Von Marianne Apfelstedt

Schwarze Budapester, das Leder glänzend poliert, durchbrechen die Stille. Morgens um acht. Unter der Anzugjacke blitzt ein weißer Hemdkragen hervor, korrekt geknöpft und von einer gemusterten Krawatte umschlungen. Das graue Haar vom Bowler bedeckt. Er trägt einen Strauß roter Bauernpfingstrosen in der Hand. Den Duft liebt sie so sehr. Ihm ist der Weg vertraut, den er schon so viele Male gegangen ist. Am Ziel nimmt er die verwelkten Pflanzen aus der Bodenvase und tauscht sie gegen die roten Blüten aus.
„Eva, mein Herz, ich habe dir deine Lieblingsblumen mitgebracht, sie duften wunderbar. Vor dir steht ein Pensionär. Du hast dich nicht verhört, jetzt bin ich Büroleiter a.D.. Sie haben mich mit Buttercremetorte und Sekt verabschiedet. Erinnerst du dich noch an unsere erste Zeit in Köln, im Jahr 1920? Vor Kurzem war ich wieder einmal in der Johannisstraße.“

***

 

Der Vormittag war durchdrungen von Regenschauern, eine graue Wolkenwand lag über Köln. Berthold zog den Kopf wie eine Schildkröte ein, steckte die Nase ins Revers des Mantels und sah auf das nasse Pflaster, das im Licht der Gaslaterne glänzte. Regentropfen sammelten sich auf der Hutkrempe, rutschten den Nasenrücken entlang, um sich im Wollmantel zu sammeln. Vor der Tür der Mietskaserne in der Johannisstraße hatte sich eine tiefe Pfütze gebildet. Mit einem Storchenschritt schaffte es Berthold, die erste Treppe zu erreichen. Er schob die Eichentüre auf und zog den Schlüssel für Frau Abels Wohnung heraus, wo er zur Untermiete wohnte. Die Türe im Parterre rechts von ihm wurde geöffnet und die Vermieterin sah ihn tadelnd an.
„Herr Buttgereit, dass Sie mir ja nicht mit den nassen Schuhen durch die Diele laufen. Du meine Güte, Sie tropfen ja. Rasch ziehen Sie die durchnässten Kleider aus und hängen Sie Mantel und Hose auf den Dachboden. Ich setze Teewasser auf. Eva ist noch nicht zu Hause.“ Sie trat beiseite, nachdem Berthold seine Schuhe ausgezogen und ordentlich neben der Türe abgestellt hatte. Er lief in Strümpfen, die feuchte Abdrücke auf dem Parkett zurück ließen, hinter ihr her in sein Zimmer, um die nasse Kleidung auszuziehen. In der Küche schenkte Frau Abel zwei Tassen Tee ein, als er eintrat.
„Erzählen Sie schon, Herr Buttgereit. War die Arbeitssuche erfolgreich?“
„Ja, ich fange im Carlswerk in der Buchhaltung an. Ich soll ihnen Grüße von ihrem Bruder ausrichten. Vielen Dank für das Empfehlungsschreiben.“
„Das sind gute Neuigkeiten. Dann können Sie bald das Aufgebot bestellen, wo Sie doch beide Arbeit gefunden haben. Ich freue mich schon, wenn sie meine Nichte heiraten.“ Berthold wärmte die klammen Hände am Teebecher und nickte ab und an. Den Redeschwall von Frau Abel ließ er wie einen Regenguss über sich ergehen. Kurze Zeit später kam Eva nach Hause.
„Guten Abend Tante, guten Abend Berthold. Ich habe für meine Näharbeit Linsen, Eier und Speck bekommen. Die Familie Schmitt hat mich ihren Nachbarn empfohlen, dort habe ich auch Flickwäsche erhalten. Die Arbeit geht mir die nächste Zeit nicht aus“, erzählte Eva mit zufriedenem Grinsen. Während sich die Frauen über den neuesten Klatsch in der Nachbarschaft austauschten, erwärmte Berthold die Kartoffelsuppe auf dem Herd.

Eva und Berthold gingen bald nach dem Abendessen in das gemeinsame Zimmer und kurz darauf zu Bett.
„Was hast du deiner Mutter auf ihren Brief geantwortet?“, fragte Berthold und rückte näher an Eva. Sie drehte ihm den Rücken zu und legte ihren Kopf in seine Armbeuge.
„Ich habe sie gebeten, uns erst zu besuchen, wenn wir eine eigene Wohnung haben. Mutter wird so lange fragen, wann wir heiraten, bis das Aufgebot bestellt ist. Unsere „wilde Ehe“ ist für sie nicht respektabel.“
„Mich erstaunt, dass deine Tante uns nicht in diese Richtung bedrängt“, wunderte sich Berthold.
„Ich kenne Tantchen. Sie akzeptiert unsere Vertraulichkeit, solange wir niemanden vor den Kopf stoßen. Hast du die beiden Brüder schon kennengelernt, die im Zimmer am Ende des Flures wohnen?“

„Du meinst Hans und Fritz. Nur einmal kurz in der Küche, sie beginnen ihr Tagewerk schon früh und da waren sie nicht gesprächig.“

„Letztens warst du einige Tage in Berlin, da habe ich Sie mit Hans in der Küche überrascht. Sie sassen händchenhaltend auf dem Sofa und Tantes Wangen färbten sich verdächtig rot.“

„Wer hätte das von deinem Tantchen gedacht.“ Berthold musste schmunzeln, wenn er sich diese Szene vorstellte.

