Von Kornelia Wulf

Ich stelle mein Fahrrad auf der grauen Fläche ab. Auch an diese Gefährte hatte Arnd beim Bau der Firmengarage gedacht und ein Deck für sie eingeplant. Mein Willi steht heute ganz einsam hier, nur zwei Bikes ruhen in Ständern weit entfernt von ihm. Sanft streicht meine Hand über den Sattel. „Bis bald“, wispere ich, „es dauert nicht lang. Und versprochen. Zuhause gibts es eine Extraportion. Von deinem Lieblingsöl.“ Kein Wunder, dass die Kollegen das Auto wählten. Das Wetter ist wirklich zum Fellauswringen. Feuchter Nebel hängt schwer über Dächern und Straßen. Feiner Niesel perlt über Stirn und Nasen. Und kein Scherz, nein, ganz ehrlich – auf dem Weg zur Arbeit konnte ich von Olga fast nur das Euter sehn, die auf der Wiese meines Nachbarn weidet. Mir stets zumuht, wenn ich winkend an ihr vorbei radele. Ich steige die Stufen zum ersten Stockwerk hinauf, meide den Fahrstuhl. Zu viele Stimmen, die vom Erdgeschoss hinunterschallen. Die Enge kann ich gar nicht leiden. Besonders heute, eingepfercht zwischen feuchten Jackenleibern, in denen sich dampfender Körperduft sammelt. Am Ziel angekommen betrete ich den Flur. Ein Hüsteln und Rascheln zischt aus den Büros. Rasch schlüpfe ich durch die weiße Tür, gleich die erste rechts von mir. Mein Blick streift die schwarze Gestalt auf dem Schild. Die mit dem Dreieck zwischen Punkt und Strichen. Gottseidank hat Arnd das Unisex-WC wieder abgeschafft. Und mich von den hässlichen Krämpfen erlöst, die sich beim chronischen Einhalten einstellten. Denn in den intimen Momenten des Fließenlassens fühlt sich nicht jeder wohl mit der Kabinennachbarschaft. Langsam pelle ich mich aus der Plastikhülle. Wasser tropft zu einer kleinen Pfütze, als ich den Regenoverall an der Trennwand aufhänge. Mein Körper fühlt sich an wie ein feuchter Schwamm. Die Hände fest gestemmt in die weichen Seiten, als versuchten sie die Konturen zusammenzuhalten, taucht etwas Bleiches vom Seelengrund auf.

Warum denke ich jetzt nur an Wasserleiche? Verdammt!

Rasch wische ich mit dem Papiertuch die Achseln trocken, wühle in der Tasche nach dem Deo. Während der Roller durch die haarlose Höhle gleitet, versuche ich die Nase auf Distanz zu halten. So schmutzig süß, der Schweiß. Manchmal kann ich meinen Geruch echt nicht leiden. Ein kühler Luftstrom über Schulter, Rücken, bevor ich mit Ruck das Shirt hinunterziehe und Britts Gesicht sich vor mir in der Glasfläche spiegelt.

„Hey, Mara.“ Ihr Blick schwimmt in der Pfütze. „Wieder zwanzig Kilometer durchs Treibhaus geradelt?“ 

Zwischen roten Strähnen dehnt sie die Mundwinkel breit, schickt mir ein Lächeln, das leicht wie ein Flummi herüberhüpft. Mit entspannter Miene versuche ich, es aufzufangen. Britt und ich. Wir kennen uns schon lange, haben gemeinsam in Arnds Firma begonnen, letztes Jahr im Mai, wohnten Tür an Tür in einer WG zusammen. Das crazy Duo nannten uns alle, wenn wir die Nacht zum Tag umwandelten. Ein Pas-de-Deux in Moonboots unter der Isar-Brücke tanzten. 

„Lass uns gemeinsam Mittag machen. Beim Chez Max.“

Ich deute auf das WC-Fenster neben uns. Spüre einen zarten Sonnenstrahl in mein Befinden eindringen, der den Nebel zum Aufgeben zwingt.

„Eigentlich wollte ich im Park ein Sandwich essen.“ 

„Okay, dann der Hummus Bagel aus der Kantine.“ Seufzend kneift mit zwei Fingern in ihre Hüften. „Vielleicht auch besser für das Gewichtsmanagement.“ 

Gemeinsam noch ein Stück über den Flur.

