Von Marie Masse

1998 – Frisch verheiratetes Paar Meier, Küche, Frühstück

Tisch für vier Personen, mit zwei Frühstücksgedecken. Stefan und Helene sitzen einander gegenüber und plaudern beim Essen. Bald haben sie aufgegessen.

Helene: Ich nehme den Bus um 8, ich möchte noch vor der Teambesprechung Unterlagen einsehen. 

Stefan: Dann komme ich mit und steige ein paar Haltestellen früher aus. Ich kann bis zum Büro laufen, bei diesem tollen Wetter tut mir frische Luft gut.

Helene: Schön! Bist du fertig?

Stefan: Ja.

Gemeinsam stehen sie auf. Stefan schnappt nach Helenes Taille, reißt sie zu sich und küsst sie inbrünstig.

Helene: Hey, doch nicht jetzt! Sonst schaffen wir es nicht mehr pünktlich!

Stefan: Schade! Aber ja, ich weiß, dein Chef hätte dafür kein Verständnis. Der Arme, der hat keine so bezaubernde Frau, er kann es nicht verstehen!

Helene stellt sich an die Spüle und muss sich gegen Stefans Ansturm wehren. Die beiden kämpfen spielerisch. Als Stefan sie freilässt, spült sie das Geschirr, während Stefan abräumt und dabei „Ti amo“ singt. Sie verlassen zusammen die Küche und gehen ins Badezimmer.

*

Am selben Tag, Abendessen

Ähnliches Bild in der Küche, mit dem Rest eines gemeinsamen Abendessens

Stefan: Möchtest du fernsehen? 

Helene: Ich muss zuerst noch meine Mutter anrufen und ihre Geburtstagsfeier besprechen. Du weißt, wie sie ist, es kann etwas dauern. Gibt´s da was Interessantes?

Stefan: Nichts Besonderes. Ich lese, bis du fertig bist, und dann gehen wir zum Kanal den Sonnenuntergang anschauen. Was meinst du?

Helene (lächelnd): romantische Laune? 

 

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2005 – Das Paar Meier, die fünfjährige Tara und der zweijährige Max, Frühstück 

Helene kümmert sich um Max, während Stefan mit Tara über den kommenden Familienausflug am Sonntag plaudert.

Helene: Hey, Stef, es wird Zeit, wenn du Tara noch in den Kindergarten bringen willst.

Stefan: Ups, meine Bella, jetzt spurten!

Er steht auf, reicht Tara die Hand. Zusammen verlassen sie die Küche.

Helene bleibt mit Max am Tisch, isst ruhig auf, blendet dabei gewohnt den von Max verursachten Lärm aus. Ihr Sohn entdeckt täglich beim Frühstück immer wieder seine Musiktalente, das Trommeln mit dem Löffel auf einer leeren umgedrehten Schale kann ihm nie genug laut sein. Das lässt Helene Zeit, alles andere abzuräumen, bevor sie ihm das letzte Geschirrstück wegnimmt, das Signal für ihren Sohn, vom Stuhl hinunterzuklettern und ins Badezimmer zu stürzen. Die Zahnpasta erlaubt kein Konzert, dafür sich mit der Zahnbürste ein schönes Muster auf die Backe zu zeichnen. Malertalente müssen auch gepflegt werden! Helene folgt ihm.

Helene: So, jetzt ab zur Tagesmutter. Sonst bin ich zu spät im Büro.

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Am selben Tag, Abendessen

Tara isst mit, Max schläft.

Tara: Papa, ich möchte noch ein Spiel machen, bevor ich ins Bett muss.

Stefan: Gut, wir beide machen ein Memory und dann liest dir Mama die Gutenachtgeschichte vor. 

Helene: Hm-m, können wir andersrum machen? Ich habe mich zum Walking mit Sarah verabredet und es wird sonst knapp.

Stefan: Ach ja, und ich passe auf die Kinder auf?

Helene: Was soll die Frage? 

Stefan guckt sie mit alles sagenden Augen an.

Helene: Okay, morgen gehst du aus, ja?

Stefan zuckt mit den Schultern.

 

*

2010 – Das Paar Meier, die zehnjährige Tara und der siebenjährige Max, Frühstück

Der Tisch ist für vier gedeckt. Bei den Plätzen der Kinder stehen Schalen mit Müsli.

Stefan ist noch nicht da, die Kinder sind fast fertig.

