gezwitscher der Vögel!“
„Stell dir vor, er will die Natur sich selbst überlassen!“
„Oh je, Ivy. Er hat wohl zu viel Rousseau gelesen. Mein Cedric spricht auch dauernd davon. Wir müssten weg von der Künstlichkeit und die Natur, so wie sie ist, als Kunstwerk betrachten. Was dabei wohl Gescheites herauskommen soll!“
„Ein Dschungel natürlich!“, grinst ihre Schwester „Das ganze Dorf schwätzt schon darüber. Anscheinend machen noch andere diese neue Modetorheit mit.“
*
„James!“, ruft Earl Dunston Russell seinen Butler. „Was machen die Arbeiten im Park?“
„Mylord, es geht sehr gut voran. Noch vor Sommerbeginn sollten die Gärten fertig sein.“
„Das freut mich zu hören. Schick mir doch mal den Aufseher der Gartenarbeiter her. Ich hatte heute Nacht eine wundervolle Idee!“
Als dieser in der Tür erscheint, platzt der prunkverliebte Earl sogleich mit seinem Plan heraus: „Henry, wir müssen noch Teiche anlegen, eine verwitterte Ruine, kleine Brücken und wir brauchen unbedingt eine felsige Grotte. Diese darf ruhig etwas unheimlich wirken. Das wird die Besucher umhauen!“
„Vielleicht auch ein kleines Tempelchen? Kleine Hügel sind bereits aufgeschüttet und kristallklare Bäche plätschern schon.“
„Ja, ja, nur zu. Wir werden die anderen Landbesitzer ausstechen! Mein Garten muss der beeindruckendste und am Häufigsten besuchte werden und doch zugleich ein Ort der Besinnlichkeit und Meditation.“
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„Schau mal, Ethel, diese Anzeige habe ich in die Zeitung setzen lassen.“
Seine Gattin schaut Dunston über die Schulter und wundert sich: „Du suchst einen Einsiedler, der bei uns im Park hausen soll? Wozu das denn?“
„Atmosphäre! Atmosphäre ist das Allerwichtigste. Stell dir nur vor, wenn so ein Mann hier wohnt, in der Höhle, die ich dir gestern gezeigt habe. Das wird großes Aufsehen erregen!
Ich stelle mir einen Greis vor, der sich ganz der Kontemplation und dem Gebet hingibt. Er soll ein abgewetztes, löchriges Gewand aus Ziegenfell tragen, weder seinen Bart, das Haar oder die Nägel schneiden und sich höchstens im Bach vor seiner Hütte waschen dürfen. Keine Schuhe. Er bekommt nur eine Brille, eine Bibel und eine Sanduhr als Zeichen der Vergänglichkeit. Es wird großartig werden, einfach brillant. Vertrau mir! Vielleicht noch ein paar Tierknochen an den felsigen Wänden? Dazu passend eventuell ein menschlicher Schädel auf dem Tisch? Nahrung wird ihm natürlich gebracht werden, denn er darf seine Höhle nicht verlassen.“
„Aber Schatz, warum sollte sich denn jemand so etwas antun?“
„Nun, ich denke, 500 bis 700 Pfund Sterling, je nachdem, wie gut er seine Rolle spielt, sollten ein verlockendes Angebot für sieben Jahre Eremitendasein sein.“
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Edwina und Ivy besuchen Onkel und Tante. Sie sind unendlich neugierig, was der Earl mit seinem Park angestellt hat. Dunston Russell führt sie mit stolzgeschwellter Brust herum.
„Onkel, das sieht ja fantastisch aus! Besonders die kleine Kirchenruine da hinten ist sehr beeindruckend.“
„Aber das Beste habt ihr noch nicht gesehen!“, schmunzelt dieser. „Ihr werdet begeistert sein.“
Über einen schmalen, von dichten Laubbäumen gesäumten Pfad führt er sie zu einer Felsgrotte, deren Öffnung so niedrig ist, dass man sich zum Eintreten bücken muss. Die Höhle ist überwuchert von dicken Wurzeln, Moos und Efeuranken. Edwina und Ivy wird es ganz warm ums Herz. Alles wirkt so romantisch und idyllisch, wie nicht von dieser Welt. Der Earl genießt ihre offensichtliche Begeisterung.
Um sich anzukündigen, zieht er an einem Seil mit einer tönernen Glocke. Drin erblicken die jungen Frauen einen Greis in zerlumpter, schmutziger Kleidung. Hier endet jegliche Romantik für die Nichten. Die Szene erscheint ihnen eher gruselig. Sogar ein Schädel liegt auf dem Tisch! Die beiden überläuft ein kalter Schauer.
Dem alten Mann fällt sein schütteres Haar lang über die Schultern. Sein grauer Bart wallt auf seine Brust. Er sitzt auf einem aus dicken Ästen gezimmerten Stuhl vor einem schmalen, ebenfalls hölzernen Tisch. Er scheint ganz versunken in ein dickleibiges, reich bebildertes Buch. Seine Bibel.
„Guten Tag, Herr!“ grüßen die Frauen den Alten. Er nickt nur und liest weiter.