„Um eins.“, höre ich sie rufen, bevor die Bürotür sich hinter ihr schließt.

Ein paar Schritte weiter der Griff in die Businesstasche. Vorgang Stur liegt vor mir auf dem Schreibtisch, als ich ein knappes Klopfen höre. Zwei Becher in der Hand kommt Arnd auf mich zu. Der Röstduft weckt alle Sinne in mir.

„Voilá, erstmal dein Kaffee. Denkst du an das Meeting um zehn? Antrag Stur steht zur Diskussion.“ 

Schweigend nimmt er einen Schluck.

„Ach, Mara, ich vermisse dich hier.“ Wie ein meditierender Dackel legt Arnd die Stirn in Falten. „Du bist mein bestes Pferd im Stall. Siehe Fall Stur. Schier unglaublich, wie du alle Hürden mit dem gemanagt hast.“

Ich spüre seinen Blick. Er haftet mit Saugkraft in meinem Gesicht, bevor ich hastig die Lider senke, ihm einen My zu spät den Rücken zuwende die Tasse auf dem Schreibtisch abstellend. 

Mit schleppender Stimme durchbricht Arnd die Stille, die sich wie ein schlammiger Graben zwischen uns ausweitet. „Hm … ich muss jetzt zu Britt. Aber versprich mir, dass du es dir überlegst.“

Seufzend lasse ich mich auf den Drehstuhl fallen. Nehme einen Schluck vom nun lauen Kaffee, der meine Zunge tranig umpült. 

Wir hatten doch eine Vereinbarung getroffen nach meinem Umzug.

Er hatte er den Vorschlag doch abgenickt, die Stunde Anfahrt in Arbeitszeit zu investieren. Mich sofort nach dem Müsli an den heimischen Schreibtisch zu setzen und mit ihm und den Kollegen zu vernetzen. Mit dem Home-Office hätten wir ja  Erfahrung, sagte er, nur am Mittwoch unserem Meeting müsse ich kommen.  

„Aber – dass gerade du danach fragst“, schob er nach, nachdem ich den inneren Stein schon rollen hörte. „Du, stets die Letzte an jedem Abend, als seist du mit dem Bürostuhl eine Symbiose eingegangen. Und was hat dich Stadtpflanze nur in dieses Kaff gezogen?“ Ich drehte die Daumen umeinander, fühlte mich wie ein Hamster im Kreisel gefangen, etwas von reduzierterem Lifestyle murmelnd und diesem Quatsch von mehr Zeit für sich selber.

***

Um uns im Stadtpark – pure Stille. Britt zerstört sie mit einem Gesinge, das meine Nerven zum Schreien bringt. Gepresste Lautfetzen entfliehen ihrer Kehle, die entfernt nach Currywurst klingen. Als blockiere ein Tennisball die weiten Töne. Britts Finger in meiner weichen Seite. „Komm!“ kiekst sie, auf die Bank vor dem Weiher zusteuernd. Ich spüre eine Schweißflut Schulter abwärts rinnen, das Shirt an meinen Brüsten festkleben, den Blick auf voluminöse Bäuche gerichtet, die phlegmatisch auf dem Wasser schaukeln, bevor die Enten ihr warnendes Quakkonzert anstimmen.

„Nein!“ Fremd klirrt die Stimme in meinem Hirn, als ich rechts Richtung Parkausgang strebend ein paar unschuldige Ästchen zertrete. „Lass uns dahinten im Pavillon essen.“

Die Miene verstört stapft Britt hinter mir her.

„Aber das war doch immer dein Lieblingsplatz.“

Zwischen schützenden Wänden beiße ich in meinen Bagel, als mich ihr Blick in den Schwitzkasten zwingt.

„Was ich dich längst fragen wollte. Hast du mir das eigentlich übelgenommen, dass ich mit Jo fortging und dich in der letzten Bahn allein fahren ließ? Ach Mara, so sorry.“ Britt pickt ein Chiakorn aus der Kruste. „Aber seine Hände überall beim Tanzen im Club. Die haben mich komplett wuschig gemacht. Am nächsten Tag bist du nicht aus deinem Zimmer gekommen, hast kein Wort mit mir gesprochen, bist ohne Vorwarnung in dieses Kuhdorf gezogen.“ Krampfhaft versuche ich den Hummus hinunterzuschlucken, der wie Kleister in meinem Mund aufquillt.  