Helene (schreiend): Stef, beeil dich, ich muss bald los und du sollst noch essen, bevor du die Kinder zur Schule bringst.

Stefan: Ich komme!

Helene steht auf, steckt ihr Geschirr in die Spülmaschine.

Stefan kommt rein und isst hektisch. Helene ist im Badezimmer.

Die Kinder wollen auch hinausgehen.

Stefan: Hey, was ist das? Ich bin noch beim Essen.

Tara (ironisch lächelnd): Tja, tut mir leid, aber wir müssen die Zähne putzen.

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Am selben Tag, Abendessen

Alle vier essen gemeinsam und unterhalten sich über den Tag.

Max: Papa, gucken wir das Fußballspiel?

Stefan: Ja, ich habe es dir versprochen. 

Tara: O, ich will aber die Musikshow. 

Helene: Dann kommst du mit mir zu Kati, du kannst mit Svenja spielen. Kati und ich möchten in ihrem Garten Yoga machen. Ist es okay für euch Männer?

Die beiden Angesprochenen nicken begeistert. 

Tara (bockig): Und wenn ich nicht will?

Max (mit schadenfroher Stimme): Pech gehabt! Du bist in der Minderzahl.

Helene (tadelnd zu ihrem Sohn): Aber morgen darf sie entscheiden.

Tara steht auf, geht mit einem süffisanten Lächeln an ihrem Bruder vorbei. Er gibt ihr einen Klaps auf die Hüfte.

Tara: Hey!

Helene (zornig): Okay, mein Lieber, dafür gehst du auf dein Zimmer. Kein Fernsehen.

Max: Aber sie hat mich provoziert!

Tara: Und wer hat angefangen?

Max verlässt murrend die Küche.

Die Frauen sind bald weg.

Stefan (schreiend): Max! Ich bin straffrei, und allein zuzuschauen macht keinen Spaß. Komm runter!

Max kommt angerannt.

Max: Echt? Danke!

Stefan zaubert eine Tüte Chips aus seiner Aktentasche und hält sie hoch.

Stefan: Was meinst du Sportfreund? Teilen wir uns eine? Mama braucht nichts davon zu erfahren. 

 

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2016 – Das Paar Meier, die sechszehnjährige Tara und der dreizehnjährige Max, Frühstück 

Helene und Stefan essen in der Stille, Stefan liest die Zeitung. An den Plätzen der Kinder stehen noch die vollen Schalen Müsli.

Helene (schreiend): Tara, Max! Beeilt euch endlich!

Max kommt rein, grüßt lässig mit einem „Hey!“ und verschlingt das Müsli.

Stefan faltet die Zeitung zusammen, trinkt den letzten Schluck Kaffee und steht auf.

Stefan: Du, Helene, ich gehe heute Abend nach dem Abendessen mit Karl zu Spinning. Sie starten einen neuen Kurs speziell für Männer.

Helene (mit scharfer Stimme): Wir haben Donnerstag. Du weißt doch, dass ich meine Tanzstunde habe.

Max: Tara und ich bleiben allein, kein Problem!

Tara, die gerade in die Küche kommt, hat ihren Bruder gehört.

Tara: Nein, ich bin heute Abend nicht da. Ach ja, Mama, auch zum Essen nicht da. Ich arbeite an dem Geschichteprojekt bei Lea und wir bestellen eine Pizza. 

Helene: Und Max bleibt allein? Es wird spät!

Max: Und? 

Stefan: Mit dreizehn kann er doch.

Beim Sprechen steht Stefan auf und geht aus der Küche.

Helene sieht empört aus, erhebt sich stürmisch und folgt ihm. Die beiden lauten Stimmen sind im Flur zu hören. Helene wirft ihrem Mann vor, ohne Absprache neue Regeln bei der Erziehung der Kinder aufzustellen.

Tara lässt das Müsli liegen, schnappt sich ein Joghurt aus dem Kühlschrank, löffelt es rasch und ist weg.

Max lächelt und nimmt die Schale seiner Schwester zu sich. Bald verlässt auch er die Küche.

Alles Geschirr steht noch auf dem Tisch. 

Stefan kommt rein.

Stefan (verärgert, zu sich selbst): Als ob ich von Erziehung nichts verstehen würde! Aber abräumen, das darf ich!

Helene kommt herein.

