Von Ingo Pietsch

„Man, lass das!“, Glenn schlug Pierre auf die Finger, der ständig am Radio herumspielte.
„Wer fährt, bestimmt, was gespielt wird“, Glenn hätte liebend gerne seine Playlist gehört, aber der Handy-Empfang mitten im Herzen von Thüringen war grauenhaft.
Die beiden waren zu den Landesmeisterschaften der Pokemon-Duelle in Erfurt unterwegs und hatten sich dank des lückenhaften Empfangs ein paar Mal verfahren.
Ständig ging es im Wald auf und ab und wahrscheinlich hatten sie in der Dunkelheit  mehrere Verkehrsschilder übersehen.
Dazu kam noch die nasse Fahrbahn und der Scheibenwischer war im Dauereinsatz.
Pierre ließ sich enttäuscht wieder in seinen Sitz fallen, trank seine Dose Energy leer und warf sie zu den anderen auf der Rückbank des Ford Fiesta, dass es schepperte.
„Das kannste auch sein lassen“, Glenn hatte sich in seinen Frust hineingesteigert, denn sie würden wahrscheinlich zu spät kommen und das Ganze wäre dann gelaufen.
Er wäre lieber mit der Bahn gefahren, aber ausgerechnet an diesem Wochenende waren mehrere Züge wegen Unwetters ausgefallen.
„Du trinkst immer nur die Hälfte und dann sifft mir alles voll.“
„Alter, als wenn du jemals dein Auto sauber gemacht hättest“, es roch überall nach Gummibärchen. Pierre fuhr mit dem Finger über das Armaturenbrett, was er gleich wieder mit einer Grimasse, die er zog, bereute.
Beide waren sehr angespannt, hatten sie sich doch so auf das Event gefreut und jetzt schien es ins Wasser zu fallen.
Der Scheibenwischer kam mit dem Regen kaum noch klar. Es war ungemütlich warm im Auto und die Scheiben waren angelaufen.
Glenn schaltete die Lüftung auf volle Leistung und es wurde besser.
Plötzlich erkannte er im Rückspiegel einen LKW, der sich mit hoher Geschwindigkeit näherte.
Bunte Lichter blinkten im Cockpit wie ein Weihnachtsbaum.
Dafür ging es zur Abwechslung ging es mal geradeaus auf einem Bergkamm.
Glenn liefen Schweißperlen trotz der Lüftung von der Stirn und er fummelte am Rückspiegel herum, um den LKW besser sehen zu können, der immer noch auf sie zufuhr, ohne langsamer zu werden.
Es gab wegen der vielen Büsche und Bäume keine Möglichkeit auszuweichen, außer auf die andere Straßenseite, der viel zu schmalen Straße.
Der LKW würde sie einfach vor sich her schieben, falls er sie nicht einfach überrollte.
„Wieso wirst du immer nervöser?“, erkannte Pierre.
„Hast du vielleicht Mal nach hinten gesehen. Der Irre wird immer schneller.“ Glenn blickte in den Seitenspiegel und Pierre drehte sich um.
Es fehlte nicht mehr viel und der LKW war heran.
Glenn beschleunigte und schaltete den Warnblinker an.
Jetzt wurde ihr Verfolger endlich langsamer und machte mehrmals die Lichthupe. Langsam schloss er auf.
„Mann, wo soll ich denn hin?“ Es gab keine Stichstraßen oder Wanderwege, wo er hätte reinfahren können.
Pierre sah zum Fahrer des LKW: „Der wedelt mit den Händen. Ich glaube, der will uns sagen, dass wir anhalten sollen. Und er sieht ziemlich wütend aus. Oder doch nicht. Jetzt kratzt er sich am Kopf und verzieht das Gesicht.“
„Glaubst du, ich halte hier im Nirgendwo an, wo mich ein Serienmörder mitten im Wald abmurksen will?“, fragte Glenn.
Es folgte noch eine Lichthupe, dann fiel der LKW zurück.
„Hat der endlich bemerkt, dass es nicht schneller geht?!“ Glenns verkrampfte Hände, ließen das Steuer wieder lockerer.
„Keine Ahnung, was mit dem los war, aber bis zur nächsten Ortschaft ist es hoffentlich nicht mehr weit.“ Pierre tippte auf seinem Smartphone herum. „Ich habe wieder Empfang.“
Glenn schaute auf sein Navi. „Ja, nur noch ein Stück.“
Hinter ihnen erschall ein lautes Signalhorn und mehrere Lichthupen.
Glenn schaute in den Rückspiegel und Pierre schrie: „Vorsicht!“
Instinktiv trat Glenn auf die Bremse. Vor ihm, im Scheinwerferlicht stand ein Reh auf der Straße.
Der Wagen schlitterte einfach weiter und begann sich leicht zu drehen.
Glenn und Pierre griffen nach allem, um sich festzuhalten.
Glenns Hände verkrampften sich am Lenkrad, dass die Knöchel weiß wurden und Pierre schloss die Augen.
Der Wagen hatte sich um 180 Grad gedreht und rutschte immer weiter. Dosen flogen herum. Der Wald zog an ihnen vorbei.
Glenn sah dem LKW-Fahrer direkt in die Augen. Dieser machte eine hilflose Geste und trat ebenfalls voll auf die Bremse. Die Zugmaschine wurde stotternd langsamer. Ein Ausweichen war auf der Straße unmöglich gewesen.
Doch der erwartete Aufprall war ausgeblieben und der Wagen stand jetzt in Fahrtrichtung auf der Gegenfahrbahn.
Die Scheinwerfer des LKW blendeten sie.
Die beiden tasteten sich ab.
„Alles OK?“, fragte Glenn.
Pierre nickte nur und zitterte am ganzen Körper.
Sie schnallten sich ab und wollten aussteigen, als ein Kleinlaster von hinten heranraste und den Fiesta gegen die Leitplanke schob, diese durchbrach und das Auto in der Dunkelheit verschwand.