„Nein, alles gut.“ Der Versuch eines Lächelns entgleist zur Grimasse, etwas von Aktenbergen nuschelnd.  

***

Ein letztes Geplapper rauscht durch die Flure. Ich stopfe ein paar Akten in die Businesstasche, nehme die Treppe im Zweistufen-Rhythmus, nachdem es verstummt. Meine Finger gleiten über den roten Lenker, ziehen energisch an der Klingel, „Hey Willi, hier bin ich!“, ihn über die graue Fläche rollend. Den Hintern auf den ledernen Sattel geschwungen, höre ich ein paar Meter später ein schlaffes Keuchen. Um uns auf dem Trottoir ein Meer von Scherben und ein Blick auf das Gummi offenbart das Dilemma. Meinem Bike ist die Luft ausgegangen. Ein Bündel Wut flammt in mir auf. Warum der Willi? Auf den ist Verlass! Nie hat der mich im Stich gelassen, so wie sie, die sich Freundin nennt. Ich schleife das platte Wesen zurück zum Ständer, tapse nach rechts zur Haltestelle, nur fünfzig Meter entfernt von Arnds Firma. Alles schreit in mir danach, ein Taxi zu nehmen. Aber – null Chance. Das Sicherheitspaket RC3 an der Wohnungstür hat alle Reserven aufgesaugt.

Ich lehne den Kopf an die Tramfensterscheibe, den Blick starr auf die Sitze gerichtet. 

Erschöpft fallen die Lider. Nein. Da kommen sie wieder. Diese verdammten Bilder, die wie glibberige Quallen auf dem Seelengrund lauern.

Noch pulsieren Clubrhythmen in meinen Adern, aber ich muss jetzt dringend schlafen. Gähnend rekel ich mich auf dem blauen Polster, sitze allein hier, ohne Britt. Die konnte nicht lassen von ihrem Jo, hat wie eine Klette ohne Stacheln an dem geklebt. Durch die Tramscheibe sehe ich Blitzadern den Nachthimmel spalten. Letzte Boten des Sommergewitters, das grollend über die Stadt hinwegfegte. Endlich. Ich springe auf. Flurstraße. Schon vor dem sich öffnenden Ausstieg stehend, spüre ich etwas Spitzes auf meinem Rücken. 

„Dreh dich nicht um, sonst steche ich zu.“ 

So hell und gepresst klingt seine Stimme. Aus dem Augenwinkel seh ich einen Arm im schwarzen Sweater. Der drängt mich hinter den Imbiss gegenüber der Haltestelle. Noch würge ich an dem Geruch von kaltem Fett, als er mein Gesicht tief in eine Unwetterpfütze drückt. Die Brust schwillt an, jetzt bloß nicht atmen. Vielleicht fühlt sich so ein aufgepumpter Karpfen an, denke ich noch, als er mich auf den Rücken dreht, den Rocksaum hoch über die Hüften schiebt und seinen zuckenden Körper auf mir verbiegt. Mein Kopf rollt nach rechts. Vorsichtig blinzele ich mit verquollenen Augen. Neben mir treibt ein Taubenkopf. Zwischen zwei Bratwurstresten mit einem Klecks Senf. Sauber vom Federleib abgetrennt.

Mein Herz schlägt von der Brust zum Hals herauf. Nur einen Moment die Panik bezwingen. Meine Finger umklammern die Haltestange. Gleich darf ich hieraus. Plötzlich reibt sich ein schwarzer Sweater an meinem Körper. Hinterlässt Fusel an Arm und Schulter. Und wieder klebt dieser Schmutz in mir. Ich krame in meiner Jackentasche. Bewege den glatten Griff in der Handfläche. Gleich wird es zuschnappen, mein neues Klappmesser, als mich zwei sanfte Augen anlächeln. 

„Nach dir. Bestimmt hast du es eilig.“ 

So schön klingt die Stimme. Und ich spüre ein Stück Gips auf der Tiefenhaut bröckeln.

Nicht hell und gepresst. Nein. Dunkel. Weich

 

V3  9993 Z.