„Sie ist seit drei Jahren Witwe und auch nur eine Frau.“
„Darum ist sie so mild mit uns, da kann ich ihr nur glückliche Stunden wünschen. Ich werde noch mal einen Brief an das Amtsgericht in Berlin schreiben. Du wirst sehen, sobald die Namensänderung vollzogen ist, werden wir Hochzeit feiern.“ Eva blieb ihm eine Antwort schuldig.
„Dabei geht es bei uns gar nicht wild zu“, flüsterte Berthold in ihr Ohr, um dann spielerisch an ihrem Ohrläppchen zu knabbern. Die junge Frau unterdrückte ein Kichern und prustete in einen Bettzipfel der Decke, um sich nicht den Unmut der Vermieterin zuzuziehen. Berthold zog den warmen Körper näher zu sich und schob ihr Nachthemd nach oben. Sie lagen wie die Löffel in der Schublade beieinander. Seine Hand wanderte zart streichelnd den Oberschenkel hinauf. Er bemerkte den flachen Atem und hielt kurz inne, um mit den Lippen vom Ohr den Hals entlangzustreichen. Die Finger erkundeten weiter den Schenkel und die Zunge liebkoste aufreizend ein Stück Haut am Nacken. Evas leises Stöhnen verriet ihm, wie sehr sie die Zärtlichkeiten genoss. Seine Hand setzte die Erkundung fort, blieb immer wieder an Ort und Stelle und wanderte dann zielstrebig weiter, wenn Evas Körper durch ein winziges Beben antwortete. Seine Finger fanden das feine Kräuselhaar und ruhten sich darauf aus. Dafür zog die Zunge eine Spur Richtung Schlüsselbein. Mit seinen Zähnen beknabberte er ihre Haut, Eva seufzte in ihr Kissen. Sie drehte sich um und umschlang ihn mit den Armen, leidenschaftlich küsste sie ihn auf den Mund und erforschte Berthold mit der Zunge. Ihre Rechte fand seinen Po und zog ihn enger an sich. Sein Finger fuhr die Schamlippen entlang, bahnte sich einen Weg behutsam, immer wieder stoppend, bis Eva erschauerte.
„Herr Buttgereit, Eva seid ihr noch wach?“, hörten sie die Stimme von Tante Abel an der Zimmertüre. Das ertappte Liebespaar, erstarrte zur Statue. Eva hielt die Luft an und atmete langsam aus, weil es kräftig an der Tür klopfte. Sie räusperte sich und antwortete mit belegter Stimme: „Ja, ich bin wach, Berthold schläft.“
„Bitte komm zu mir in die Küche, ich bin auf der Straße gefallen und benötige Hilfe.“
„Geh schon vor, ich bin gleich bei dir.“ Beide hörten, wie sich schlurfende Schritte entfernten. Eva zog bedauernd die Schultern hoch und rutschte aus dem warmen Bett.
„Ich warte, bis du zurückkommst“, flüsterte er. Eva zog ihre Strickjacke über das Nachthemd, schlüpfte in die Pantoffeln und huschte aus dem Raum. Berthold drehte sich auf den Rücken und stopfte sich das Kissen in den Nacken. Kurze Zeit später fielen ihm die Augen zu. Nachdem Eva Tante Abel verarztet hatte, trat sie wieder in das gemeinsame Zimmer. Beim Eintreten verriet ihr ein leises Schnarchen, das er eingeschlafen war.

Der Herbst zeigte sich heute von seiner milden Seite, die blasse Sonne ließ das Laub in den schönsten Rot- und Gold Tönen erstrahlen. Berthold kam auf dem Weg nach Hause an großen Kastanienbäumen vorbei. Schmunzelnd beobachtete er drei Jungs, die die raschelnden Blätter auf allen vieren nach den letzten Früchten des Baumes absuchten. In Berlin hatte er früher gerne Kastanien gesammelt. Fröhlich vor sich hin pfeifend, öffnete er die Türe zur Parterrewohnung von Frau Abel, die heute den ganzen Tag ihre Schwester im Stadtteil Kalk besuchte. Berthold freute sich schon auf einen Abend nur mit Eva. Auf dem Schränkchen im Flur lag ein an ihn adressiert Brief vom Amtsgericht Berlin-Mitte. Beim Öffnen des Kuverts klopfte sein Herz wie ein Zweitakter. Mit zitternden Händen entfaltete er das Blatt Papier.

 

Beschluss
Der am 23. Februar 1891 zu Berlin geborenen Bertha Emma Charlotte Buttgereit in Berlin, Wöhlertstraße 11, wird die Ermächtigung erteilt, an Stelle ihrer Vornamen den Vornamen Berthold zu führen
Berlin, den 8. November 1920
Amtsgericht Berlin-Mitte. Abteilung 96.
Fechner

 

Er rannte die paar Schritte bis zum gemeinsamen Zimmer, stieß die Türe auf und rief mit tränenerstickter Stimme: „Liebste Eva, ich habe Post aus Berlin erhalten, wir können heiraten!“

 

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