Der Transporter kam zum Stehen und auch der LKW-Fahrer war ausgestiegen.
Der Fahrer lief zum Transporter und half dem nur Leichtverletzten aus dem Font.
„Was war das denn?“, fragte dieser und hielt sich den Kopf.
Der LKW-Fahrer wählte den Notruf.
„Bei dem Wagen funktionierten die Rücklichter nicht. Ich hab die auch nur gesehen, als mal kurz der Warnblinker an war. Ich habe versucht, sie darauf hinzuweisen, aber sie haben nicht reagiert. Wir sollten mal nachschauen, was los ist.“
Der Regen hatte nachgelassen und die Fahrer gingen zur Leitplanke, wo ein Loch klaffte.
Dort ging es bestimmt fünfzig in die Tiefe, als ein Blitz alles erhellte. Der Wagen hatte sich um einen Baum gewickelt. Das sah gar nicht gut aus.

 

Pierre schlug die Augen auf. Ihm war schwindelig. Sein Rücken tat ihm weh und er lag in einem dichten Busch, der seinen Sturz aufgefangen hatte. Im letzten Moment war es ihm gelungen, die Tür aufzureißen und herauszuspringen.
Ängstlich klammerte er sich an paar Äste, als er bemerkte, dass es steil abwärts ging. Viel weiter unten erkannte er bei einem Blitzlicht Glenns Auto, das völlig zerstört an einem Baum hing.
Wo war Glenn nur?
„Hallo? Ist da unten jemand?“, rief eine Stimme von oben und ein Taschenlampenstrahl wanderte hin und her.
„Hilfe!“, krächzte Pierre. Er wedelte so gut es ging mit dem Arm, ohne den Busch loszulassen.
„Ich komme runter“, erschall es erneut von oben.
Ein Mann kam herunter und half ihm mit Hilfe eines Abschleppseils hoch.
Oben zog ein zweiter Mann den beiden auf die Straße.
Es waren die Fahrer der Fahrzeuge.
„Alles OK?“, fragte der der eine.
„Es geht, aber wo ist Glenn?“
Der LKW und der Transporter hatten ihre Warnblinker an.
Alles wirkte so irreal im Scheinwerferlicht. Die regennasse Straße spiegelte das Lichterspektakel wieder.
Pierre hatte eine Decke umbekommen und alle suchten zusammen die Leitplanke ab.
Wie aus dem Nichts tauchte mit einem Mal eine Hand auf dem Metall auf und dann eine Zweite.
Glenn lebte auch noch!
Er hatte mehrere Platzwunden am Kopf, die stark bluteten und seine Kleidung war zerrissen.
Pierre umarmte ihn.
„Ey, Alter, das tut weh.“
Erst da bemerkten sie, dass sein Arm merkwürdig herabbaumelte.
Völlig unter Schock meinte Glenn, als er seinen Arm sah: „Ich kann meine Hand gar nicht mehr bewegen. Ich glaube ich habe meine Pokemon-Karten losgelassen und verloren!“

 

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