Der Onkel klärt sie auf: „Das ist unser Einsiedler. Er hat sich in die Stille der Natur zurückgezogen, will nichts mehr von den Reizen und Ablenkungen des Lebens wissen. Er meditiert, liest in der Bibel und lebt ganz einfach im Rhythmus der Natur. Er schneidet sich weder Nägel noch Haare. All das sind für ihn Äußerlichkeiten, die gegenüber dem Gespräch mit Gott nur eitel erscheinen.“
„Oh je!“, schüttelt sich Ivy. „So möchte ich aber nicht leben. Und ob es Gott gefällt, wenn jemand so schmutzstarrend herumläuft? Das bezweifle ich.“
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Zurück im Schloss fragt die wissbegierige Edwina: „Tantchen, ist es wirklich gottgefällig, so ungepflegt herumzulaufen wie der Graukopf?“
„Ich hoffe, Gott hat einen besseren Geschmack, meine Liebe. Aber so stellt sich eben alle Welt einen Einsiedler vor. Heutzutage scheint mir die Gesellschaft ein wenig müde geworden, immer nur zu repräsentieren, die gesellschaftlichen Zwänge und Regeln beachten zu müssen, sich stets um den äußeren Schein bemühen. Vielleicht hat sie ein uneingestandenes Bedürfnis, nach ein wenig Stille, mehr Natur, weniger Oberflächlichkeit.
So ein Eremit ist ein Symbol dafür. Er lässt uns unsere Eitelkeiten spüren und mag uns dazu auffordern, an unsere Sterblichkeit zu denken.
„Außerdem“, spottet sie lächelnd, „seitdem jeder, der Wert auf Anerkennung legt, den eigenen Besitz vorzeigen und damit prahlen will, ist so ein Klausner das beste Mittel dazu. Und sich als Liebhaber der Natur und Philosoph, der über die Vergänglichkeit alles Irdischen nachdenkt, zu präsentieren, schmeichelt dem eigenen Selbst schon sehr!“
„Tante! Du redest von deinem Mann, unserem Onkel!“
„Ich weiß. Er ist ein guter Ehemann, aber ich bin nicht blind gegenüber seinen Schwächen. Solange seine närrischen Einfälle niemandem weh tun, lasse ich ihm gern seinen Willen. Das ist ein sehr erfolgreiches Rezept für die Ehe! Das werdet ihr auch noch merken.“
Die beiden jungen Damen sehen sich nur an und zucken unbeeindruckt die Schultern.
Außerdem gibt es viel Spannenderes zu berichten:
„Zwei unserer Nachbarn, Earl Bedford und der Duke of Portland, haben ihre Parks auch umgestaltet“, erzählt Ivy. „Wer etwas auf sich hält, will heutzutage einen ‚Ornamental Hermit‘. (1) Aber Onkels Einsiedler wirkt am Überzeugendsten. Der Alte von Mr. Bedford darf auf dem Gelände herumlaufen und spricht mit den Bediensteten. Er wirkt gar nicht echt!“
Tante Ethel erzählt, dass ein Edelmann in Norfolk einen sprechenden Automaten statt eines Eremiten aufgestellt haben soll, weil er niemanden fand, der diese Anstellung haben wollte.“
„Nein! Wie soll das denn gehen?“
„Ganz einfach, derjenige soll eine menschengroße Puppe mit beweglichem Mund in seine Einsiedelei gestellt haben. Ein Diener steht hinter einem Vorhang, bewegt den künstlichen Mund, wie, weiß ich nicht, und spricht zu den Besuchern.“
Die jungen Damen schütten sich aus vor Lachen. „Dem Himmel sei Dank, dass Onkel Dunston nicht darauf gekommen ist!“
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Neugierig, wie der Mensch nun einmal ist und hungrig nach aufregenden Neuheiten, wird Mylords Garten zu einem echten Magneten und zieht viele Besucher an. Wer es wagt, der stellt Fragen an den Klausner, närrische, einfältige oder sogar kluge. Der blättert in seiner Bibel und findet für jedes Problem einen frommen Spruch, passend oder nicht. Nach diesem Besuch fühlen sich die übersättigten Müßiggänger irgendwie reiner, beseelter und ja, gar uneigennütziger.
Der Earl ist ebenfalls äußerst zufrieden. Jeder kann seinen Reichtum, seine gesellschaftliche Stellung und vor allem seinen exzellenten Geschmack bewundern. Er badet geradezu in der Ergriffenheit und Erschütterung der Besucher. Man weiß nicht, wer bei diesen Gelegenheiten sentimentaler wird, der Besitzer oder die Gäste.
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Der Eremit ist hingegen wenig beeindruckt von seinem Erfolg. Für ihn dehnt sich die Zeit ins Unendliche. Er gibt sich keinen Illusionen hin. Er weiß genau, was er den Leuten wert ist – nämlich nichts. Er ist nur eine lebende Dekoration.
Wenn nicht so ein hoher Gewinn, von dem er bis an sein Ende gut leben könnte, in der Zukunft winken würde, hätte er längst aufgegeben. Seine Tage vergehen so öde und stumpfsinnig, dass er ganz teilnahmslos geworden ist.
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„Ah, unser Einsiedler ist wieder da. John, gib ihm ein Pint Porter. Ist es dir langweilig geworden, Alter?“
„Was denkst du denn?! Sitz du mal Tag für Tag in so einem Loch, sag entweder gar nichts oder beantworte dämliche Fragen nach der Ewigkeit. Was soll ich davon wissen? Das einzig Gute ist das sehr anständige Essen aus dem Schloss. Da gibt es nichts zu meckern. Wenn ich nicht immer mal wieder im Dunkeln hierher ins Wirtshaus flüchten könnte, wäre ich längst verschwunden. Das ganze natürliche Kunstwerk des Earls ist eine Fälschung, ein einziger Unsinn, wenn ihr es wissen wollt. In sieben Jahren kann sich der Earl zum Teufel scheren! Dann trink ich jeden Tag so viel Porter, wie ich will.“
„Dann gib mal gut acht, nicht erwischt zu werden! Aber erst mal Prost! Auf den Rückzug aus der Zivilisation. Hähähä!“
- Im Deutschen ist die Bezeichnung Schmuckeremit gebräuchlich. Es gab sie vom 17. Jahrhundert bis ca. 1830. Ein paar wenige auch im restlichen Europa..
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