Helene: Ich hab´s gehört. Du darfst, so wie auch ich es oft mache! Und ich, nette Frau, helfe dir. Friede?

Stefan guckt seine Frau an, zuckt mit den Achseln und lächelt doch.

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Am selben Tag, Abendessen

Wie angekündigt ist Tara nicht da. Die drei Übrigen sind beim Nachtisch.

Helene und Stefan stehen auf.

Helene: Max, kannst du bitte abräumen? Stell alles in die Spülmaschine, es kann dann bis morgen warten.

Max (wie geschockt von dem ungehörigen Befehl seiner Mutter): Was? Ich? Allein?

Helene: Wenn du groß genug bist, um allein zu Hause zu bleiben, bist du auch groß genug, um allein abzuräumen. Stefan und ich müssen weg. Danach darfst du dir ein Video anschauen.

Max versucht keine Überraschung zu zeigen. Ein Video unter der Woche ist Seltenheit. 

Max (murmelnd, aber erst als er allein ist): Aha, schlechtes Gewissen Mama?

 

*

2020 – Das Paar Meier, der siebzehnjährige Max, Frühstück, nur 3 Gedecke 

Alle drei sitzen am Tisch. Stefan liest die Zeitung. Max tippt auf sein Handy. Helene guckt gelangweilt durchs Fenster.

Helenes Handy klingelt. Tara. Sie stellt den Lautsprecher an. 

Helene: Hey Schätzchen! Wie …

Tara: Hey, Mama, ich will nur sagen, ich komme am Wochenende nicht. Wir machen eine Wandertour. 

Helene: Aber du hast Geburtstag! Dass du bei deinem Freund unter der Woche übernachtest, ist okay, aber wir hatten doch abgemacht, dass du am Wochenende hier bist.

Tara: Hey, ich bin es auch! … meistens. Aber gerade, weil ich Geburtstag habe, möchten wir in einer Hütte feiern. 

Helene: Und wer ist wir? Deine Familie? 

Tara: Mama!!! Keine Bange, nur zu viert in einer privaten Hütte. Und bevor du fragst, ja, die Masken sind schon eingepackt. Mit euch hole ich nächste Woche nach, okay?

Stefan: Da bin ich nicht da. 

Helene: Was? 

Stefan: Auch ich mache eine Wandertour. Mit Bernd.

Helene: Und wann sollte ich davon erfahren?

Stefan: Jetzt hast du es.

Helene: Toll! Zwei Tage? Mit Bernd?

Stefan: Ja, mit Hotelübernachtung. Aber was soll dieser Ton?

Helene guckt ihn nachdenklich an. Eine Szene vor den Kindern will sie aber nicht machen.

Helene: Hast du gehört, Tara? Papa ist nächste Woche nicht da.

Tara: Dann feiern wir zu dritt. 

Max: Dann Samstag. Sonntag will ich mit Tim eine Radtour machen.

Helene: Du weißt noch nicht mal, wie das Wetter wird. Als ob du irgendwann so lange im Voraus planen würdest …

Max: Tja, Pech gehabt, jetzt hab´ich.

Helene: Hey, nicht mit diesem Ton!

Max zuckt trotzig die Schulter. Helene möchte weitersprechen, wird von Tara abgelenkt.

Tara: Samstag passt. Dann bis nächste Woche. Küsschen.

Helene: Hey, Tara …

Tara hat schon aufgelegt. Max hat den kurzen Moment ausgenützt, um zu verschwinden.

Helene dreht sich zu Stefans Platz. Aber nur noch die Zeitung liegt auf dem Stuhl … und sein Geschirr auf dem Tisch.

Helene (schreiend): Stefan, danke fürs Abräumen! Und Max, mit dir bin ich noch nicht fertig!

Stefan (zurückschreiend): Ich bin zu spät, ich muss weg.

Max: Ich auch.

Schon hört man die Haustür zuschlagen.

Helene (normale Lautstärke, für sich selbst): Und ich nicht? 

*

Am selben Tag, Abendessen

Das Geschirr vom Morgen liegt noch auf dem Tisch. 

Max und Stefan kommen in die Küche.  

Max: Hä, was soll denn das?

Stefan nimmt den Zettel, der inmitten des Chaos liegt.

 

Ich bin heute Abend bei einer Freundin. Viel Spaß!

                                Helene

 

Stefan (murmelnd): Bei einER FreundIN? 

 

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